Genauer und stocknüchtern nach dem Inhalt von Emersons Absatz gefragt: Was sollten das für „kurze Momente“ sein, - von denen sich derjenige kaum eine Vorstellung machen kann, der nicht Gelegenheit hatte, „sie“ oder dergleichen „am eigenen Leib“ oder durch direkte Beobachtung zu erfahren? - Woran denkt hier jemand, der solche „Momente“ nicht aus unmittelbarer Erfahrung kennt? Ist überhaupt festzulegen , was diese - oder ja vielleicht auch irgendwelche ganz anders gearteten, gar mit tausendfach verschiedenerlei Inhalten belasteten - „kurzen Momente“ zu bedeuten, zu erfüllen, zu verklären, auszumachen und zu veranlassen haben? Das wurde nicht näher zum Ausdruck gebracht und somit dem weiten Feld der Beliebigkeit überlassen: Jeder mag darunter verstehen, was ihm behagt, ihm nahe liegt, bewegt, bedrängt, nach Erklärung verlangt, - wenn sich solches denn in einem wie auch immer betroffenen persönlichen Erlebnisbereich ereignet ! - aber für den Gewöhnlichen, „normalen“, ein unzugänglich theoretisches Konstrukt bleiben muss.
Zwar wird bei Emerson und bei N die Tatsache derartig „kurzer Momente“ angesprochen , ansonsten aber mit Schweigen bedeckt, welcher Art und welchen Wesens sie sind, sein dürfen, sein sollten, sein können, - religiös, fanatisch, erwählt, verpflichtend, missionarisch oder nur besserwisserisch? Und so fort. - Nur ganz wenig darüber hinausgehend wird ohne Begründung festgestellt, welche relative und selbstmittelpunktlich beurteilte Wertigkeit ihnen innerhalb der Gesamtwahrnehmung der Welt zukommen sollte und unvermittelt ist damit ein Zweierlei-Maß-System installiert und legitimiert - gewissermaßen zur allgemeinen Benutzung freigegeben! Das ist eigentlich alles. Jemand, der keinerlei persönliche Berührungspunkte mit solchen „kurzen Momenten“ hatte, hat und oder sogar haben kann, liest leicht darüber hinweg ohne sich von dem universalen „philosophischen“ Unsinn, der in dieser Pandora-Büchse steckt, eine verständliche Vorstellung machen zu können. - N schien nicht nur solche Berührungspunkte und Erfahrungen gehabt zu haben, er hatte sie. Das ergibt sich aus diesen und vielerlei nachfolgend anzuführenden Äußerungen und Zusammenhängen und in diesen wurzelt Ns Heftigkeit, Festigkeit und unverbrüchliche Dauerhaftigkeit sowie die bei ihm so auffällig ungewohnte, vollkommene, ja geradezu „hörig“ zu nennende Kritiklosigkeit und Anhänglichkeit in seinem lebenslangen Verhältnis zu Emerson: Und dies - im krassen Gegensatz zu allem sonstigen! - berührt und klärt auch die Frage der Geheimhaltung des ganzen „Komplexes“ Emerson. Es hat „ums Verrecken“ keinen Grund gegeben, irgendjemanden hinter diese letztlich doch als etwas zu Intimes empfundenen Zusammenhänge blicken zu lassen!
