Aber was wird mit Olaf? Von Olafs Eltern gibt es keinerlei Neuigkeiten. Seit unserer Ankunft ist kein Schiff aus Schweden eingelaufen, nur holländische und andere. Ich gehe jedes Mal nach Fort Casimir und frage nach, sobald irgendein Schiff einläuft. Sie könnten ja mit einem niederländischen Schiff kommen; aber ich glaube es nicht. Ich bin beunruhigt. Zum Glück hat Olaf noch nicht gefragt. Ich fürchte den Augenblick, da er es tut.
15. Juni anno domini 1656
Leider kam dieser Augenblick früher als befürchtet – und das auch nur auf Grund von Maximilians Unvorsichtigkeit. Er war es, der nach Olafs Eltern fragte. Was blieb mir anderes übrig, als wahrheitsgemäß zu antworten: „Wir wissen nicht, wann sie kommen.“ Zum Glück währte Olafs Betrübtheit nicht lange; denn Hanne – als ob sie trotz ihrer vier Jahre gewusst hätte, nun eingreifen zu müssen – sorgte sogleich für Ablenkung. Aber ich merke, wie sehr ihm die Eltern fehlen, auch wenn er sich nichts anmerken und sich bereitwillig von Hanne und den anderen ablenken lässt. Aber sein Appetit lässt zu wünschen übrig und er schläft unruhig. Manchmal weint er im Schlaf.
Olaf mag abgelenkt sein; aber ich mache mir weiter um die Sjenbergs Sorgen.
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14. März anno domini 1657
Siw hat einen gesunden Sohn geboren. Wir taufen ihn Bengt. Olaf steht Pate.
Es ist genau ein Jahr her, seit wir in der Neuen Welt angekommen sind. Ich habe das Gefühl, dass erst Bengt uns fest mit der Neuen Welt verbindet. Die Alte Welt kennt er nicht und wird sie wohl auch nie kennen lernen.
1. April anno domini 1657
Siw ist wieder schwanger. Wir freuen uns wieder sehr. Es wird nun Zeit, unser Haus zu erweitern.
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15. Oktober anno domini 1664
Die Engländer haben nun die Herrschaft übernommen. Zum Glück rütteln sie nicht an unserem autonomen Status. Wir leben so weiter wie bisher.
Die Kinder sind groß geworden. Max und Olaf sind 14, Hanne ist 12. Sie gehen jetzt eigenen Handwerken nach. Max verdingt sich als Schiffsbauer, Olaf arbeitet als Schreiber bei der hiesigen Verwaltung, Hanne beschäftigt sich schon eifrig mit diversen Handarbeiten. Auch Bengt (7) und Margaretha (6) helfen schon bereitwillig und fleißig mit.
Unlängst ist ein Schiff mit Siedlern aus Finnland hier eingetroffen. Es war wohl nicht wenig blauäugig von meiner Seite zu erwarten, dass Olafs Eltern nun mitkommen würden, nach über acht Jahren.
Wir haben ihn adoptiert. Dies erleichtert so manches. Er trägt nun unseren Namen: Segerstam. Er ist nun unser Kind. Er hat es mit einer geradezu erschreckenden Gleichgültigkeit aufgenommen.
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10. Januar anno domini 1665
Ich habe soeben in der Zeitung gelesen, dass in Neu Amsterdam – die Engländer haben es in „New York“ umbenannt – gute Baumeister gesucht werden. Ich bin geneigt, mich zu melden. Somit kämen wir wieder in eine größere Stadt. Ich bin begeistert, muss aber Siw und die Kinder fragen, ob sie einverstanden sind.
30. März anno domini 1665
Ich hatte die letzten Wochen kaum Gelegenheit, mich meinem Journal zu widmen. Es hat sich eine ganze Menge ereignet. Wir sind nach New York übergesiedelt.
New York ist eine großartige Stadt. Lauter schöne Häuser, wie ich sie noch nie gesehen habe. Es wirkt großstädtisch, ja, weltstädtisch. Es entstehen immer mehr Prachtbauten – und ich soll mich fürderhin daran beteiligen. So eine Auswahl an Geschäften und Restaurationsbetrieben gab es nicht einmal im alten Göteborg. Ich bin begeistert. Die Leute – so viele elegant gekleidete Leute auf einmal habe ich auch noch nie zuvor gesehen. Ich bin tief beeindruckt.
Wir sind uns alle einig, dass es eine weise Entscheidung war, uns hier niederzulassen. Ich bin Angestellter der Stadt und verdiene gutes Geld. Wir bewohnen eines dieser geräumigen Häuser. Es hat einen großen Garten, für welchen die Kinder überaus dankbar sind. Es ist schon ein anderes Wohnen als im engen Fort. Auch die Karrieremöglichkeiten sind hier in der Stadt andere als dort.
