Doch die Phasen der Klarheit wurden immer länger. Es hatte sogar schon für zusammenhängende Gedankenspiele gereicht, etwas was er auch vor seinem Tod nicht immer geschafft hatte.
Diese zusammenhängenden Gedanken warfen die Frage auf, ob die Nekromanten seine Feinde waren oder nicht. Wie würden sie reagieren, wenn sie erkannten, dass er sich aus dem Untotendasein lösen konnte? Solange er sich darüber nicht sicher war, sollte er … . Weiter war er in den Gedanken bisher noch nicht gekommen, aber tief in seinem Inneren wusste er, dass die Beantwortung dieser Frage entscheidend für den Fortbestand seiner Existenz sein konnte.
Jetzt spürte Rrordrak das Ziehen, die Forderung des fremden Geistes, der seinen Körper beherrschte, das ihn antrieb dem Grauen, der das Zelt dort verließ zu folgen. Noch war dieser fremde Geist viel stärker, daher folgte Rrordrak ihm widerstandslos, doch wie lange noch?“ Ilana, hast du einen Moment Zeit? “
Jorina winkte die junge Elfin zu sich. Nach der Rückkehr ins Schloss hatten Nat, Tally, Odu und Mahti kurz von den Vorkommnissen der letzten Stunden berichtet. Man hatte den Gefangenen, der Nat und Tally den Hinweis auf das Haus am Hafen gegeben hatte in Schutzarrest genommen, bis seine ehemaligen Kumpane gefangen genommen waren. Dem Botenjungen und seinen Freunden hatte man einige Goldstücke als Belohnung gegeben, woraufhin sie gelobt hatten, immer als Boten und als unauffällige Späher zur Verfügung zu stehen.
Tally hatte die Jungen eindringlich ermahnt, sich nicht in Gefahr zu bringen und immer genug Abstand zu halten. Vielleicht hatten die Männer am Hafen gesehen, wer ihnen Steine auf den Kopf geworfen hatte. Zuerst einmal sollten die Kinder auf sich aufpassen und den Straßen vielleicht etwas fernbleiben.
Und Nat hatte ihnen gesagt, und das machte ihn immer noch fassungslos, dass sie darauf achten sollten in die Schule zu gehen, weil nur dann etwas aus ihnen werden konnte, was über die Tätigkeit als Hafenarbeiter, Soldat oder einfacher Handwerker hinausging.
Ein Schauder überlief ihn, wenn er daran dachte. Was wurde nur aus ihm? Wurde er etwa ernsthaft und vorsichtig?
Jetzt löste sich die kleine Versammlung auf und alle machten sich daran, die weiteren Vorbereitungen für den Aufbruch aus Arkadien zu treffen.
Jorina wollte aber die Gelegenheit nutzen, um Gedanken zu ordnen, die ihr unablässig im Kopf herumspukten. Doch dafür brauchte sie die Hilfe der Elfin.
„Ich möchte dir einige Fragen stellen, zu dem plötzlichen Aufbruch Garondirs und der Elfen.“
Ilana streckte das Kinn vor.
„Ich bin nicht gut darin, über die Elfen zu sprechen. Ich verstehe ihr Verhalten nicht gut genug, um beurteilen zu können, warum sie etwas tun oder nicht tun. Ich weiß nicht, ob ich helfen kann.“
Jorina lächelte.
„Ich glaube, du weißt viel mehr als du dir selber eingestehen kannst. Du blickst nur aus einer anderen Richtung. Du siehst das Verhalten der Elfen nicht als eine Elfin, sondern als jemand, die aus verschiedenen Gründen sehr viel enger an die Elfen gebunden ist, als alle andere. Du hast sofort gemerkt, dass Garondir verschwunden ist, ich habe deine Reaktion gesehen. Seit dem wirst du dir Gedanken gemacht haben, warum er so plötzlich und so unvermittelt aufbrechen ließ.“
Sie blickte die junge Frau abwartend an.
Ilana zögerte. Natürlich hatte sie sich Gedanken gemacht, ihre Überlegungen waren in verschiedene Richtungen gegangen, aber immer wieder an einen Punkt zurückgekehrt. Doch sie wusste nicht, ob sie der alten Frau ihre Überlegungen mitteilen wollte.
Auch wenn die Elfen sie verstoßen hatten, so waren sie doch mehr ihr Volk als jedes andere auf dieser Insel. Auch den Menschen war sie sehr nahe, durch das menschliche Blut, das in ihr Adern floss, den Menschenfreunden, die sie hatte und durch ihre Liebe zu Sharn. Ja, sie gestand sich vorbehaltlos ein, dass sie sich in den jungen Mann verliebt hatte. Sie wusste nicht woran es lag, aber sie erkannte dieses unfassbar starke Gefühl, dass ihre Mutter ihr in schillernden Farben beschrieben und ihr so sehr gewünscht hatte. Ein Gefühl, dass die kühlen Elfen nie erleben, nie zulassen würden. Es brachte auch Probleme, wenn sie in einem Kampf Angst um Sharns Leben hatte. Aber das war kein Grund, darauf zu verzichten.
