David Ranan (Hg.)
Sprachgewalt
Missbrauchte Wörter und andere politische Kampfbegriffe
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
ISBN 978-3-8012-7030-8 (E-Book)
ISBN 978-3-8012-0587-4 (Printausgabe)
Copyright © 2021
by Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH
Dreizehnmorgenweg 24, 53175 Bonn
Umschlaggestaltung: Hermann Brandner | gaborís Köln
Satz: Rohtext, Bonn
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, 2021
Alle Rechte vorbehalten
Besuchen Sie uns im Internet: www.dietz-verlag.de
Cover
Titel David Ranan (Hg.) Sprachgewalt Missbrauchte Wörter und andere politische Kampfbegriffe
Impressum Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-8012-7030-8 (E-Book) ISBN 978-3-8012-0587-4 (Printausgabe) Copyright © 2021 by Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH Dreizehnmorgenweg 24, 53175 Bonn Umschlaggestaltung: Hermann Brandner | gaborís Köln Satz: Rohtext, Bonn E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, 2021 Alle Rechte vorbehalten Besuchen Sie uns im Internet: www.dietz-verlag.de
David Ranan
Einleitung
Jana Laura Egelhofer
Fake News
Brian Klug
Populismus
Marion Detjen
Patriotismus
Jörn Retterath
Volk
Marcus Funck
Heimat
Amos Goldberg
Antisemitismus
Christian Geulen
Rassismus
Gesine Krüger
Kolonialismus
Jonathan Alschech
Apartheid
Yair Wallach
Zionismus
Meltem Kulaçatan
Islamismus
Peter Lintl
Fundamentalismus
Mohammad A. S. Sarhangi
Märtyrer
Christoph Gollasch
Extremismus
David Ranan
Terrorismus
Michael Kohlstruck
Nazi
Ruth Ben-Ghiat
Faschismus
Anton Weiss-Wendt
Völkermord
Neve Gordon und Nicola Perugini
Menschenrechte
Stefanie Schüler-Springorum
Gender
Gregor Gysi
Kommunismus
Peter Steinbach
Sozialismus
Daniel Morat
Intellektuelle
Barnaby Raine
Elite
Marc Volovici
Kosmopolitismus
Rikki Dean und Jonathan Rinne
Demokratie
Micha Brumlik
Freiheit
Michael Quante
Wahrheit
Über die Autorinnen und Autoren
Danksagung
»Politische Sprache wird gestaltet, um Lügen wahrhaftig und Mord respektabel klingen zu lassen und leerem Geschwätz Aufmerksamkeit zu verschaffen.« Diese düstere Behauptung machte der britische Schriftsteller George Orwell in seinem 1946 veröffentlichten Essay Politics and the English Language und fügte hellsichtig hinzu: »Man sollte begreifen, dass das gegenwärtige politische Chaos mit dem Verfall der Sprache zusammenhängt und dass sich eine Verbesserung wahrscheinlich dadurch erreichen ließe, bei seinem verbalen Ende anzufangen.« 1
Wer Orwells Worte heute liest, könnte meinen, er beschreibe den aktuellen Zustand unserer Welt. Sie klingen auffallend zeitgemäß. Fünfundsiebzig Jahre sind seit ihrer Niederschrift vergangen. Wir haben Orwell vielleicht gelesen, aber seine Warnung scheinen wir nicht verinnerlicht zu haben.
Das Ziel dieses Buches ist, das Bewusstsein für eine Sprache zu schärfen, die irreführend sein kann und oft genug bewusst in die Irre führen soll. Es ist jedoch kein Lexikon, sondern eine Sammlung von Essays. Der Aspekt, der für die Auswahl des jeweiligen Begriffs entscheidend war, ist sein Framing – sein Bedeutungs rahmen , der entscheidenden Einfluss darauf nimmt, wie Menschen dieses Wort verstehen. Es geht also um Begriffe, die nur vermeintlich klar sind, die oft gebraucht, aber schwer oder selten verstanden werden. Es geht um Begriffe, die im politischen Diskurs zur Beurteilung und Kategorisierung dienen, zur Einteilung in Gut und Böse, die beschönigen oder stigmatisieren, ein- oder ausschließen, fördern oder vernichten.
