Nachdem meine Frau und ich aus Hongkong zurück gezogen waren, trafen wir uns mit einer Bekannten von mir. Sie war meine frühere Arbeitskollegin, Zuza, und wir kannten uns gut. Aber wir hatten schon längere Zeit nichts mehr von einander gehört: Sie wurde gegangen und kam bei der Konkurrenz unter, ich war in diese Zeit in verschiedensten Ländern Asiens unterwegs.
Es war mein erster Job und wir saßen zusammen im Büro. Sie war genau der Mensch, den ich mochte: verrückt, laut, einfach ein klasse Typ. Sie war zwar nicht immer einfach und gerne auch berühmt und berüchtigt, da sie so gar nicht die Eigenschaften einer Dame verkörperte. Trotzdem konnte sie gut mit Kunden umgehen und auch im Unternehmen war sie angesehen.
Was noch an ihr auffällig war, war ihre trockene Haut, die sie vor allem im Gesicht und an den Händen hatte. Es schien jedoch, dass ihre Haut und deren Trockenheit sehr starken und spontanen Schwankungen unterlag. Während sie an einem Tag aussah wie meine Schwester, die als Kind stark unter Neurodermitis litt, sah sie am nächsten Tag wieder ganz normal aus.
Schon damals hatte sie mir erzählt, dass sie ihre Ekzeme und sonstigen Hautkrankheiten davon hätte, im früheren Leben als Hexe verbrannt worden zu sein. Die alten Brandwunden kamen wieder auf. Ich hielt wenig bis garnichts von solchen Dingen, aber jede darf ja glauben, was sie will.
Zuza und meine Frau hatten sich bei der Schwangerschaftsgymnastik wieder getroffen. Jetzt saß sie vor mir mit ihrem Mann. Er war mir neu. Den Ex-Freund hatte ich noch getroffen, bevor ich nach Asien gezogen war. Wie ich wusste, hatten die beiden damals Probleme mit der Familienplanung gehabt. Es wollte einfach nicht funktionieren, soviel die beiden sich auch um ein Kind bemühten. Dies belastete ihre Beziehung stark.
Ohne dass ich überhaupt eine Frage stellen musste, begann Zuza auf ihren runden Schwangerschaftsbauch zu schauen und ihn zu streicheln. Eine Erklärung hatte sie auch parat: „Nur durch ihn bin ich schwanger. Mit einem Anderen wäre das nicht gegangen.“
Nachdem wir zu viert, zwei schwangere Frauen mit zwei werdenden Vätern, am Küchentisch platz genommen hatten, begann Zuza zu erzählen. Sie erzählte, wie die Beziehung mit ihrem Ex in die Brüche gegangen war und wie es dazu kam, dass sie gleich darauf mit dem über zwanzig Jahre älteren Vlad zusammen kam. Er war zu diesem Zeitpunkt noch verheiratet, hatte eine Frau und eine erwachsene Tochter.
Sie erzählte, dass sie Vlad während eines mystischen Treffens kennengelernt hatte. Bei einem dieser Treffen hatte es zwischen den beiden gefunkt, und das wohl so heftig, dass beide ihr bisheriges Leben über den Haufen geschmissen hatten. Nach nur zwei Wochen war Zuza schwanger. Wie sie sagt: „Er hat gezaubert, um alle Geister zu vertreiben. So wie jetzt auch.“
Erst jetzt bemerkte ich, dass ihr Mann seine Augen geschlossen hatte. Das Gesicht als Grimasse stark verzogen schnaufte er und schob irgendwelche eigenartigen Dinge durch die Gegend. Als wenn er irgendetwas zu Boden drücken würde. Ok, jeder hat seine Macke.
Desweiteren war Vlad zwar zwanzig Jahre älter und ging stolz Richtung Rentenalter, trotzdem sah er fast schon jünger aus als seine schwangere Frau. Er hatte eine Haut wie ein Baby, bei dem fast 60-jährigen waren fast keine Falten auf seinem Gesicht zu erkennen. Vlad hatte das Alter meiner Eltern, trotzdem sah er viel jünger aus. Einzig die Haare seien gefärbt, erzählte uns Zuza.
Im Laufe des Abends kamen wir auf meinen zweiten Vornamen zu sprechen. Ich hatte ihn von meinem Taufpaten bekommen, den ich im Leben genau dreimal gesehen hatte. Wie ich erfahren musste, bestand keinerlei Interesse an mir (wiederum eine Sache, die mich in meinem Leben lange begleitete). Da ich nach alter Tradition römisch-katholisch getauft und erzogen bin, war mir bekannt, was ein Taufpate eigentlich für eine Funktion haben sollte. Ein Taufpate sollte die elterliche Funktion übernehmen, sofern den Eltern etwas passiert. Dieser Brauch ging weit zurück und wurde im Mittelalter sicherlich oft benötigt. Mein Taufpate sah das dann wohl genauso.