Doch jetzt ging es um die Frage, ob sie ihre Gedanken mit Jorina teilen wollte, auch wenn dies vielleicht bedeutete das Volk, bei dem sie aufgewachsen war in ein schlechtes Licht zu stellen.
In ihre Überlegungen hinein kam die Alte ihr zuvor, wie um die letzte Mauer ihrer Zurückhaltung zu überwinden.
„Sie wissen etwas.“ Die Stimme der Alten war rau und trocken, die Worte hart und klar.
„Sie wissen, was dieser Stein ist, wie er entstanden ist und woher er kommt. Und sie wissen, wo er ist. In wie weit sie für die Mächte des Todes verantwortlich sind, die in diesem Artefakt zu liegen scheinen, bin ich ratlos. Aber sie hätten uns sehr viel weiter helfen können.“
„Hätten … können. Ja, ich stimme dir zu, das hätten sie können, aber sie hätten es niemals getan Es muss ein dunkles Kapitel in ihrer Geschichte sein. Garondir ist nicht so beherrscht, wie er es gerne wäre. Kein so unbeseelt erscheinender Elf wie die meisten anderen. Er trägt eine tiefe Wut in sich, die so groß ist, dass sie immer wieder die eisernen Fesseln der Beherrschung sprengt, die jeder Elf bis zur Selbstgeißelung übt und verinnerlicht. Er war sehr wütend, aber er war keinen Augenblick überrascht. Er wusste, was kommen würde, als wir den Staub des Monolithen gefunden hatten. Eigentlich eine Überraschung, dass er dann noch da war.“
„Er konnte nicht wissen was wir vorfinden würden. Er hatte geglaubt, wir finden …nichts oder etwas anderes. Doch der Hinweis auf ein möglicherweise großes, nekromantische Fertigkeiten unterstützendes Artefakt, das hatte er nicht erwartet. Ja, er wusste genau, wovon wir reden. Doch vielleicht ist er der Einzige.“
Die Alte sah die Elfin fragend an.
„Ich kenne die Strukturen der Elfen genau genug um zu wissen, dass es einen Elfenrat gibt, der die Entscheidungen über die Angelegenheiten der Elfen trifft. Mindestens die Mitglieder dieses Rates müssen davon wissen, wenn es eine Beteiligung der Elfen gegeben hat.“
„Ja und nein.“ Ein schmales Lächeln hellte die Züge der schönen Elfin auf. „Es gibt den Elfenrat und er ist dazu auserkoren, die Geschicke der Elfen zu leiten. Aber seit Anbeginn der elfischen Geschichtsschreibung hat es Beispiele dafür gegeben, dass Mitglieder des Rates oder andere hervorragende Elfen Entscheidungen getroffen haben, Dinge in Bewegung gesetzt haben, die dem Wohl der Elfen dienten und ihre Vormachtstellung in den bekannten Welten hervorhoben. Der Elfenrat ist in solchen Dingen häufig zu unbeweglich und die Erfüllung der Wünsche aller Haine blockiert viele Wege. Diese werden dann von anderen Mutigen begangen. Es sind natürlich auch keine Beispiele bekannt, dass ein solcher Alleingang jemals zu einem schlimmen Ende geführt hätte.“ Ein kurzes, bitteres Lachen. „Das würde ja auch bedeuten, dass Fehler gemacht worden wären und das ist natürlich undenkbar.“
Jorina nickte verstehend.
„Das heißt, es kann sehr wohl so sein, dass einzelne Elfen um die Entstehung oder Herkunft des Artefakts wissen, dieses aber niemals zugeben würden und alle Gerüchte oder Tatsachen darüber aus dieser Welt verbannen möchten? Dass Garondir seine Elfen zurück in die Wälder führt, um eine mögliche Beteiligung weiterhin zu vertuschen.“
„Und das nicht nur uns gegenüber, sondern auch seinen eigenen Leuten. Wie ich schon sagte, ein Fehler wird in der Elfenwelt nicht bekannt gemacht, wird verschwiegen. Und das ist schwierig, wenn hier die Erkenntnisse getroffen werden und dann ein gemeinsames Vorgehen zur Aufklärung führen soll. Dann würden mindestens die Elfen in dem Trupp, der vor den Toren lagerte, mit der Zeit weitere Tatsachen erfahren.“
Читать дальше