1 ...8 9 10 12 13 14 ...39 Sie tanzten weiter, ohne es zu wiederholen. Zwischenzeitlich wechselten die meisten Tanzenden gelegentlich ihre Partner; auch hatte der Brautvater einmal mit Susanne getanzt, als Freysing zum Ende eines weiteren Klammerstückes eine leicht klopfende Hand auf seiner Schulter spürte.
Beim Aufblicken stand dort Ulli, der Lebenskünstler, welcher all seinen Mut nochmal zusammengenommen hatte, um nun doch nochmals auf Silke zuzugehen. Mit einem stummen Ausdruck des Bedauerns ließ Freysing seine Tanzpartnerin gehen, jedoch blickten sie sich dabei erneut fest in die Augen. Das Gefühl trog nicht, hier lag eine besondere gegenseitige Anziehung in der Luft. Sollte am Ende Susanne da etwas eingefädelt haben? – Er lächelte: Sicher war die Tischsitzordnung nicht zufällig zustandegekommen!
Die nächsten beiden Tänze über, bei denen mehr aktuelle Stücke zugunsten der jüngeren Gäste gespielt wurden, sah Freysing dem Treiben auf der Fläche von seinem Sitzplatz aus zu, während er mit kurzem Seitenblick ein paar belanglose Worte mit der Anwältin wechselte, die keinen Tanzpartner gefunden hatte. Dann gelang es Silke, Ulli gegenüber eigene Erschöpfung vortäuschend loszuwerden und etwas verschwitzt wieder neben Sax Platz zu nehmen. Sie saßen nun beide mit Blickrichtung in den Saal, und wie zufällig lag dabei ihre starke linke Hand auf seinem Oberschenkel, die er bald darauf mit seiner rechten bedeckte und seine Finger in den ihren verschränkte. Später tanzten sie beide noch einige Male sehr engumschlungen zu ruhigen, aber zeitgenössischen Kompositionen der einschlägigen Hitlisten.
Irgendwann gelang es Freysing auch einmal, mit der Braut selbst zu tanzen, zu Someone like you der Sängerin Adele , das in einer Bandpause von der CD kam. Er spürte förmlich Susannes Glück; es bedurfte keiner Worte, obwohl er den Text des Liedes unterbewusst im Ohr hatte und beinahe rezitieren mochte.
Das war es, was Susanne sich immer gewünscht hatte. Einen attraktiven Ehemann, eine gesicherte und familiäre Zukunft. Und er freute sich mit ihr. Der Kindertraum war ihr auch in den Jahren nach ihrer Trennung unerfüllt geblieben, und vielleicht…, nun! Hätte er ihr mehr bieten sollen? Hätte er ihr mehr bieten können ? In seinem Job, in seinem richtigen Job, waren feste Bindungen fast unmöglich, und es war erstaunlich gewesen, wie lange ihre Beziehung gehalten hatte.
„Silke hat dich ja ganz schön rangenommen !“, flüsterte ihm Susanne während des Tanzes leise und etwas süffisant zu, und riss ihn damit aus seiner Nachdenklichkeit.
„Nette Person.“, nickte er. „Und offenbar immer für eine Überraschung gut. Wie habt ihr euch denn kennengelernt?“
„Über meinen Mann. Sie hat viel mit Politikern zu tun. Personenschutz und sowas. Tut immer sehr geheimnisvoll.“, blieb sie unbestimmt. „Ist ein echtes Organisationstalent! Wir sind schnell recht gute Freundinnen geworden. Sie trägt eine Menge Probleme mit sich herum, mit denen sie aber noch nicht recht herauskommt. Deshalb hoffte ich auch, dass sie die Organisation der Feier auf andere Gedanken bringt. Es scheint, als sei das gelungen – sie wirkt heute so… ausgelassen !“
„Das ist schön. Und was ist mit den anderen Leuten am Tisch?“, nutzte er ihre Redewilligkeit aus.
„Interessante Menschen, nicht? Dachte mir, dass du deinen Spaß dort bekommst. Bis auf Daniel vielleicht. Aber ich kam bei der Einladung nicht um ihn herum. Hat nur eben recht seltsame politische Ansichten. Er hat mal eine Weile fürs Radio gearbeitet, bis man ihn rausschmiss. Ein relativ streitsüchtiger Zeitgenosse!“
„Er ist gleich mit den Archäologen aneinander geraten.“, bestätigte Freysing.
„Aber er hat Medienkontakte, ist technisch sehr versiert und hat mir in meiner Hunsrücker Zeit einige Male sehr nett geholfen gehabt. Du weisst ja, dass ich diesbezüglich ziemlich unbedarft bin.“, versuchte sie die Einladung zu rechtfertigen.