Verwunderlich ist für mich bis heute die Tatsache, dass ich genau dreimal in meinem Leben mit meinem zweiten Vornamen konfrontiert war: das erste Mal im bei der Ausschreibung meiner Taufe. Der Pfarrer hatte sich den Namen so so undeutlich aufgeschrieben, dass er mich danach gleich zweimal taufen musste – einmal falsch als Grad Javar, einmal richtig als Grad Javier. Das zweite Mal kam ich mit meinem zweiten Vornamen beim Einschreiben an einer deutschen Universität in Berührung. Die Dame aus dem Studentenbüro erzählte mir, dass sie mich nicht einschreiben könnte, da der Studienplatz auf einen Grad Javier Lord. Nachdem ich versucht hatte, ihr zu erklären, dass ich dies ja sei, zeigte ich ihr meinen Personalausweis. Die Dame holte zum Gegenangriff aus und zeigt mir mein Abiturzeugnis mit dem Namen Grad Lord. Ich musste also erst mein Abiturzeugnis ändern lassen – Dank der deutschen Demokratie.
Zum dritten Mal passierte es bei meiner Hochzeit. Diesmal auf einem Standesamt in Osteuropa. Ich gehe davon aus, dass der Standesbeamte ein Basketballfan gewesen sein musste. Es gibt für mich keine andere Erklärung, warum man meinen Namen sonst als Grad Jabber Lord lesen konnte. Nur zur Info: Kareem Abdul-Jabber war in den 70er und 80er Jahren der Basketballspieler, der in der Nordamerikanischen Profiliga die meisten Punkte erzielt hatte. Dieser Rekord ist bis heute gültig.
Ich hatte bereits öfter darüber nachgedacht, den Namen streichen zu lassen. Allerdings hatte ich es bis dato nicht getan. Es gab immer wichtigere Dinge in den Momenten, in denen für so etwas Zeit gewesen wäre. Ich denke, viele Menschen kennen das.
Dann kam die Frage von Vlad: „Willst du damit etwas machen?“
„Du meinst, den Namen ändern.“
„Nein, ob du das schlechte Gefühl loswerden willst.“
„Liebend gern.“
Danach fing Vlad wieder an, Luft auf den Boden zu drücken und unsichtbare Wände zu verschieben. Nach ein paar Minuten fragte er mich, wie ich mich jetzt fühlen würde, wenn ich an meinen zweiten Vornamen dachte. Meine Antwort: „Ist doch irgendwie egal“ quittierte Vlad mit einem „Genau das ist es. Es macht dir keine Probleme mehr.“
Dies war das letzte Mal, dass mich mein zweiter Vorname in irgendeiner Weise aufgeregt hat. Mittlerweile habe ich mich an ihn gewöhnt, mein Kürzel GJL steht mir besser als einfach nur GL. Es war der Anfang für mich, die spirituelle Welt zu entdecken.
Kapitel 2: Energie und was dahinter steckt
Nach diesem Abend fing ich an, mich mit Energie, Wahrsagung, Mystikern und weiteren Themen intensiver zu beschäftigen. Ich wusste nicht genau, welche Schlüsse ich aus diesem Abend ziehen sollte. Ich konnte mich selbst noch nicht dazu durchringen, dies einfach so hinzunehmen, schaffte es aber auch nicht, dies als harmlose Spinnerei abzutun.
Auch meine Frau war am Anfang noch skeptisch. Meine Frau, diejenige, die an Energie und Vorherbestimmung glaubte, war dem doch noch eher zugetan. Wir waren von den Ereignissen überrauscht und wussten nicht, wie wir diese einordnen sollten. Wenn es stimmte, was Vlad erzählte, konnte er viele Dinge beheben. So wie ein moderner Rasputin oder auch Bruno Gröning.
Nach längeren, aber fruchtlosen Diskussionen beschlossen wir, einen Versuch zu wagen. Ich entschied mich, mit meinen dringensten Wehwehchen zu Vlad zu gehen: die Arbeit.
Nachdem ich aus Hongkong zurückgekehrt war, hatte ich eine Stelle als Werksleiter angenommen. Ich war verantwortlich für 230 Mitarbeiter. Die Stelle war meine absolute Wunschstelle zwischen allen Bewerbungen gewesen. Es war der logische nächste Schritt auf der Karriereleiter. Werksleiter war das, was ich in meinem Leben einmal erreichen wollte. Mit den Eigentümern hatte ich gute Vorgespräche geführt, die Chemie schien zu stimmen. Ich sollte langsam an die Position des Werksleiters herangeführt werden, diesen dann bei Rentenantritt ersetzen, und perspektivisch sogar eine Chance auf die Betriebsleitung erhalten. In meinen Augen war das genau die Chance, die ich mir selbst immer ausgemalt hatte.
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