Denn „es“ war so gut wie vollbracht: Alles geriet in die Wohlgeratenheit dessen, wozu N meinte, bestimmt zu sein: Zu seinem „Herrscheramt“, das von keinen Zufällen mehr betroffen sein durfte , - so wenig, wie eben ein Gott von Zufällen betroffen werden darf!
Am 11. August 1863, jedenfalls unter dieser Datumsangabe, dichtete N in Pforta mit „1“ bis „5“ betitelte „Lieder“, - mit regelmäßig 6 Strophen zu je 4 Zeilen, weltschmerzlich bis zum Herzerweichen aber völlig uninspiriert und für alles Poetische eher unbegabt. Danach entstand:
Was tönen meines Geistes Glocken? [was können solche gewesen sein?] Was bin ich doch so tief erschrocken Was lausch‘ ich ängstlich ihrem Schwunge [geht das überhaupt? Das Schwingen der Glocken dient doch nur dem vernehmbaren harten Anschlag des Klöppels gegen den Schlagring des Glockenkörpers!] Was kündet ihre Zauberzunge [was bis auf die Reimfähigkeit zum Glockenschwunge keinen erkennbaren Sinn ergibt!]? Wer wars der ihre Stränge [die Seile, mit denen die Glocken in Bewegung gesetzt wurden!] rührte Der meines Herzens Flamme schürte BAW2.257[was dazumal wohl auch nur des Reimes wegen geschah!]
Eine poetische Meisterleistung ergaben diese zusammengestoppelten Worte nicht. Danach folgte noch - unter dem Datum des 17. August 1863 inzwischen - ein vorerst letzter poetischer Erguss:
Wie das Leben auf und nieder schwankt Und sich bald an Rosen, bald an Dornen rankt [was einen schiefen Doppelmoppel ergeben hat], Wie es traumhaft schnell vorüberirrt [mit einem Widerspruch in der Wahl des Verbs!], Hier beklatscht, dort ausgepfiffen wird - S’ist ein Jammer, trostlos bis zum Grund‘, Sei’s nun ein Traum, sei’s Wahrheit. Hols der Hund! Dein Ordnungsgenosse [in den Pfortaer Hierarchien!] von ehedem zur Erinnerung für alle Zeit. Fritz N BAW2.268
Am 11. September 1863 schrieb N an seine Schwester nach Naumburg:
Meine Grüße voran! Siehe, ich bekam ihn am Schopfe, nämlich deinen [nicht erhalten gebliebenen] Brief, las ihn und lachte und als ich ihn ausgelesen, lachte ich noch einmal. Also förmlich entsetzt bist du gewesen, weil ich [in einem nicht erhalten gebliebenen Brief der letzten Zeit] nicht wie gewöhnlich über schmutzige Strümpfe, allerlei Wünsche meines Magens und meiner Kasse und ähnliche saubere Gegenstände [das war der Schwester aufgefallen!], die dir meine Briefe immer so teuer machen, geschrieben habe, sondern weil ich in einem Selektatöchterschulenstil [eine Privatschule für „höhere Töchter“], in sentimentalen, haarsträubenden Phrasen, den Wunsch aussprach, mir einige Noten zu besorgen: gewiss ein bescheidener Wunsch, der mir aber doch nicht Erfüllung gegangen.
Es tut mir leid, dir Schrecken gemacht zu haben, und ich will es gewiss nicht wieder tun, besonders wenn ich befürchten muss, dass du aus Schrecken über das Ungeheuerliche des Briefes seine Pointe ganz vergisst.
Wir haben gestern schlechtes Fleisch zu Mittag gehabt und werden morgen Klöse essen. Der eine meiner Stiefeln hat eine Oeffnung, welche man ein Loch zu nennen pflegt. Heute fand man im Primanergarten einen Vogel, der schon der Verwesung nahe war. Es war ein Spatz. Er duftete. Wenn es regnet, so wird es nass und wir haben keinen Spaziergang. Trotzdem hatten wir heute Spaziergang.
Beiläufig bin ich ein „ehrwürdiger Primaner, du eine ehrwürdige Schwester und Domrich ein Buchhändler. Und indem wir alle drei dies verbleiben, empfehle ich mich.