Sax erinnerte sich der Tatsache, dass es leicht war, Susanne für sich einzunehmen, wenn man ein wenig mit praktischen technischen Kenntnissen aufwartete. Sie war immer mehr die gefühlvolle, emotionale, musisch und eher künstlerisch veranlagte gewesen, und genau das war ja die besondere Anziehung zwischen ihnen beiden selbst gewesen. Ein ruhender Pol in seiner gefährlichen Welt…
„Was ist mit den Archäologen? Die sind aus Polen, richtig?“. Er bemühte sich, nicht mehr Neugierde in die Frage zu stecken, als es angebracht war.
„Die habe ich beruflich kennengelernt, genau wie die Anwältin und unsere beiden Künstler . Unsere beiden Bildhauer sind ganz spezielle Fälle .“
„Und Ulli?“, fragte er sie.
„Ja, auch das ist eine besondere Geschichte. Er hält sich für eine Art Playboy oder sowas und hat es sowohl bei Silke als auch bei mir schon vergeblich versucht. Sieht sich im Moment als Kulturförderer. Organisiert kleine Kammerspiele und Konzerte. Soll angeblich eine sehr lange Familiengeschichte haben, bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein, aber da wüsste mein Mann sicher mehr.“
Freysing war versucht, zu fragen, „Wieso?“, erinnerte sich dann aber der kulturellen Veranstaltungen auf Schloss Vogelsang-Warsin. Womöglich hatte es damit zu tun. Das Musikstück ging zuende und Susanne widmete sich hiernach beinahe bedauernd anderen Anwesenden, ohne weiter zu tanzen, während Freysing zu seinem Platz am Tisch zurückkehrte.
„ Unn´? – Hass´te Susi jenüjend üwwer mich ussjehorcht?“ , berlinerte Silke.
„Und wenn?“, neckte Freysing.
„ ´n paar Jeheemnisse sollte ´ne Frau och für sich behalt´n können…“
Sie scherzten weiter, während sie den anderen Tanzenden zuschauten, tanzten zudem selbst später noch zwei, dreimal miteinander, und genossen die vergehende Zeit.
Als es schließlich draußen stark dunkelte, wurden die Gäste hinauf in den kleinen Salon oder auch hinaus auf die große Terrasse gebeten. Inmitten der anderen Gäste vermochte Sax der scharfe Knall, der aus nicht allzu weiter Ferne urplötzlich ertönte, ihn nicht sonderlich zu erschrecken, obwohl er einem Unbedarften wie ein Pistolenschuss vorkommen musste. Er sah die Anwältin etwas zusammenzucken.
Nach ein paar Minuten zunehmend erwartungsvoller Stimmung konnten alle einem anhaltend grandiosen Höhenfeuerwerk zuzuschauen, das aus dem Rheintal auf der gegenüberliegenden Uferseite aufstieg und die Landschaft illuminierte. Das Wechselspiel der Farben nahm die Gäste von Minute zu Minute mehr in ihren Bann, die einen oder anderen Ahhh´s und Ohhh´s raunten durch die Menge, vor allem dann, als eine ganze Serie roter Herzen in den Himmel geschrieben wurde. Nach dem etwa zwanzigminütigen Feuerwerk endete das Spektakel in einer Serie lauter Böller und lärmender Heuler, bis Stille herrschte und anhaltender Beifall das Ganze honorierte.
Die ersten Gäste, vornehmlich jene mit Kindern, verließen hiernach, sich einzeln oder in kleineren Gruppen beim Brautpaar und anderen verabschiedend, die Feier, während der weitaus größere Teil allmählich in den Gewölbekeller zurückkehrte - noch lange beeindruckt von dem Lichterzauber, welcher der romantischen Stimmung dieses Abends Ausdruck verliehen hatte.
Die Bediensteten der Gastronomie hatten die Gelegenheit während des Feuerwerkes genutzt, die meisten abgeräumten Bankett-Tische und Stühle verschwinden zu lassen, um die Tanzfläche zu vergrößern, aber auch um eine transportable größere Bartheke hereinzuschieben. Es gab nun zudem eine ganze Anzahl an kleinen, runden Stehtischen, aber nur noch wenige Sitzgelegenheiten. Die nächste Abendstunde verging bei Tanz und mit Gesprächen in kleiner Runde, Sax lernte eine Handvoll weiterer Personen aus dem Umfeld des Grafen kennen und führte mit ihnen einige belanglose Konversation.
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