Nach fast sieben Jahren zähen Ringens war es ihm dann gelungen, in der letzten Instanz zu obsiegen, und Mitte 2009, seine Eltern waren zu dem Zeitpunkt gerade nacheinander recht früh verstorben, gehörte ihm das Eigentum an einem nicht kleinen waldreichen Anwesen auf der deutschen Seite der Altwarper Dünung.
Nachdem er größere Ländereiflächen alsbald wieder zu hohen Preisen verkauft hatte, als sich Bauspekulanten interessierten, beteiligte er sich mit dem so verdienten Geld an einer Reihe von industriellen Großunternehmen, erzielte aber aufgrund der stattfindenden Wirtschaftskrise nur mäßigen Erfolg. Es gelang ihm immerhin, sein Vermögen zu halten, was außer einigen pfiffigen Bankiers nur wenigen Börsenakrobaten zu der Zeit vergönnt war.
Aufgrund von Dokumenten, die sich in den lückenhaften Sammlungen der Kirchengemeinden und Standesämter von Ahlbeck und Eggesin fanden, beanspruchte er für sich eher nebenbei darüber hinaus etwas anachronistisch einen Landgrafentitel, der einem seiner Vorvorfahren einst verliehen worden war.
Natürlich, nach dem ersten Weltkrieg, als das Deutsche Kaiserreich aufhörte zu existieren und die Adelsprivilegien abgeschafft wurden, blieb vom Titel nicht viel. Aber trotzdem, oder gerade deshalb, wurden solche Titel als Bestandteile in vielen Namen erhalten und galten in entsprechenden Kreisen als eine Art von Prädikat. Wenn auch der eigentliche Rang nicht mehr geführt wurde, so stand vielen einst blaublütigen Familiennamen dennoch in der späteren Zeit ein von voran. Rechtlich hatte die Bezeichnung von irgendwas keine weitere Bedeutung mehr, sie war einfacher Nachnamensteil, aber selbst in der modernen Zeit, in der Max Haff sich nun bewegte, konnte ein adliger Stammbaum noch so manche Tür öffnen. Wichtiger als der ansehnliche finanzielle Gewinn war in dem Zusammenhang der Zutritt zu den einflussreichen politischen Kreisen der affektierten Gutmenschen-Society und dem wirklichen Big Business, der ihm zuvor aufgrund seiner bis dato burgoisen Herkunft bis zu jenem Zeitpunkt verschlossen gewesen war.
Der Hauptwohnsitz des Grafen bestand nun in einem Landschlösschen bei Vogelsang-Warsin, knappe zwei Autostunden nordwestlich dessen geschäftlicher Zentrale in Berlin. Dort fanden seit einiger Zeit öffentlichkeitswirksame Ausstellungen und Gesellschaftspartys für gemeinnützige oder wohltätige Zwecke statt, die in der Klatschpresse gelobt wurden. Allerdings besaß er auch noch von ihm selbst gelegentlich auf Geschäftsreisen genutztes Eigentum in München, Frankfurt, Düsseldorf und Nürnberg – also in eigentlich allen relevanten Messestädten.
Der Grund, warum dies alles in den Aufzeichnungen des BND stand, war neben der sicherheitsrelevanten DDR-Vergangenheit der Eltern der Umstand, dass ihm seit einiger Zeit auch geringfügige Anteile an einem Unternehmen gehörten, dass erst unlängst ins Visier der Geheimdienste geraten war – nämlich der DEMTAG, der Deutschen Marine-Technik Aktiengesellschaft. Ein Zufall?
Warum Susanne und der Graf ausgerechnet das rheinische St. Goar und die alte Festung als Ort für die Feierlichkeiten ihrer Hochzeit gewählt hatten, war Freysing nicht gänzlich klar, aber wahrscheinlich hing es damit zusammen, dass Susanne nach ihrem Fortzug aus Bayern im Hunsrück und zuletzt in der Pfalz gelebt hatte.
Leise klassische Musik schallte Sax entgegen, als ein weiterer livrierter Page ihm nach Prüfung seiner Einladung die Tür zur Gastronomie öffnete, voranschritt und von diesem die breite Treppe hinab in den wohltempertierten großartigen Gewölbekeller – dem größten erhaltenen seiner Art in Europa - geführt wurde. Er hörte untermalende Klänge von Schubert und Chopin, gespielt von einem einigermaßen talentierten Virtuosen an einem Schimmel-Flügel in einer Ecke des Raumes am Rande der Fläche, die zum späteren Tanz vorgesehen war, und auf welcher sich jetzt die Hochzeitsgesellschaft an ersten Drinks erfrischte: Orangensaft und Champagner. Hübsch zurechtgemachte junge Damen mit kurzen weißen halbrunden Schürzchen verteilten diese graziös über mitgeführte Silbertabletts.
