Die dritte Feststellung Ns bestand darin, dass diese „Gesetze oft den allgemeinen Grundsätzen von Moral und Recht zu widersprechen scheinen“, dies aber nicht wirklich tun, da für das Genie - oder „die Genies“ überhaupt und ganz allgemein - „unter den weitesten Gesichtspunkten aufgefasst“! - also andere Maßstäbe gelten sollten, was N - ohne tatsächlich bestehende Logik! - damit „begründete“, dass ihre „Erscheinung das Endglied einer [sicherlich evolutionär gemeinten!] Kette bildet“.
Dieses „Endziel“ bringt den selbständig denkenden Leser dem beabsichtigten Inhalt der Aussage näher, - nach Klärung der Frage, von welcher „Kette“ denn das von N hier gemeinte Genie „das Endglied“ bilden soll? - In Ns Vorstellung ist diese „Kette“ - hier noch nicht in aller Form deutlich genug ausgedrückt, ihm dennoch aber schon so im Sinne liegend - die „ Menschheitsentwicklung “ insgesamt! - also im nächstgrößeren Zusammenhang die Evolution schlechthin mit Ziel zum Übermenschen! Damit hatte er sich in seiner angeborenen und hier wieder aufscheinenden Maßlosigkeit von Anfang an des größtmöglich denkbaren Problems auf diesem Planeten angenommen: Grad so, als ob diese aufgegriffene „Menschheitsentwicklung“ ein - ihm auch noch (oder schon?) bekanntes ! - „Ziel“ nötig hätte oder überhaupt haben könnte: und all das bloß, damit „das Ganze“ in die Vorstellung und das „Gehirn“ eines Menschen wie N passen konnte?
Im Kern handelt es sich bei dieser Aussage Ns um das, was er sein Leben lang - dabei stets ohne genaueres Nachdenken über weitergehende Zusammenhänge, besonders ohne tieferen Bezug auf die ihn umgebende Wirklichkeit - geäußert hat: In knapp zwanzig Jahren wird genau dies, auf so gut wie unveränderte Weise, den Inhalt seiner „Zarathustra“-Dichtung durchtränken: Es ist der dann nicht mehr zu unterdrückende Aufruf zur „Erhöhung des Typus »Mensch«“ JGB.257, der Hauptforderung Zarathustras von den ersten Zeilen an, - jedoch von N erst in der Mitte der 80-er Jahre in seinem „Jenseits von Gut und Böse“ auf diese Kurzformel getrimmt.
In seinen jugendlich leichtsinnigen Zeilen über „Napoleon III“ - um den es N in Wirklichkeit gar nicht ging, denn jener war nur Kristallisationspunkt für einen N viel wichtigeren und von jenem völlig unabhängigen Gedankenfluss - fährt N fort:
In gleicher Weise nämlich, wie das Genie den Gipfelpunkt natürlicher und geistiger Harmonie bildet, von wo aus die Begabung des Menschen bis zu der beinahe tierischen Rohheit wilder Völker herabsinkt, in gleicher Weise ist dieser scheinbare Widerspruch der Geniegrundsätze mit den allgemeinen nur der äußerste Punkt einer allmählichen Erweiterung, parallel fortlaufend mit den Fortschritten der geistigen Entwicklung des Menschen. BAW2.23[Später wird dies unter dem Schlagwort „Rangordnung“ immer wiederkehren!]
Die Hauptaussage war, nach der zuvor eher „geschichtlichen“ Betrachtungsweise des Genies als „Endglied einer Kette“ - hier nun in qualitativer Betrachtungsweise, dass „das Genie den Gipfelpunkt natürlicher und geistiger Harmonie bildet“. N war halt dieser Ansicht. Damit wurde ihm das Genie zum einzigen, gottgleich superlativen Zentral- und Zielbegriff für alles Erstrebenswerte, ja, zum superlativen „Wert an sich“! Er meinte, dass es sich bei dieser Höher-Entwicklung um „Geniegrundsätze“ handle, grad so, als ob das, wie die Kreiszahl Pi - als Verhältnis des Kreisumfanges zu seinem Kreisdurchmesser - eine feststehende Größe im Universum wäre. Auch das wird später als Übermensch zum Dreh- und Angelpunkt spätestens des „Zarathustra“.