N.B. Ich hatte eben „Wäsche“, und bin nicht in der Stimmung, dir so gefühlvoll zu antworten, mein „Herzenslieschen, Zuckersüßchen, Mietzemieschen“, N.B. alles umschlossen von „Gänsefüßchen“. Frédéric. (377)
Ns Brief, der tatsächlich - seltenerweise ! - nichts von dem enthielt, was hier konzentriert und eben auch sonst auffällig zur Sprache kam, erwähnte allerdings in der Bitte, dass die Schwester ihm Notenpapier besorgen sollte, es sei für Anna Redtel gedacht. Ist Elisabeth ihretwegen, aus Eifersucht also, nicht darauf eingegangen? Es wäre eine für sie typische Reaktion die in späteren Jahren finstere Folgen zeitigen sollte. Aber irgendwie ist N zu Notenpapier gekommen, oder er hatte seine Reste aufgebraucht und musste die Noten aus diesem Grunde fein säuberlich abschreiben lassen, denn: Im September schenkte N der Schwester eines Pfortaer Schulkameraden aus dem auf der anderen Seite aber nur knapp halb so weit wie Naumburg von Pforta entfernt gelegenen Bad Kösen „einen Band mit eigenen Kompositionen, den er von einem Kopisten in sauberer Reinschrift hat schreiben lassen und der schön gebunden, in schwarzem Karton mit Goldvignette auf dem Deckel, von Ns Hand nur Titel und Widmung enthält“ J1.125und in Ns musikalischem Nachlass erhalten blieb: „Rhapsodische Dichtungen an Frl. Anna Redtel, im September des Jahres 1863“. N hatte gelegentlich mit ihr Klavier gespielt und auf einem Schulfest wohl auch mit ihr getanzt, was als Anzeichen für eine geschlechtsspezifisch für N vorteilhafte, weil normale „schwärmerische Verliebtheit“ gedeutet wurde, aber bei N kaum Spuren hinterließ. Anna Redtel bedankte sich für das Geschenk mit den auf eine Visitenkarte geschriebenen Worten:
Unmöglich kann ich verreisen ohne Ihnen vorher meinen herzlichsten Dank gesagt zu haben für das mir von Ihnen so freundlich zugedachte Notenheft. Da mir aber der mündliche Weg versagt ist, so sollen Ihnen diese Zeilen schriftlich versichern, wie herzlich ich mich darüber gefreut habe und dass ich noch oft und gern mich der schönen Stunden mit Ihnen zusammen verlebt erinnern werde. Ein herzliches Lebewohl ruft Ihnen Anna Redtel.
Nüchtern betrachtet war die aufwendige Verpackung dieser Noten mit immerhin 7 Kompositionen wohl eine der N häufiger im Leben unterlaufenden Unangemessenheiten in Hinsicht auf Beziehungen zum weiblichen Geschlecht, wo es gelegentlich sogar zu so unvorhersehbaren wie auch unangemessenen und ebenso erfolglosen Heiratsanträgen kommen sollte. Ende August hieß es der Mutter gegenüber anlässlich des Pfortaer Bergtages, einem Schulfest „bei dem angenehmsten Wetter der Welt. Schade dass ihr nicht da ward, es war sehr hübsch und amüsant. Ich habe leidlich viel getanzt. Frau Geheimrätin Redtel war da alsam [d.h. zusammen mit] ihren Töchtern. Ich werde sie öfter besuchen, da ich eingeladen bin und es sehr liebenswürdige Menschen sind.“ 29.8.63Darüber hinaus gibt es nur zwei weitere Erwähnungen ihrer Person.
Die September 1863 erteilten Zeugnisse sahen nicht rosig aus: Durch die Bank gut, mit Zweien bedacht, aber in Französisch abgerutscht stand N auf 4, in Mathematik auf 3, in Hebräisch schon länger auf 3.
Am 25. September 1863 schrieb N aus Pforta an seine Mutter nach Naumburg:
Liebe Mamma. Morgen also werde ich glücklich die letzte Stufe vor dem Abiturientenexamen erstiegen haben, die mir in Pforte noch zu ersteigen war: ich werden nach Oberprima versetzt [was in Relation zu dem, für wie genial man N zu halten bereit war, ein bemerkenswert später Abiturtermin, mit 20 Jahren endlich, war!]. Sende mir doch ja morgen Wäsche, insbesondre Taschentücher und außerdem das notwendige Übel, was mit jeder Versetzung verbunden ist: Geld. Also bitte. Ich denke du wirst nun wieder besser bei Kasse sein. [Das waren für ihn alles Selbstverständlichkeiten! Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass er sich, wie Freund Deussen es tat, je darum gekümmert hätte, woher das Geld kam.] Sonntag wollen wir uns doch jedenfalls in Almrich sehen, ich freue mich recht darauf ….. Nächsten Freitag also komme ich, hoffentlich werde ich noch Platz haben: richtet mir nur das Stübchen recht hübsch ein. Diese Tage jetzt arbeite ich sehr fleißig, es geht nun gewaltsam auf das letzte Jahr zu, man muss sich immer mehr anstrengen. Man lebt jetzt recht viel in der Zukunft und macht sich Pläne für die Universitätszeit: selbst meine Studien beginne ich schon darauf einzurichten …..
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