Im Saal waren die Tische in einer annähernden U-Form angeordnet, die Tafeln mit edlem weißem Tischtuch für je zwölf Personen allerdings nicht dicht an dicht gestellt, wobei an einem U-Ende Fläche für die weiteren Musiker freigehalten war, die zu einem späteren Zeitpunkt erscheinen würden. Diverse Instrumente waren an der Stelle bereits aufgebaut. Am Zugang hatte man einen breiteren Weg freigelassen und von dort ausgehend weitere sechs Tische in Blöcken für jeweils vierzehn oder sechzehn Gäste aufgestellt, damit alle Platz finden würden. Der Raum und die Tische waren leicht mit festlichen Blumenarrangements und Girlanden geschmückt. Alles war besonders fein eingedeckt, aber es hatte noch niemand Platz genommen - außer ein paar Kindern, die am Morgen wohl eher widerwillig in Festtagsgarderobe gezwängt worden waren und nun zum Leidwesen ihrer jeweiligen Eltern ungeduldig mit den silbernen Bestecken und gedruckten Tischkärtchen spielten. Freysing konnte es ihnen nachfühlen.
An einer Stelle neben dem Eingang befand sich eine Staffelei mit den Konterfeis der Brautleute und dem Wappen derer zu Vogelsang-Warsin dazwischen, darunter lag ein aufgeschlagenes Buch aus, in das sich die Gäste mit einem feinen Füller eintragen konnten. Freysings Zeigefinger glitt über die Zeilen; es las sich teilweise wie das „Who´s Who“ der rheinlandpfälzischen Prominenz, allerdings waren auch viele Gäste von auswärts angereist. Dazu zählten in erster Linie die näheren Verwandten aus der weitverzweigten mitteldeutschen Familie des Grafen, etliche Angehörige Susannes aus dem süddeutschen Raum und die wenige High Society jener Region, in welcher das Hauptanwesen des Grafen in Vorpommern lag.
Alles in allem mochten sich auf mehreren Seiten um die hundertfünfzig Gäste eingetragen haben. Ein Name fiel Freysing dabei sogleich ins Auge, weil er auf der zu Dreivierteln beschriebenen aufgeschlagenen siebenten Seite des Buches an oberster Stelle prangte. Friedhelm Frhrr. von und zu Lauenberg mit Gattin; stand dort in einer sehr feinen, leicht schräg nach rechts oben gestellten schnörkeligen Handschrift. Natürlich erinnerte sich Sax sofort an den Namen, hatte er doch eine gewisse Bedeutung bei seinem letzten größeren Auftrag gehabt, der sich bis in die intriganten Kreise der Politik zog. Der machtgierige Politiker einer kleinen Partei im Aufwind war ihm allerdings bislang nicht persönlich bekannt. Freysing vermied eine eigene Eintragung und sah weit in den Raum hinein.
Susanne stand am anderen Ende des Saales und unterhielt sich gerade oberflächlich amüsiert mit einem älteren Paar, als sie Freysings Anwesenheit unterbewusst wahrzunehmen schien, den Kopf wie in Zeitlupe drehte und mit ihren leuchtenden Augen in Richtung des großen Saalzugangs blickte.Ihre Erscheinung im Kunstfackellicht des Burggemäuers war atemberaubend. Sie trug ein glänzendes, nahezu Whiskyfarbenes ausladendes Satinkleid, das, obwohl etwas gerafft, wallend ihre weibliche Figur zur Geltung brachte und ohne Schleppe bis über den Boden reichte, um dort ihre Beine und Füße zu verhüllen. Die große rechte Schulter ihrer makellosen rosigen Haut lag frei, während der Stoff über ihre linke geworfen war, um dort in eine fächerförmige Verzierung überzugehen. Auf derselben Seite war das rotgoldene lange Haar zu einer modisch gedrehten, stufigen und schrägen Turmfrisur aufgesteckt. Die nackte, ohnehin schon hübsch lange Halspartie schien noch verlängert zu werden durch zwei beinahe riesige silberne kreisrunde Ohrringe mit daran angeordneten blitzenden kleinen Diamanten.Ohne Zweifel war das Kleid die meisterliche Kreation eines bekannten Modeschöpfers, der erst unlängst wieder die Gazetten gefüllt hatte, und die Frisur wahrscheinlich vor Ort von einem dieser VIP-Coiffeure der Modestädte Deutschlands gestaltet worden; der Schmuck schließlich schlichte, aber gleichwohl äußerst exquisite Handarbeit von Cartier oder Tiffany´s. Ihr Make-up war unaufdringlich, betonte jedoch ihr attraktives weiches Gesicht mit den hohen Wangenknochen, das im Laufe der Jahre nur unmerklich runder geworden war. Sie war jetzt beinahe Mitte Vierzig, aber jeder, der sie in dieser Aufmachung sah, hätte Susanne ohne nachzudenken um rund zehn Jahre jünger geschätzt, und es wäre nicht einmal ein besonderes Kompliment gewesen.
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