In seinem frühesten, gleichsam Anfänger -Text für seine Meinungen zu den von ihm für nötig gehaltenen Genie- Gesetzmäßigkeiten fuhr N fort:
Diese ganze Wahrnehmung beruht wieder auf einem allgemeinen Grundsatz: dass nämlich alles, was dem Menschen entgegentritt, nur unter dem Gesichtspunkt seiner geistigen Begabung aufgefasst werden kann [was N wieder von Emerson vorgegeben war. Er hatte es im „Essay“ mit dem Titel „Geistige Gesetze“ - und daher wohl auch sein so vielfaches Pochen auf „Gesetzmäßigkeiten“ - gelesen:]
Der Mensch ist eine Methode, ein progressives Arrangement; ein auswählendes Prinzip, indem er überall wohin seine Schritte ihn tragen, das ihm Gleiche sich zueignet. Er nimmt nur sein Eignes aus dem Mannigfaltigen, was um ihn her sich dreht und wendet. EE.107[Zusätzlich wurde diese Stelle von N seitlich mehrfach angestrichen. Dazu passt, was Emerson zwei Seiten weiter schrieb:]
Kein Mensch kann etwas lernen, wozu keine Anlagen in ihm vorhanden sind, wenngleich der Gegenstand seinen Augen nahe genug ist. EE.109
Und ebenso, - aus dem Essay „Verstand“:
Aber so wie er sich rückhaltlos [gleich maßlos?] dem hingibt, was ihn anzieht, weil das sein Eigentum ist, so muss er damit auch dem entsagen, was ihn nicht anzieht, was für Ruhm und Autorität auch damit verknüpft sei, weil es nicht sein Eigentum ist. Zum Verstande gehört ein vollkommenes Selbstvertrauen [doch was ist das, was macht es aus? Ist es begründet, oder beruhte es auf lediglich auf einem hohlen Dünkel?]. Eine Seele ist das Gegengewicht für alle Seelen, wie eine haarförmige Wassersäule für die See ist. EE.253[im Sinn von kommunizierenden Röhren, was als „Gleichnis“ hier aufgrund von Ns Logik-Schwäche hinsichtlich der Realität vollkommen fehlgegriffen war!]
Die Unterstreichungen stammen von N; zusätzlich wurde diese Stelle von N seitlich mit zwei Strichen markiert. Solche Sätze konnte N sicherlich für die Rechtfertigung seines Einmaligkeitsanspruches gut gebrauchen und so fährt sein „napoleonisch“ maskierter Text - er wird sich in späteren Jahren ausgiebig für die Einmaligkeitsmerkmale des ersten Napoleon interessieren - fort:
So ist alles für den Menschen eigentlich nur Schein; etwas natürlich muss Wahrheit sein; die Erkenntnis dessen ist für uns [für den dies dank Emerson erkannt habenden N und „seinesgleichen“!] nur Wahrscheinlichkeit. - [Danach ging er zu den „Realitäten“ über, an denen er seine Überlegungen aufzuhängen gedachte. Es heißt da:] Auf jener zuerst ausgesprochenen Wahrnehmung wurzelt auch die Rechtfertigung jenes Satzes, dass das An-sich-reißen einer Staatsregierung [wie Louis Napoléon Bonaparte das tat], die bisher [aber nach wessen Urteil und Interessen?] in unwürdigen Händen war, unter der Bürgschaft eines Herrschergenies und mit dem Zwecke des Volksglückes, untadelhaft sei ….. BAW.23
Was weiter folgt muss hier nicht unbedingt interessieren, denn N hat die festgestellte „Unwürdigkeit“ gegenüber der hoch idealisierten „Bürgschaft eines Herrschergenies zum Zwecke des Volksglücks“ als „absolut“ gesehen und nicht realisiert, wie sehr sich dies doch nur relativ aus der einen zu der anderen „Staatsregierung“ aus dem Urteil der Beherrschten ergeben kann. N hat hier - über alle Zweifel in diesen Dingen erhaben! - „das Genie“ als gegebene superlative Größe gegen den relativ „gewöhnlichen Menschen“ gestellt. Das so gewonnen geglaubte „Recht zu einem Zweierlei-Maß“ durchzieht sein gesamtes Denken, ohne je den Zusammenhängen zwischen dem „gewöhnlichen Menschen“ und dem N so wertvoll erscheinenden „Genie“ nachzugehen, - ohne je einen auch nur geringsten Animus dafür zu entwickeln, dass das so oft und in der „Erhöhung des Typus Mensch“ ja auf „Ewig hin“ zum Ziel allen Strebens und aller „Kultur“ erwählte „Genie“ neben dem gewöhnlichen Menschen keine Existenz nur „an sich“ oder „aus sich heraus“ besitzt , sondern - zu einem nicht zu vernachlässigenden Teil! - aus oder auch in „der Meinung der Anderen“ sein Ansehen und seinen Wert „als Genie“ erlebt , das heißt, dass es als Genie a) nur relativ! - im Unterschied zum „gewöhnlichen Menschen“ wahrgenommen wird und werden kann und sich damit, b) im Wesentlichen im Auge eines Betrachters und damit abhängig von dessen mehr oder weniger „genialen“ Wertungen „abspielt“ , denn sich selbst gegenüber ist das „Genie“ weitgehend ein „gewöhnlicher Mensch“. Die Berücksichtigung dieser Zusammenhänge fehlt in Ns Wertungen und damit auch im Wert seiner Stellungnahmen zu diesem Problem. Er war immer Betrachter und betrachtete drauflos. Von ihm wurde alles aus seiner selbstmittelpunktlichen Perspektive gesehen, ohne Distanz, - ohne Sinn dafür, dass es sich bei seinen „Gesetzmäßigkeiten“ um nicht mehr als nur um seine Perspektive handelte!
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