Max Graf von Vogelsang-Warsin hielt zwischendurch eines der Serviermädchen an und nahm nach kurzem Rückfragen in Freysings Richtung zwei Champagnergläser vom Tablett, sodass sie miteinander anstoßen konnten. Während sie sich weiter unterhielten, vermehrt über belanglosere Dinge, kam immer mal wieder Susanne vorbei und stellte weitere Personen vor, die neu eingetroffen waren oder sich bereits hier aufgehalten hatten, ohne bislang die Gelegenheit bekommen zu haben, mit dem Bräutigam zu sprechen. In diesen Fällen hielt sich Freysing dann vornehm zurück, registrierte aber sehr sorgfältig die Namen der Genannten. Bei der schließlich noch folgenden Vorstellung wurde er etwas aufmerksamer als bei jenen vorangegangen.
„Friedhelm Freiherr von und zu Lauenberg, mit Gattin Sabine!“, machte Max von Warsin ihm nämlich zwei weitere Gäste bekannt. Dem Politiker schien das leichte Hochziehen der rechten Augenbraue Freysings nicht zu entgehen, als er diesem die Hand gab. Auch von Lauenbergs Händedruck war, wie jener von Max, fest, jedoch von einer Festigkeit, die bewusst durch einen harten Griff verstärkt wurde, und jemandem, der darauf nicht vorbereitet war, den Schmerz in die Augen schießen lassen konnte. Sax indes verzog keine Mine.
Lauenberg war äußerst groß, fast um die zwei Meter, größer jedenfalls als Freysing oder Max, besaß einen kleinen runden Schädel, der beinahe an einen jungen Shar-Pei , einen chinesischen Faltenhund, erinnerte. Seine Augen wirkten klein und grau, etwas verschlagen, aber hellwach. Gekleidet war er in einen marineblauen Smoking mit einem winzigen Wappenabbild in Brusthöhe. Dazu trug er eine dezente Fliege am Kragen des weißen, gestärkten Hemdes. Wohl infolge einer seltenen Nahrungsmittelunverträglichkeit waren ihm unlängst die echten Haare ausgegangen, was er mit einem nicht besonders gut sitzenden dunkelbraunen Toupet zu verbergen versuchte.
Seine Frau Sabine wirkte ein deutliches Stück kleiner als er, war aber immer noch groß, erschien hingegen dünn, fast schon bulemisch, und trug eine nette blonde Ponyfrisur sowie einen hübschen Schmollmund zur Schau. Sie war gewiss nicht unattraktiv, aber sicher ganz und gar nicht Freysings Typ. Gekleidet in ein schmuckes, hochgeschlossenes Kostüm, das ihre etwas zu große Oberweite betonte, konnte sie durchaus von der Gesamterscheinung her mit der übrigen Gesellschaft mithalten, wenngleich ihre unerwartet helle Stimme durch die hervorsprudelnde Wortwahl sogleich eine recht einfache Herkunft vermuten ließ. Zudem schien sie von zwei, drei Gläsern Champagner schon mehr beschwipst zu sein, als es ihrem auf die Wahrung der Etikette bedachten Ehemann recht war, und der es ihr daher ebenso ernst wie lächelnd untersagte, zu einem weiteren Glas zu greifen, als eines der Serviermädchen vorüber kam.
Sie begrüßten einander kurz, und Freysing konnte sich nicht zurückhalten, Friedhelm von und zu Lauenberg direkt anzusprechen. Die Stimme des Agenten klang dabei kalt und beinahe abfällig.
„Kennen wir uns vielleicht von irgendwo her? Ihr Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor – ich glaube, ich habe vor einiger Zeit in der Zeitung von ihnen gelesen, kann das sein?“, sagte er langsam und mit fast scheinheiliger Überlegung.
Möglicherweise war von Lauenberg verärgert über die Anspielung auf den Medienrummel, der im Frühsommer des Jahres im Zusammenhang der Verwicklung seiner Person in eine Industriespionageaffäre stattgefunden hatte, jedoch wenn, ließ er es sich nicht anmerken. Allerdings versäumte er geflissentlich eine genauere Antwort, um lediglich kurz auf sein wie er fand großartiges politisches Wirken hinzuweisen. Eine fast feindselige Grundstimmung lag von einem Moment zum anderen in der Luft, ohne dass es für jemanden genauer erklär- oder greifbar gewesen wäre.