Max arbeitet hier in einer Werft und ist auch zufrieden mit seinem Verdienst. Olaf ist bei der Stadtverwaltung tätig. Hanne hat in unserem Haus eine Schneiderwerkstatt eröffnet. Bengt und Margaretha besuchen die Schule.
10. April anno domini 1665
Allmählich leben wir uns ein. Wir haben das Gefühl, endlich am Ziel angekommen zu sein.
Die beiden Jüngsten hängen sehr an Olaf. Er ist auch derjenige, der ihnen am meisten Zeit widmet. Siw hat viel in Haus und Garten zu tun und greift hin und wieder ihrer älteren Tochter unter die Arme. Es hat sich alles gut eingespielt. Ich danke Gott dafür.
Wir haben gleich nach unserer Ankunft die Familie Horn aus Friesland kennen gelernt, die schon seit einiger Zeit hier ansässig ist. Sie haben zwei Söhne, Tobias und Waldemar. Der Vater ist Drechsler und auch seine Söhne wollen diese Richtung einschlagen. Der Ältere, Tobias, hat sich gleich Mit Maxi und Olaf angefreundet. Er spricht schon fließend Englisch. Margaretha und Bengt sind auch schon recht flink in dieser Sprache. Kinder lernen schnell. Siw und ich hingegen brauchen da wohl etwas länger.
13. April anno domini 1665
Max, Olaf und Tobias sind viel zusammen unterwegs. Ich mache mir manchmal Sorgen bei ihren Streifzügen durch den Wald.
1. Mai anno domini 1665
In der letzten Zeit sind Olaf und Tobias allein unterwegs. Max geht seine eigenen Wege. Olaf und Tobias haben eine Menge gemeinsam und hängen oft zusammen. Sie unternehmen ihre Streifzüge nun meist ohne Max.
Den beiden scheint der Gesprächsstoff nicht auszugehen. Manchmal sitzen sie stundenlang auf einem Felsen und unterhalten sich.
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21. Mai anno domini 1667
Olaf und Tobias sind schon seit Stunden überfällig. Ich bete zu Gott, dass ihnen im Wald nichts zugestoßen ist. Ich mache mir Vorwürfe.
Sie sind wieder da. Was sie – freilich erst nach einigem Zögern – erzählt haben, hat mich sehr erschreckt. Sie haben sich am Wald verlaufen und wussten den Weg nicht mehr zurück. In der Nähe brüllte ein Bär, was sie dazu veranlasste, eine andere Richtung einzuschlagen. Was müssen sie an Ängsten ausgestanden haben! Da hörten sie auf einmal Knacken im Gebüsch. Schritte näherten sich ihnen. Das Gebüsch teilte sich – und hervor traten einige schwer bewaffnete junge Indianer. O Gott! Auf der einen Seite ein wilder Bär, auf der anderen tummelten sich Indianer auf dem Kriegspfad. Erst nach mehreren Sekunden bemerkten Olaf und Tobias, dass es sich dem Aussehen nach um Lenape-Indianer handelte, welche uns Europäern freundlich gesonnen sind. Tobias beherrscht deren Sprache und konnte ihnen erklären, dass sie sich verlaufen hatten. Die jungen Lenape antworteten, dass sich auf der Jagd nach einem gefährlichen Bären befänden und dass sie sich lieber in der Nähe der Stadt aufhalten sollten. Es sei für Weiße zu gefährlich. Sie wiesen ihnen den Weg aus dem Wald.
So erklärt es sich, warum sie so spät kamen. Ich hielt ihnen beiden eine Standpauke. Tobias bekam noch eine Extra-Standpauke von seinen Eltern, die gekommen waren, um nachzuschauen, ob ihr Sohn bei uns hängen geblieben sei.
Olaf war niedergeschlagen, so dass es mir beinahe leidtat, ihn so angefahren zu haben. Ich ermahnte ihn, das nächste Mal vorsichtiger zu sein. Da nahm die Geschichte eine Wendung, die ich nicht erwartet hatte.
„Mit Tobias an meiner Seite kann mir doch nichts passieren“, versetzte Olaf mürrisch. „Er kann doch alles: Er weiß, wie man Feuer macht. Er weiß, wie man Hasen fängt und zubereitet. Er findet sich im Wald zurecht, als wäre er dort geboren worden – bis auf jetzt; aber daran war der Bär schuld, der uns erschreckt und in eine völlig andere Richtung getrieben hat. Er kann sich sogar mit den Indianern verständigen. Er hat gesagt, dass er auch mit einem Gewehr und einer Pistole umgehen kann.“
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