In seinem 1947 erschienenen Buch über die Macht der Sprache des Dritten Reiches, Lingua Tertii Imperii , erklärt Victor Klemperer »Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen je selbstverständlicher, je unbewußter ich mich ihr überlasse. Und wenn nun die gebildete Sprache aus giftigen Elementen gebildet oder zur Trägerin von Giftstoffen gemacht worden ist? Worte können wie winzige Arsendosen sein: Sie werden unbemerkt verschluckt; sie scheinen keine Wirkung zu tun – und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.« 2
Die Idee hinter SPRACHGEWALT ist, sich auf dieses Problem zu konzentrieren. Es ist nicht neu, aber heute, zu einer Zeit, in der sich die Gesellschaft immer stärker polarisiert, brennender als in den ganzen fünfundsiebzig Jahren nach Kriegsende.
Wir leben in einer Welt, in der das Wort »postfaktisch« – auf Englisch »Post-Truth« – von der Redaktion der Oxford Dictionaries zum Internationalen Wort des Jahres 2016 gekürt wurde, ein Urteil, dem sich die Gesellschaft für Deutsche Sprache anschloss. Im selben Jahr wurde ein gewisser Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt, und eine betrügerische antieuropäische Referendums-Kampagne in Großbritannien führte zum Brexit.
Politiker, die nicht hundertprozentig ehrlich sind, sind kein neues Phänomen. Übertreibungen und Halbwahrheiten werden mittlerweile gar in Kauf genommen, so lange jedenfalls, wie die allgemeinen Aussagen und Botschaften glaubwürdig erscheinen. Aber der Typus des »postfaktischen Politikers« stellt uns vor eine größere Herausforderung, empfindet er doch die Selbstverpflichtung zur Wahrheit als ein mühsames, unnötiges Hindernis, das man getrost außer Acht lassen kann. Er verkündet mit der vollen Autorität seines Amtes – wir müssen nur unsere Zeitungen aufschlagen, um Beispiele dafür zu finden – was seiner Meinung nach seinen momentanen Interessen am besten dient.
Nicht nur, dass jene politische Sprache, die nach Orwell dazu dient, Lügen wahrheitsgetreu klingen zu lassen, nicht verschwunden ist, die Mittel ihrer Verbreitung sind zudem ausgefeilter geworden. Wissenschaft und Technologie wurden und werden skrupellos für Desinformationsziele aller Art benutzt. Die technologische Entwicklung hat die Informationskanäle, die uns erreichen, fast grenzenlos ausgeweitet. Nur auf den ersten Blick macht es uns diese Vielfalt leichter, »Wahrheit« und »Lüge« zu unterscheiden.
Die neuen Entwicklungen ermöglichen es außerdem, dass Maschinen vernünftig klingende Texte produzieren, die strategisch in die sozialen Medien eingespeist werden. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz werden gefälschte Fotos und Videos erstellt und verbreitet. Es wird immer schwieriger, maschinelle von »echten« Inhalten menschlicher Autoren zu unterscheiden. Wir ertrinken in Informationen und wissen nicht mehr, wem wir vertrauen können.
Was fake, gefälscht, und was echt ist, mag für manche eine rein ästhetische Frage sein, aber sie hat praktische, manchmal lebensgefährliche Auswirkungen, und wir müssen lernen, kritisch zu lesen und kritisch zuzuhören, damit wir in der Lage sind, diese Unterscheidung zu treffen. In einer Welt, in der ein Präsident der Vereinigten Staaten – und er war nicht der einzige – fast täglich Lügen und Legenden twittert, müssen wir wachsam sein und unsere politischen Instinkte schärfen, um uns vor solchen Machenschaften zu schützen.
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