1 ...6 7 8 10 11 12 ...43 „Ich bin leider nicht sehr bewandert in diesen Dingen“, unterbrach ihn Skorni.
„Das brauchen Sie auch nicht, mein Lieber! Lassen Sie mich fortfahren. Nur soviel. Uran ist nichts besonderes, es kommt überall in der Welt vor, auf den Straßen, im Boden, im Meer, in Zahnpasta. Kaum zu entdecken, aber es ist da. Man kann es auch in größerer Menge in Bergwerken fördern. Aber da ist noch etwas, was im Uran enthalten ist. Besagtes Uran 235. In Spuren nur. Etwa 0,7 Prozent um genau zu sein. Das Uran aus Lemberg enthält aber fast 15 Prozent. Das ist geradezu sensationell. In Friedenszeiten wäre mir der Nobelpreis sicher gewesen, aber so ...“
Mannerheim ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und Skorni wurde klar, wonach es diesem Menschen gierte. Nach Ruhm.
„... aber so ist es auch ein Glücksfall, der mich in die Lage versetzt, das Reich, unserem Volk und dem Führer aus ihrer momentanen prekären militärischen Lage zu retten.“
Pause. Mannerheim gab Skorni Zeit für eine Zwischenfrage. Der Mann liebte anscheinend dramatische Momente.
„Und wie wollen Sie ...?“, hüstelte Skorni etwas beklommen.
„Durch den Bau einer revolutionären Bombe“, unterbrach ihn Mannerheim ungeduldig. „Einer, möchte sagen, evolutionären Bombe. Sie steht am Ende der Entwicklung der Kriegstechnik. Sie ist sozusagen deren Vollendung. Nach ihr kommt nichts mehr. Nur noch die absolute Vernichtung.“
Skorni sah, dass Kammler sich umgedreht hatte und unbeteiligt aus dem Fenster in den Park schaute. Himmlers Verbindungsoffizier hantierte an einer Flasche herum und goss sich ein Glas ein. Schaffell sah Skorni nicht. Er stand wohl hinter ihm. Von dort hörte er kurzatmiges Grunzen. Mannerheim, der einen tiefen Zug aus seiner Zigarette nahm, sprach weiter.
„Dieses Uran-235 ist der Grundstoff für unsere Bombe. Aber die Forschungen auf dem Gebiet der Atomphysik, die von unseren zugegeben brillanten Physikern in den letzten Jahren durchgeführt wurden und noch werden, haben etwas an Biss verloren. Dazu kommt, dass der Führer der ganzen Sache wenig Liebe entgegengebracht hat. Liegt wohl an seiner Abneigung der Physik als eine jüdische Wissenschaft. Der Fund dieses Urans aber hat seine Sicht der Dinge verändert. Ich konnte ihm mit Hilfe von Obergruppenführer Kammler klar machen, dass wir schon bald in der Lage sein werden, einen neuen Supersprengstoff zu entwickeln. Obergruppenführer?“
Kammler drehte sich um und trat ein paar Schritte auf Skorni zu. Lässig lehnte er sich an den Billardtisch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie haben sicher schon von der V1 gehört?“, fragte er Skorni.
„Ja. Natürlich. Die schießen wir doch gerade auf England ab.“
„Genau. Aber nicht besonders erfolgreich. Zu langsam, zu ungenau, zu kleiner Gefechtskopf. Kurz, das Ganze ist ein gottverdammter Beschiss von einigen Phantasten, die eher an den Weltraum denken, als an die Kriegswichtigkeit ihrer Forschungen.“ Kammlers Stimme schwoll wütend an. Er schien sich persönlich beleidigt zu fühlen. „Ich habe daher auf direkten Befehl des Führers damit begonnen, die Leitung dieses Spinnervereins zu übernehmen und die nächste Weiterentwicklung der V1, die A4 unter die Fittiche der SS gestellt. Für diese Rakete wird es keine Abwehr geben. Sie flieg unerreichbar hoch und stürzt sich dann mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit auf ihr Ziel. Sie ist praktisch unsichtbar, lautlos und tödlich.“
„Das ist ja fantastisch!“, warf Skorni pflichtbewusst ein.
