Der älteste aus der Gruppe trat vor und blickte sich ruhig um.
„Ich werde noch einmal kurz die Situation zusammenfassen, damit wir alle wissen, an welchem Punkt wir jetzt stehen.“
Garondirs Augen schienen Blitze zu schießen, doch der Alte blieb davon ungerührt.
„Der Hohe Rat der Elfen hatte beschlossen, einen Weg zu finden, das Leben der Elfen zu verlängern. Wir leben bereits jetzt deutlich länger als die Menschen und etwas länger als die Zwerge, doch einem Volk wie dem Unseren steht eine deutlich längere Lebensspanne zu, eigentlich sogar die Unsterblichkeit.“
Niemand erhob Einwände gegen diese extreme Darstellung der elfischen Überlegenheit über die anderen Völker. Sie war einfach Teil ihres Selbstverständnisses.
„Die Natur ist Ausdruck unseres Glaubens, des Willens unserer Götter, Teil dieses Ganzen zu sein. Dazu gehört vielleicht auch der Wille, unsere Lebenszeit endlich zu machen. Doch warum sollen wir nicht die Mittel der Natur einsetzen, unsere auf ihr basierende Magie und unsere Erkenntnisse, die wir im Zusammenwirken mit der Natur gemacht haben, um diese Endlichkeit auszudehnen oder aufzuheben.“
Garondir spürte Unruhe in sich aufsteigen. Er kannte all die Hintergründe für die Entwicklung dieser Idee. Er war ihr brennendster Befürworter gewesen, hatte sich über die Widerstände hinweg gesetzt, die einen solchen Einfluss auf den göttlichen Willen ablehnten. Er wollte jetzt von den Ergebnissen hören und nicht noch einmal den Entstehungsweg beschreiten. Doch Ungeduld stand einem Elfen nicht zu, daher beherrschte er sich mühsam, dem Magier weiter zuzuhören.
„Also haben unsere besten Alchemisten nach den Kräften gesucht, die wir benötigen, um unser Leben zu verlängern. Was hat eine so lange Lebensspanne, dass es für uns Elfen erstrebenswert ist, unsere Lebensspanne anzupassen.
Ein Stein war unsere erste Idee, doch die Nähe zu den Zwergen und ihrem Wühlen in den Eingeweiden der Erde war uns zu unsäglich, als das wir dieses wirklich ins Auge fassten.
Dann kamen wir auf das Leben eines Baumes und diese Idee erfüllt alle Kriterien, die wir uns vorstellen. Eine lange, aber nicht endlose Lebensspanne, die Nähe zur Natur und die Großartigkeit dieser Schöpfung. Und wenn die Götter den Bäumen ein solch langes Leben zugedacht haben, dann doch auch gewiss uns, den Hütern des Wissens über die Natur, den Beschützern der Bäume.“
Der Alte wischte sich über das Gesicht.
„Dann kamen wir Magier an die Reihe und suchten nach Möglichkeiten die naturgebundene Magie einzusetzen, um die Endlichkeit unseres Lebens zu überwinden.
Und wir fanden einen Weg. Zauber, so komplex, basierend auf den Zusammenhängen der natürlichen Lebensgrundlagen, ergänzt durch die umfassenden Kenntnisse unserer besten Alchemisten und Druiden.
Doch wir stießen auf ein Problem. Der Zauber war flüchtig, aufgrund seiner Komplexität, den Ingredenzien, die für seine Umsetzung benötigt wurden und der machtvollen Wucht seiner Worte. Ihn an einen einzigen Elfen zu binden, hätte diesen vernichtet, ebenso einen Baum oder ein anderes lebendes Wesen. So kamen wir letztendlich doch zurück zu den Steinen. Ein Stein lebt, doch er lebt sehr langsam. Dabei ist er so standhaft, dass kaum ein Zauber ihn vernichten kann. Die Macht, die er ertragen kann ist ungeheuer.“
Ein innerer Schauer schien den Magier zu schütteln.
„Wir suchten nach einem passenden Stein und fanden einen Monolithen, groß, schön, sofern man das für etwas Unbeseeltes wie einen Stein sagen kann und dazu geeignet, den Zauber aufzunehmen und wieder abzugeben. Ziel war es, den Zauber so einzubinden, dass jeder Elf, der sich für einige Zeit in der Nähe des Monolithen aufhält, von der Unsterblichkeit oder zumindest einer verlängerten Lebensdauer beseelt ist und sie Teil seines Daseins wird.