Die zwangsläufig nächste Frage, die sich zu Emersons Einleitung zur „höheren Seele“ stellt, richtet sich auf die Art, den Inhalt und den „Gehalt“ dieser offenbar außerhalb der Norm des Alltagslebens liegenden „kurzen Momente“. Dabei geht es um Ereignisse, Vorgänge und Zustände, über welche bis zum Zeitpunkt, wo N Emerson erstmals zur Kenntnis nahm, nur sehr wenige aufschlussreiche Hinweise vorliegen: Nämlich aus dem einfachen Grunde, weil N diese ihm gar nicht mit verständlich erscheinenden Worten „zu fassen bekam“, das heißt ausdrücken konnte! In wenigen Andeutungen werden sie auch erst im Nachhinein, aus späteren Auffälligkeiten erkenntlich und „verständlich“. Sucht man nach derlei - eben außerhalb der gesunden, „normalen“ Lebensalltäglichkeit! - beispielsweise im Pfortaer Krankenbuch, so gibt es dort bis 1861 nur wenige und zudem inhaltlich spärliche Einträge:
„1859 Rheumatismus 15.-20.3.; Katarrh 2.-9.11.“ Unbekannt sind die Symptome des Unwohlseins. Für 1860 wurde notiert: „Katarrh (30.12.1859) 5.-16.1.; Rheumatismus (4.12.) 12.-26.6.“ J1.128Das sagt nicht viel aus. Es belegt nur, dass die von der Schwester übermittelte Legende vom stets überwältigend gesunden N nicht stimmen konnte. Nach einer „Erkältung“ vom 18.1.1861 mit nicht unerheblichen Kopfschmerzen „vom 19. bis 27. Januar 1861“ J1.128war N nach einer Unterbrechung von knapp drei Tagen „vom 30. Januar bis zum 17. Februar“, wieder wegen heftiger gewordenen, angeblich „rheumatischen Hals- und Kopfschmerzen“, auf der Krankenstube, die unter den Kameraden - nie aber von N! - auch die „Krankelei“ genannt wurde, stationiert, was bei den unzimperlichen Pfortaer Erziehungsmethoden nur passierte, wenn es wirklich nicht zu umgehen war. Danach wurde N, weil die Kopfschmerzen immer wieder auftraten - „Ich habe es nun wahrhaftig satt mit diesen Kopfschmerzen; es wird nicht besser und kommt immer wieder. Die kleinste Anstrengung des Kopfes macht mir Schmerzen“ 16.2.61- zu weiterer Genesung „als Rekonvaleszent nach Hause (Naumburg)“ und somit auch aus der Teilnahme am Schulunterricht für die Zeit bis Ende Februar entlassen.
Nachdem er dann, in den letzten Tagen des Februar, wieder in Pforta war, schrieb er: „Meine Kopfschmerzen sind nur ein paar Mal wiedergekehrt; es wird schon gehen ….. Mit dem Arbeiten will es heute Morgen noch nicht recht gehen, die Kopfschmerzen haben sich auch wieder eingestellt. Ich muss mich allmählich daran gewöhnen.“ 26./27.2.61Vom 4. bis zum 16. November desselben Jahres machten N die Kopfschmerzanfälle schon wieder zu schaffen und sollten sich - nach und nach bösartiger werdend! - zu einem lebenslang schweren Leiden entwickeln. Irgendetwas war da also nicht so, wie bei anderen Jungen in seinem Alter. Mehr ist aus dem Pfortaer Krankenbuch für diese Zeit kaum ableitbar.
Die eigentlichen Hinweise auf Besonderheiten in Ns Anlagen kamen von ganz woanders her und aus wesentlich späteren Zeiten, denn aus den Massen der schriftlichen, Fakten bildenden Materialien, die während seiner Lebenszeit angefallen waren, geht sonderbarerweise - von Ns hochsubjektiven, aus jeweils unterschiedlichen und auch widersprüchlichen Stimmungen heraus gefällten Urteilen abgesehen! - kaum etwas hervor, woraus sich auf irgendwie Verlässliches, klar Nachweisbares schließen ließe.
Dass N, neben der vom Vater ererbten, extremen Kurzsichtigkeit und überdies, wie sich bei weiteren Ahnen zeigte, auch in seinem Wesen auffällige Verhaltensweisen zeigte, wie beispielsweise dass er extrem „schulgesetzbedürftig“ sowie auch ausgeprägt „herrscheramtlich“ veranlagt war und in seinem ebenfalls extremen Verlangen nach „Einsamkeit“ und seinem „Ehrgeiz bis zum Defekt“ NR.320- was aber erst einem späteren Freund Ns in Basel als besonderes Merkmal an ihm auffiel - „begabt“ oder auch „belastet“ war, jedenfalls mit seinen Anlagen in mancherlei Hinsicht ziemlich weit abseits der Norm lag, ist bereits deutlich geworden beziehungsweise wird es in weit stärkerem Maße noch werden. Eine früheste „Bedingung“ für all das dürfte weit mehr als in seinem Umfeld, in seinen ererbten Anlagen zu suchen sein: Aber die Hinweise darauf brachte erst der offensichtliche, durch nichts mehr zu überspielende und nicht mehr in Genialität umzudeutende Ausbruch seines geistigen Krankseins im ab da hilfsbedürftigen Zusammenbruch Anfang 1889: Die völlige Unfähigkeit , mit der Realität des einfachen Lebens zurechtzukommen und diese Tatsache auch nicht mehr mit herrlich stilvollen Argumentationen verschleiern zu können, brachte es an den Tag! Allerdings erhielten vorerst und lange Zeit vor allem von außen kommende und genommene Begründungen für Ns Versagen den Vorzug, weil solche der angeblich bis zum Zusammenbruch makellos funktionierenden „Geistigkeit“ eines unvergleichlichen „Denkers“ damit kein Schaden zugefügt werden konnte.
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