So war es auch jetzt. Der Traum ihres Mannes beunruhigte sie. Sie spürte, dass von nun an Wachsamkeit geboten war. Sie deutete den Traum so, dass Mandane unter Schmerzen etwas hervorbringt, was das ganze Reich zerstört. Der unbekannte Junge freut sich augenscheinlich darüber. Von ihm ging also offenbar die Gefahr für das Reich aus. Aryenis und Astyages waren gewarnt.
Die Jahre gingen ins Land, aus Mandane wurde eine junge Frau, die ihrer Mutter immer ähnlicher wurde. Nicht nur in ihrem Wesen, sie war selbstbewusst, neugierig, unternehmungslustig. Auch ihr Äußeres ähnelte immer mehr dem ihrer Mutter. Das dunkle, lockige Haar, die dunklen Augen, die glatte, samtige Haut. Wenn Aryenis ihre Tochter manchmal unbemerkt beobachtete musste sie lächeln. Sie erkannte sich selbst in ihr und ihr war bewusst, dass eines nicht allzu fernen Tages die Frage der Hochzeit auf sie und ihren Mann zukommen würde. Auch Astyages war nicht entgangen, dass seine Tochter zu einem überaus hübschen Mädchen herangereift war.
Da ihnen außer Mandane kein weiteres Kind vergönnt war und somit auch kein männlicher Nachkomme, der den Thron erben könnte, stellte sich für Asytages die dringliche Frage nach der Thronfolge und dem Fortbestand des Reiches.
Die letzten Jahre waren geprägt von relativer Ruhe im Inneren. Die Streitigkeiten der einzelnen Stämme und das Aufbegehren der Bevölkerung waren weitgehend beigelegt, zumindest hatte es nach außen hin den Anschein. Dies war auch das Verdienst der Arbeit des Harpagos. Er behandelte die Bevölkerung respektvoll, die Menschen liebten ihn zwar nicht – wer liebt schon jemanden, dessen Aufgabe es ist, Steuern und Abgaben einzutreiben – aber sie respektierten ihn. Sie spürten, dass er sie fair behandelte. Vor allem in Zeiten der Not, in denen die Bauern selbst ums Überleben kämpften, presste er sie nicht aus. Andererseits gab es außenpolitisch aber auch keine wesentlichen Veränderungen. Es wurden keine Gebiete hinzugewonnen, die Tribute liefern könnten und der Bevölkerung zu mehr Wohlstand verholfen hätten.
Und genau dieser Umstand gefiel einigen Stammesfürsten seines Reiches nicht. Sie hielten den König insgeheim für schwach, trauten ihm nicht zu, das Wohl zu mehren und die Macht des Reiches auszuweiten. Gerne würden sie die Sache selbst in die Hand nehmen. Wieso es nicht mit den Persern aufnehmen, wieso nicht die Lydier attackieren und was ist mit Babylon? Mit denen hatte man zwar ein Bündnis, aber was heißt das schon. Sie sahen sich insgeheim vorbereitet und trauten sich zu, jederzeit loszuschlagen. Dass sie es bislang nicht taten lag zum einen daran, dass sie doch noch zu wenige Unterstützer in den eigenen Reihen hatten, zum anderen daran, dass sie im Falle einer – durchaus realen – Möglichkeit des Scheiterns nicht nur ihr Leben, sondern ihr Stamm auch seine Privilegien innerhalb des Reiches verlieren würden. Also warteten sie geduldig bis sich eine günstige Gelegenheit bot.
Es war nun keineswegs so, dass Astyages dieses Grundrauschen nicht wahrnahm. Als erfahrener Herrscher war er durchaus im Bilde, was die Stimmung und Befindlichkeiten bei seinen Stammesfürsten betraf. Der Informationsfluss in den Palast war verlässlich.
Und so fragte er sich, ob es in seinem Reich wohl einen geeigneten Schwiegersohn geben würde. Dieser wäre dann eines Tages zwangsläufig sein Nachfolger. Eine schwierige Entscheidung stand an. Sie würde nichts weniger als den Fortbestand des Reiches bestimmen. Und Astyages hatte seinen Traum von damals nicht vergessen. Dem Reich drohte Gefahr. Da war dieser Junge ohne Gesicht. Wer war er? Offenbar war er befreundet. Er freute sich über den Untergang des Reiches. Mandane hat ihm vertraut. Eine böse Falle.
Für Astyages konnte dies nur eines bedeuten: die Gefahr lauerte in den eigenen Reihen. Niemals durfte er seine Tochter einem Meder zur Frau geben!
