Für den Dichter, für den Propheten [und für etwas in diese Richtung hin hatte N sich schon damals - in seinem Schönburger „Herrscheramt“ vollauf erfüllt - gehalten! - so] hat das, was er ausspricht, einen [nach seinem immer schon als für ihn gültig gefühlten Zweierleimaß!] viel größeren Wert, wie für irgendeinen der Hörer und darum wird es gesprochen. Der kräftige selbstgefällige Luther [Bruder Martin, der deutsche kirchliche Reformator, 1481-1546] behauptete ausdrücklich, was aber nicht falsch verstanden werden darf, dass „Gott selbst nicht ohne weise Menschen bestehen kann“ ….. Jeder Prophet sucht sich unmittelbar mit seinem Gedanken zu identifizieren und hält seinen Hut und seine Schuhe für geweiht.
Wenn dies nun auch solche Leute bei den Klugen in Misskredit setzt, so hilft es ihnen beim Volke, weil es ihren Worten Feuer, Schärfe und Offenkundigkeit verleiht. Eine ähnliche Erfahrung wird häufig im Privatleben gemacht. Jeder der Jung und feurig ist, schreibt ein Tagebuch [oder auch nur ein Buch für Notizen, wie N!], in welches er seine Seele niederlegt, sobald die Stunden des Gebets und der Reue kommen. Die so entstandenen Seiten sind für ihn ein heller Strahl und Wohlgeruch: er liest sie auf seinen Knien um Mitternacht und beim Scheine des Morgensterns: er netzt sie mit seinen Tränen: sie sind ihm heilig: zu gut für diese Welt und kaum dem liebsten Freunde mag er sie zeigen. EE.404f
Genau dieser „Vorlage“ nach ist N mit seinem Emerson-Geheimnis verfahren, - denn auch er war überzeugt davon, allein das Richtige zu wissen und im Recht zu sein, mit seinen Überzeugungen und seinem Sein! - Im Gesamt der Richtigkeit dessen, was von Emerson hier, über N und für ihn zur Sprache gebracht worden war, galt der „schwache Blutandrang nach dem Kopfe hin“ nur als ein kleiner aber nicht unwichtiger Wahrheitsgehalt, über den N von Emerson aufgeklärt worden war! - und so war dieser leichter zu ertragen, als der ungeklärte, über den N knapp 11 Monate zuvor an seine Mutter geschrieben hatte, er „habe es nun wahrhaftig satt mit diesen Kopfschmerzen“ 16.2.61
In der Beschreibung eines „Blutandrangs nach dem Kopfe hin“ hatte der Kopfschmerz einen veredelnden und in einen größeren Zusammenhang gestellten „Namen“ gefunden und wurde von N, der das Ganze verinnerlicht hatte, auf der „Krankelei“ bei zunächst sich ergebender Gelegenheit für das, was ihn plagte mit genau diesen Worten angegeben. Daraus entstand, im ärztlichen Sprachgebrauch für Blutandrang das Wort Congestionen gesetzt, der Eintrag „Congestionen nach dem Kopf“. So ist die Neubeurteilung von Ns unverändertem Leid zu „erklären“, d.h. so ergab sie sich, einfach nur als ein neuer, in die N nun umfassenden Emerson-Wahrheiten eingewobener Fakt! In Wirklichkeit hatte sich nichts geändert, außer, dass der zuvor von N nicht näher bezeichnete Kopfschmerz als unerklärt und eigentlich undefiniert „rheumatisch“ bezeichnet, nun ein fachsprachlich akzeptierter Blutandrang geworden war. - Das zeitliche Zusammentreffen von Emersons für N in jeder Hinsicht überwältigend wirkender Lektüre und die fortan benutze Beschreibung für sein Leiden kann mit Sicherheit als nicht zufällig bezeichnet werden.
Im Laufe des Januar beschäftigte sich N mit Napoleon III., dem französischen Präsidenten von 1842 bis 1852, der sich dann sehr eigenmächtig zum zweiten - und letzten - französischen Kaiser machte, - bis 1870, in der Niederlage Frankreichs im Französisch-Deutschen Krieg 1870/71, an dem N als Sanitäter einen winzig kleinen heroischen Anteil nehmen sollte und machte sich Auszüge und Gedanken aus einem Werk über diesen.