„Natürlich. Ein gewaltiger Sprung der Militärtechnik. Es gibt da allerdings noch einige technische Hürden zu nehmen. Aber das kriegen wir hin. Eines aber haben wir nicht: Einen Sprengstoff, der in den Gefechtskopf passt und die Zerstörung anrichtet, die wir brauchen, um die Alliierten in ihre Schranken zu weisen.“
„Und dieses ... Uran-Zeug, liefert ihnen den Sprengstoff?“
Mannerheim schaltete sich wieder ein. „Ja. Verkürzt gesagt: Wir konnten den Führer davon überzeugen, der Entwicklung dieses neuen Sprengstoffes zuzustimmen. Er hat alle mögliche Unterstützung gewährt und unser Projekt auf der Prioritätenliste nach oben gesetzt. Damit haben wir Zugriff auf alle wichtigen Ressourcen. Materielle wie humane.“
Wieder machte Mannerheim eine dramatische Pause „Leider ...“, fuhr er mit leiser Stimme fort, „leider ist uns ein Fehler unterlaufen, was die Sicherheit des Projektes angeht. Denn ich habe den Kollegen Hiller, den ich nur als einen Fachmann für Strahlungsphysik kannte, mit nach Lemberg genommen. Ich wusste nichts von seiner mehr als dubiosen Vergangenheit!“
Schaffell hüstelte vernehmlich und Mannerheim warf ihm einen bösen Blick zu. Das Verhältnis der beiden schien nicht das Beste zu sein. Skorni nahm sich vor, sofort die Akte über Hiller zu lesen, wenn er zu Hause war.
„Dieser Hiller hat mein Vertrauen aufs Niedrigste missbraucht und es tatsächlich fertig gebracht, etwas vom diesem Uran aus dem Institut zu schmuggeln. Damit ist er nach Köln verschwunden. Ich habe es bemerkt, weil ich die Proben durchnummeriert hatte und eine verschwunden war. Den Hiller habe ich dann festnehmen lassen. Der geht nirgendwo mehr hin.“
„Ist die gesamte Familie Hiller so unzuverlässig?“, wollte Skorni wissen.
„Das ist schwierig zu beantworten. Fritz Hillers Vater war Schrotthändler, der es schon vor dem ersten Weltkrieg zu einem beträchtlichen Vermögen gebracht hat. Er hat den Führer schon früh finanziell gefördert. Das ist, glaube ich auch der Grund, warum Professor Hiller noch nicht im KZ ist. Obwohl der Alte tot ist und seinen Sohn nicht mehr schützen kann. Kurz gesagt, die Hillers sind eine wohlbetuchte Familie aus Köln. Fritz Hiller hat noch einen jüngeren Bruder, der den Betrieb heute leitet und darüber hinaus das goldene Parteiabzeichen besitzt. Der hat sozusagen das politische Erbe seines Vaters angetreten. Da ist wohl einiges durcheinander gegangen bei den Hillers, in politischer Hinsicht, meine ich. Der eine strammer Nationalsozialist und der andere Kommunist.“
„Kommunist?“, warf Skorni ungläubig ein.
„Ja. Haben Sie die Akten noch nicht gelesen?“
Skorni fühlte sich ertappt. „Nein. Bis jetzt noch nicht.“
Schaffell schaltete sich ein. „Wie auch immer. Das kleine Flittchen scheint nach ihrem Onkel geraten. Extrem abenteuerlustig. Durch ihre Flucht hat sie sich denn auch als Reichsfeindin und Agentin enttarnt. Wir müssen davon ausgehen, dass sie praktisch alles, was Hiller wusste, dem Feind verraten hat. Wenn sie bei den Alliierten angekommen ist, was ich sicherheitshalber mal annehme, dann wissen die da drüben über unsere Operation gut Bescheid. Allerdings wusste Professor Hiller noch nichts über den Bau der Anlage Nemesis II . Weder das Wo, noch das Wann. Und jetzt ist er ja sowieso von der Außenwelt abgeschirmt.“
„Was heißt das?“, wollte Skorni wissen.
„Hausarrest!“
„Warum haben sie ihn nicht liquidiert?“
„Wir brauchen ihn noch. Warum, steht in der Akte.“
„Und was ist Nemesis II ?“
Mannerheim warf einen fragenden Blick auf Kammler, dessen stummes Einverständnis einholend. Kammler nickte zustimmend und Mannerheim sprach weiter: „ Nemesis ist der Tarnname für unser Projekt. Göttin des gerechten Zorns. Aber auch Rachegottheit in der griechischen Mythologie. Ich fand den Namen überaus passend. Es gibt zwei versteckte Anlagen in denen das Projekt voran getrieben wird. Nemesis I ist in Betrieb. Dort werden Anlagen zur Herstellung von U-235 gebaut. Zum Beispiel Zentrifugen, die Uran 238 in seine Bestandteile zerlegt. Mit diesen Zentrifugen wird dann in Nemesis II der Bombenstoff selbst gewonnen. Die Anlage ist noch im Bau, steht aber kurz vor der Vollendung.“
Mannerheim stand auf, ging zum Billardtisch, nahm eine Kugel und blickte sie an, wie Hamlet den Schädel seines Vaters. „Zu dumm, das mit Hillers Nichte. Dabei hätten wir es wissen müssen. Sie hatte im Internat in der Schweiz eine Segelflugausbildung erhalten. Zumindest diese kleine Information hätten wir Ihnen nicht vorenthalten dürfen. Unser Fehler! Bitte untertänigst um Verzeihung.“
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