Max Graf von Vogelsang-Warsin, dem dies nicht entging, entschuldigte sie alle schnell gegenüber Freysing, um die von Lauenbergs weiteren Gästen vorzustellen, und Sax bekam Gelegenheit, hier und da die umher stehenden Menschen zu beobachten und dabei für sich herauszufinden, in welchem Verhältnis sie wohl zueinander stehen mochten. Alles in allem war es eine typische gehobene Hochzeitsgesellschaft; dies festzustellen er durchaus imstande war, obwohl er an solchen Feierlichkeiten bislang seinen Lebtag nicht so direkt teilgenommen hatte. Zweimal führte er noch ein kurzes Wiedersehensgespräch mit auch ihm noch Bekannten von Susanne über triviales, während er dabei weiter über die von Lauenbergs nachdachte und gar nicht richtig aufmerksam zuhörte. Insgesamt kam er sich ein wenig deplaziert auf der Veranstaltung vor und reute beinahe bereits sein Kommen, obwohl er das Geplänkel mit Lauenberg zuvor als amüsant empfand.
Eine halbe Stunde später waren bis auf ganz geringe Ausnahmen auch die letzten Gäste erschienen, und das frisch vermählte Paar bat nach einem kurzen Schlagzeug-Tusch der inzwischen eingetroffenen Band – deren Mitglieder sämtlich im schwarzen Smoking und mit Fliege uniformiert -, welcher die Gespräche unterbrach, zu Tisch. Offenbar hatten sich die anderen Gäste bereits vorher informiert, wo sie denn zu Sitzen kamen, etwas, das Freysing bislang aufgrund seines eigenen späten Eintreffens sowie der Unterhaltung mit Max und den Gästen versäumt hatte. Susanne schien seine kurze Ratlosigkeit mitbekommen zu haben und stand plötzlich neben ihm, um ihn zu seinem Platz zu führen.
„Ich hoffe, du unterhältst dich gut!“, sagte sie zu ihm. Er nickte bedächtig und schürzte ein wenig seine dunkelrosanen Lippen.
„Großartig! Herzlichen Dank für die Einladung.“, begann er. „Dein Gatte gefällt mir! Nochmals meinen Glückwunsch! - Aber dieser Friedhelm von und zu Lauenberg scheint mir auch ein interessanter Mensch zu sein…“, fügte er hinzu.
„ Findest du?“, stutzte sie, fast enttäuscht, „ – auf mich macht von Lauenberg eher einen aalglatten Eindruck. Ein neoliberaler Emporkömmling, der sich zu Lasten anderer in der politischen Szene etabliert hat.“ - Das flüsterte sie freilich nur.
„Wieso habt ihr ihn dann eingeladen?“
„Er ist ein guter Bekannter meines Mannes. Sie sind in derselben Partei.“, entgegnete sie, und er bemerkte, dass sie das Gespräch darüber nicht vertiefen wollte. Politik war auch früher nie ihr Lieblingsthema gewesen. Als hätte sie Freysings Gedanken dazu erraten, sah sie ihn im weitergehen an.
„Du fragst dich jetzt bestimmt, wieso ich ausgerechnet einen Mann aus Wirtschaft und Politik heirate, wo doch das genau die beiden Themen sind, die mich eigentlich am wenigsten Interessieren.“
„ Nun…“ , begann er, auf der ringenden Suche um geeignete Worte.
„Ja, das tust du, ohne Zweifel!“, lächelte sie sofort. „Wir haben uns letztes Jahr auf der Art Cologne kennengelernt, und er war über alle Maßen charmant. Er hat sich sofort in mich verliebt. Bei mir hat es eine Weile gedauert – schließlich ist er zehn Jahre jünger…“. Sie unterbrach sich. „Naja… er hat mich dann auf sein Landschloss zu einer Vernissage eingeladen, und es wurde nach und nach mehr daraus. Im Mai machte er mir dann einen Antrag. Ganz formell! Es war richtig schön!“
Freysing nickte. Er wusste, Susanne betrieb seit ungefähr zweieinhalb Jahren zusammen mit einer mehr kaufmännisch bewanderten Geschäftspartnerin eine kleine, aber feine Galerie – die Teilnahme an der großen Kölner Kunstmesse war für sie berufliche Pflicht. Max von Warsin schien ebenfalls sehr kunstinteressiert, und so hatten sie ihre Gemeinsamkeit schnell gefunden. Ein romantischer, formeller Antrag – das war etwas, dass Susanne schnell erweicht haben mochte.
Er fragte nicht weiter nach, denn sie erreichten einen der Tische links ziemlich nah beim Kopfende des „U“ am inneren Rand der Fläche. An einer Stelle an der Tischkante zur Mitte hin stand ein sorgsam handgeschriebenes Schildchen in Dreiecksform mit seinem zivilen Decknamen. Fast alle anderen dort befanden sich bereits dort auf ihren Plätzen, nur zwei davon waren noch frei – sein eigener und derjenige ihm schräg rechts ein Stück weiter gegenüber. Links neben dem für ihn vorgesehenen Stuhl war eine attraktive Blondine Ende Dreißig in einem dezent gemusterten leichten, hinten bis sehr tief hinunter breit ausgeschnittenem und unten seitlich beidseits bis zur Hüfte geschlitztem Träger-Stoffkleid platziert. Sie wirkte im Sitzen recht groß – und sehr muskulös .
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