Vielleicht sollte es ein Vortrag für die „Germania“ werden und war von N aus wohl einer gewissen, eher als „persönlich“ zu bezeichnenden Bewunderung von dessen „Willen zur Macht“, sich aus einer eher obskuren politischen Position heraus mittels verschiedenartiger Putsche zum „Kaiser der Franzosen“, also ins superlativistisch einzige und oberste , auf der elitären Stufenleiter durch nichts zu überbietende „Herrscheramt“ über ein Volk aufgeschwungen zu haben. N schrieb dies als ein Manifest seiner von Emerson ihm bestätigten Grundüberzeugung: Im gleichen Zusammenhang und auf gleiche Weise wie alles, was ihn - ziemlich blind seinem Wesen folgend! - inhaltlich in seine eigene „denkerische“ Zukunft wies: Was er hier, unter dem Titel „Napoleon III. als Präsident“ - an vielen hier nicht weiter interessierenden Einzelheiten zur Person von Charles-Louis-Napoléon Bonaparte - zusammentrug, wirkt aus der Kenntnis seiner später entstandenen Schriften - rückblickend auf diese Anfänge! - geradezu typisch: Die dort gelegten Vorurteile und Ansichten wurden später immer wieder, beharrlich und unbelehrbar wiederholt, - als von Anfang an immer das Gleiche. Er gesteht da - und selbstverständlich schwingt besonders im bedenkenlos angewandten Zweierlei Maß viel Emerson mit! - gleich im ersten Satz, worum es ihm bei der ganzen Übung wohl hauptsächlich gegangen ist:
Dass das Genie von andern und höhern Gesetzen abhängig ist, als der gewöhnliche Mensch, von Gesetzen, die oft den allgemeinen Grundsätzen von Moral und Recht zu widersprechen scheinen, im Grundsatz aber doch dieselben sind, wenn auch unter den weitesten Gesichtspunkten aufgefasst, das ist eine Erscheinung, die das [besonders hervorzuhebende und hervorgehobene] Endglied einer Kette bildet. BAW2.23
Nach diesem ersten Satz - mit einer recht atemlos dahingaloppierenden Aneinanderreihung von Nonsens letzten Endes! - ist bereits einzuhaken, um das von dem gut Siebzehnjährigen ganz offensichtlich ohne tieferes Nachdenken so selbstsicher Vorgebrachte zu gliedern, - um zu klären, was es mit dem Wust an zweimal vorausgesetzten „Gesetzmäßigkeiten“ und zweimalig unterstellten „Grundsätzlichkeiten“ auf sich hatte. Derlei unbewiesene Unterstellungen waren einfach nur aufgestellte B ehauptungen . In dem unübersichtlich gehaltenen Satzgefüge bleibt von vornherein unklar, welche „höheren“, das heißt ja als allgemeingültig zu erachtenden „Grundsätze“ N hier heranzog, beziehungsweise als absolut „selbstverständlich“ annahm, um den ersten Anlauf zu seiner „Genie-Theorie“ auf vermeintlich feste, logisch nachvollziehbare Grundlagen zu stellen:
Was ist diesem dogmatisch und belehrend gemeinten Satz zu entnehmen? Zuerst haftet im Bewusstsein die letzte Feststellung, dass „das Genie das Endglied einer Kette bildet“, wobei als sicher gelten darf, dass N mit diesem Ergebnis einer Entwicklung nicht Louis Bonaparte persönlich im Auge hatte, sondern dieser nur Vorwand war, um sich über die von ihm angenommenen und auch für ihn selber gelten sollenden „Gesetzmäßigkeiten des Genialen“ auszulassen. Zum Zweiten erstaunt der Satzbeginn: „Dass das Genie von andern und höhern Gesetzen abhängig ist, als der gewöhnliche Mensch“. Schon da erschien das auf Ns „Problem seines Lebens“ hinweisende Gegensatzpaar : Da war das undefinierte „Genie“ nicht mit , sondern von Anfang an gegen „die Anderen“ gesetzt! - Und dass die so früh beschworenen „Gesetze“ für das Genie „höhere“, also wichtigere seien! Es handelt sich eindeutig um die festzustellende „Notwendigkeit“ und „Rechtfertigung“ seines ihm angeborenen Zweierleimaß : Ein höheres für die „höher“ zu achtenden und ein „gewöhnliches“ für die - nach wessen Entscheid? - gering zu achtenden „gewöhnlichen Menschen“, was sich wohl leicht akzeptieren lässt, wenn man sich für versichert hält, dass man sich nicht zu den Letzteren zählen muss, sondern an sich - und „die Anderen“? - den Anspruch stellt, als „ genial “ gelten zu können oder dies zumindest doch zu wollen !
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