Über Anschan ging die Sonne auf. Der Palast des Königs lag auf einer Anhöhe und das erste wärmende Licht des Tages ließ ihn in all seiner Pracht erstrahlen. Für die Bewohner war dies seit Alters her Zeichen und Sinnbild für die Macht des Herrschers, der über sein Volk wacht und von der ewigen Sonne beschienen den Schutz der Götter erhielt.
Dies war so seit Anbeginn der Zeit und wird auch bis zum Ende aller Zeiten so sein. Seit Jahrtausenden wohnten Menschen in dieser Stadt und nichts lag näher, als diesen von den Göttern auserwählten Ort zur Hauptstadt zu machen.
Kambyses regierte das Königreich Anschan seit vielen Jahren. In seine Rolle als Vasall des Königs der Meder hatte er sich eingefunden. Schließlich war er nach außen hin selbständiger König, was natürlich entsprechende Ehre und Privilegien mit sich brachte. Andererseits genoss er als Mitglied der Konföderation der Meder auch deren Schutz. Auch wenn er als Perser die Meder eigentlich eher mied, war dies ein nicht zu unterschätzender, ja geradezu lebensnotwendiger Vorteil. Schließlich arrangierte man sich bereits seit vielen Jahren mit dieser Situation. Schon, als sein Großvater Teispes die Stadt Anschan eroberte und diese somit persisch wurde, gelang es nicht wirklich, die Oberherrschaft der Meder abzuschütteln, ebenso wenig wie seinem Vater Kyros. Jedoch hielten sich die Bemühungen, an diesem Zustand dauerhaft etwas zu ändern, auch in Grenzen.
Kambyses hatte eine kurze Nacht hinter sich, als die ersten Sonnenstrahlen in sein Schlafgemach fielen. Pochende Schmerzen ließen seinen Kopf im Rhythmus seines Herzschlags erbeben. Was war nur geschehen? Mühsam und unter Schmerzen versuchte er, sich umzudrehen, um den Sonnenstrahlen in seinem Gesicht zu entkommen. Vergeblich. Die Sonne von Anschan konnte auch Fluch sein. „Hee“, rief er stöhnend und unter Aufbringung aller Kräfte. „Hee, ihr Taugenichtse! Wo seid ihr?“ Die Tür zu seinem Schlafgemach öffnete sich augenblicklich und zwei seiner Diener stürzten herein. „Wieso sind die Vorhänge nicht geschlossen… oh, mein Kopf“, stöhnte er in sein Kissen. „Du hast es uns in der Nacht verboten“, rechtfertigte sich einer der Diener. „Du wolltest die frische Nachtluft genießen und hast uns weggeschickt.“ - „Was? Kann mich nicht erinnern…“ – „Und deine Kleider durften wir dir auch nicht ausziehen!“ – „Was??“ Erst jetzt bemerkte Kambyses, dass er noch sein festliches Gewand am Leib trug - zumindest Teile davon. Was hatte das zu bedeuten? Er versuchte sich zu erinnern, aber in seinem Kopf drehte sich alles.
„Lasst mich in Ruhe. Verschwindet – und zieht die Vorhänge zu… ich muss erst wieder klar denken können.“ Die Diener taten, wie Ihnen geheißen und verließen das Schlafgemach des Königs. Sie wussten, dass es keinen Zweck hatte, mit ihm in diesem Zustand sprechen zu wollen. Obwohl sie ihn daran erinnern mussten, dass sich für heute hoher Besuch angekündigt hatte.
Es war durchaus nicht ungewöhnlich, dass im Palast ausschweifende Feste gefeiert wurden. Kambyses war bekannt dafür, kein Kind von Traurigkeit zu sein. Die Tafeln waren immer reich gedeckt und der Wein floss in Strömen. Zu seinen Gästen zählten zumeist Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, hochrangige Beamte und Staatsbedienstete, Adlige und die Oberschicht der Gesellschaft aus Anschan. Man war stolz, zu einem Fest im Königspalast eingeladen worden zu sein. Zeigte dies doch, dass man gesellschaftlich anerkannt und etabliert war. Die Chancen auf eine Einladung stiegen zudem beachtlich, wenn man noch eine unverheiratete Tochter hatte. Dass der König bislang ebenfalls noch unverheiratet war machte ihn natürlich zu einem äußerst begehrten Objekt in der Damenwelt. Wer würde sich nicht gern „Königin von Anschan“ nennen? Also fieberte man förmlich dem nächsten Fest beim König entgegen, in der Hoffnung auf eine der begehrten Einladungen – und tat zwischenzeitlich alles, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. So schadete es sicher nicht, dem König von Zeit zu Zeit eine kostenlose Lieferung seines Lieblingsweins zukommen zu lassen, edle Gewürze oder Tee, gerne auch Seidenstoffe, aus denen sich beispielsweise Vorhänge fertigen lassen. Alles mit untertänigsten Grüßen von Familie soundso.
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