Doch etwas misslang. War es ein Zauber, war es eine der Zutaten der Druiden oder war es ein Fehler der Alchemie, es ist nicht zu sagen.“
Die Stimme des Alten wurde brüchig.
„Es trat eine Wirkung ein, wenn man sich für eine Zeit in der Nähe des Monolithen aufhielt. Es entstand eine unstillbare Sehnsucht nach dem Tod. Nicht nach dem eigenen, sondern danach andere in einen totenähnlichen Zustand zu versetzen, in dem sie keinen eigenen Willen mehr hatten, sondern dem Willen desjenigen, der sie in diesen Zustand versetzt hat völlig unterworfen sind.“
Der Alte hob die Hand, sie Worte die er sprach, schienen ihn seine gesamte Kraft zu kosten. Obwohl er nur von dem Monolithen berichtete, schien dieser ihm Lebenskraft zu entziehen. Einer der anderen Magier zog eine kleine Flasche aus seinem Umhang und reichte sie dem Alten. Dieser nahm einen Schluck und sofort schienen seine Lebensgeister wieder zu erwachen. Mit neuer Stärke in der Stimme fuhr er fort.
„Wir ließen Gefangenen die Ehre angedeihen, als Erste die Wirkung des Steines zu erfahren.“
Dass es aus den Kämpfen mit den anderen Völkern noch menschliche und barbarische Gefangene bei den Elfen gab, war den anderen Völkern nicht bekannt. Sie glaubten ihre Freunde und Verwandten in den Kämpfen um Iskandrien gestorben oder verschollen. Stattdessen dienten sie den Elfen als Arbeitskräfte für die niederen Arbeiten und gelegentlich als Versuchskaninchen für ihre Forschungen.
„Die Veränderungen, die die Gefangenen erlebten waren … bemerkenswert. Zuerst schienen sie vor dem Einfluss des Monolithen fliehen zu wollen, dann drängten sie sich ganz eng an den Stein. Einige wenige versuchten sich ganz am Rande des Käfigs zu halten.“
Unnötig zu sagen, dass die Elfen ihren Gefangenen nicht die Wahl gelassen hatten, ob sie an dem Versuch teilnehmen wollten. Sie hatten ihre Versuche an dem Monolithen in einem von hohen Gittern abgetrennten Bereich abgeschlossen, dann die Gefangenen dort hinein getrieben und abgewartet, was passiert. Die Wirkung war überraschend schnell eingetreten.
„Die, die sich an den Stein drängten, machten eine erschreckende Verwandlung durch. Ihre Körper schienen auszuzehren, schmale, hohlwangige Gestalten. Doch ihre Augen begannen in einem intensiven rot zu leuchten. Schon da waren wir uns ziemlich sicher, dass unsere Versuche gescheitert waren. Dann griff einer der Rotäugigen einen anderen an, der sich am Gitter zu verstecken versuchte. In wenigen Momenten schien auch der zu zerfallen. Nur durch bloßes Festhalten, entzog der Angreifer dem Körper seines Opfers jegliche Lebenskraft. Aber anstatt in sich zusammen zu fallen, blieb das Opfer auf den Beinen und folgte seinem Mörder auf Schritt und Tritt, wie ein gehorsames, abgerichtetes Schoßtier.“
Seufzend und mit einem trockenen Würgen, warf der alte Elfenmagier das schreckliche Wort in die Runde.
„Nekromandus.“ Schweigen senkte sich über die Runde, lähmendes Entsetzen machte sich breit. Garondir spürte, wie die Wut in ihm hochkochte.
„Heißt das, die besten Magier, Druiden und Alchemisten der Elfen haben nicht nur keine Unsterblichkeit erreichen können, sondern auch noch ein Artefakt geschaffen, dass andere Wesen in Nekromanten verwandelt?“
Seine Stimme war eiskalt. Einer der Angesprochenen trat vor und sah ihm furchtlos in die Augen.
„Das ist insofern nicht ganz richtig, Fürst Garondir, als wir sehr wohl das erreicht haben, was unser Auftrag war. Nämlich eine Möglichkeit, das eigene Leben zu verlängern, vielleicht sogar unsterblich zu werden. Nur auf eine … ungewollte Art und Weise.“
„Und was bringt uns das dann, außer einer großen Gefahr inmitten unserer Wälder?“ Die Stimme des Anführers der Elfen war nur ein Zischen.
„Eine Aufgabe.“ Immer noch blieb der andere Magier scheinbar ungerührt. „Es ist wie immer, wenn man etwas Neues schaffen möchte. Es entstehen möglicherweise unerwünschte Dinge, die es dann zu beseitigen gilt. Und das möglichst schnell.“
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