„Alles in Ordnung dahinten, Sir?
„Ist ... ist ziemlich ... kalt hier ... hinten!“, stotterte Cyrus.
„Sie haben's gleich geschafft, Sir. Sind schon über Holland. Hey, höre ich da Ihre Zähne klappern, oder muss ich mir Gedanken um unsere Motoren machen?“
„Zähne!“, antwortete Cyrus kurz und rutschte ein wenig auf seinem kleinen Sitz hin und her, da er schon seit einiger Zeit seinen Hintern nicht mehr spürte. Mit einem Mal ging ein leichtes Ruckeln, begleitet von dumpfen, weit entfernten Detonationen durch das Flugzeug.
„OK! Jetzt geht’s los! Flak! Machen Sie sich keine Sorgen. Die da unten schließen schlecht und sicher nicht auf uns, sondern auf die dicken Kerle über uns.“
Das Ruckeln und Donnern ging noch ein paar Minuten weiter, dann war Ruhe. Kurz darauf war wieder Oldmans Stimme zu hören: „Sir, wir sind fast da. Gleich wird’s wärmer. Gehen jetzt auf 3000 Fuß.“
Cyrus fühlte, wie sich der fallende Druck auf seinen Ohren schmerzhaft bemerkbar machte. Die Mosquito ging fast im Sturzflug herunter. Die Temperatur stieg wieder und nach ein paar Minuten hörte das Zähneklappern auf.
„Wir haben Glück, Sir. Es ist eine wirklich klare Mondnacht. Ich kann vor mir die ersten Christbäume sehen. Alles taghell erleuchtet. Wir sollten Ihren Absprungort gleich vor uns sehen.“
Die Mosquito legte sich bald darauf in die Kurve und begann mit kreisenden Bewegungen die kleine Lichtung zu suchen. Trotz des Motorenlärms konnte Cyrus hören, dass die Lancaster-Bomber damit begonnen hatten, ihre Last auf Jüngersdorf abzuwerfen.
„Da ist die Burg!“, rief Oldman. „Direkt vor uns. Alles hell erleuchtet. Gehen jetzt auf Absprunghöhe. Legen Sie die Maske ab und achten Sie auf die Lichtzeichen vor Ihnen. Viel Glück, Sir. Und kommen Sie heil zurück!“
Mit steifen Armen zog sich Cyrus die Maske vom Gesicht. Dann setzte er sich gerade hin und legte seine rechte Hand an den Absprunggriff.
Die Mosquito war noch in einer scharfen Rechtskurve, als sich plötzlich die Bombenklappen unter ihm öffneten. Cyrus schaute auf dahinrasende Baumwipfel, die keine 300 Meter unter ihm vorbeirauschten und versuchte, noch verbliebenen Speichel in seinem vollkommen trockenen Mund zu sammeln. Aber es war keiner mehr da.
Mit zusammengebissenen Zähnen schaute er auf die zwei Lampen vor sich. Die rote Lampe leuchtete auf. Der Flugwind presste mit aller Macht in den Flugzeugrumpf und verwirbelte in einem kleinen Sturm im offenen Bombenschacht. Cyrus hörte, wie die Motoren, die immer weniger Umdrehungen machten und schließlich fast im Leerlauf liefen, von Windgeräuschen übertönt wurden. Er drückte die Knie zusammen. Sein Atem ging stoßweise und endlich leuchtete die grüne Lampe auf.
Cyrus zog mit einer schnellen Bewegung an der Haltevorrichtung und kniff die Augen zusammen. Er hörte ein scharfes Reiben von Metall auf Metall und fühlte, wie sein Magen von unten zwischen seine inneren Organe gepresst wurde. Mit dem lauten Klacken des automatischen Fallschirmauslösers im Ohr fiel er durch den Bombenschacht nach unten. Als er merkte, dass er raus war, riss er die Augen wieder auf und blickte zu seinem Fallschirm hinauf, der sich gerade entfaltete und dabei vom Luftstrom der Mosquito heftig herumgewirbelt wurde. Eine Seite des Schirms drohte einzuknicken. Cyrus blickte nach unten. Da waren vielleicht noch fünfzig Meter. Für einen kurzen Moment sah er Detonationsblitze in ein paar Kilometern Entfernung über dem umgrenzenden Wald. Darüber leuchteten, wie in einer Sylvesternacht, grüne und rote Leuchtkugeln am Himmel. Jüngersdorf wurde zeitgenau bombardiert. Die Lichtung lag fast im Tageslicht unter ihm. Die Geschwindigkeit, mit der der Boden unter ihm näher kam war enorm. Dann fühlte er einen starken Ruck, als der Schirm sich voll entfaltete.
Fast genau über der Mitte der Wiese berührte Cyrus mit einer gekonnten Rolle den weichen Wiesenboden. Trotz der perfekten Landung spürte Cyrus sofort einen heftigen Schmerz im rechten Schenkel und drehte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Rücken, während die schwarze Seide des Fallschirm sanft auf ihn niederfiel. Er war gelandet.
Es regnete. Skorni blickte angespannt über den weiten Platz des Lagers. Verteilt parkten zwei verdreckte LKW und ein Kübelwagen. Wachtürme und Zäune hatte man am Morgen bereits abgebaut und in die Flammen der brennenden Holzbaracken geworfen. Trotz des einsetzenden Regens, der den Platz des Lagers langsam in Morast verwandelte, loderte das Feuer qualmend aufwärts und grauweiße Rauchwolken zogen wie Morgennebel an den Flanken des Berges hinauf. Die Häftlinge hatten das Feuer auf Anweisung des Lagerkommandanten gelegt. Nun brannten die Überreste des Arbeitslagers prasselnd nieder. In der Ferne war hin und wieder das Grollen von Artillerie zu hören. Die Front rückte näher. Skorni wollte diesen Ort so schnell wie möglich verlassen.
Das Lager hatte aus einer Ansammlung Baracken, Lagerhallen, Stacheldraht-Umzäunungen und schnell gezimmerten Wachtürmen bestanden. Sofort nach Fertigstellung hatte man mit knapp tausend Häftlingen und nur zwanzig Bewachern des SD-Dienstes mit den Grubenarbeiten an der Bergflanke begonnen. Das Ergebnis war ein weit in den Berg führender Stollen, in dem in den letzten Monaten ohne Unterlass gearbeitet worden war. Nun war die Front zu nahe an den Stollen herangerückt. Höhle , wie das Codewort für die Uran-Miene lautete, musste aufgegeben werden.
Skorni zündete sich eine Zigarette an und blickte auf die Brände. Er liebte den Anblick von Feuer. Er hatte ihn immer geliebt. Das Feuer verschlang das Alte, das Überflüssige und schaffte Voraussetzung für das Neue. Höhle wurde nicht mehr benötigt. Und auch nicht die Häftlinge, die noch bis gestern tief im Berg gearbeitet hatten und gerade von ihren Bewachern in den nahen Wald geführt wurden. Es waren die letzten der wohl an die Dreitausend, die hier eingesetzt gewesen und noch nicht an diesen seltsamen Strahlen gestorben waren, welche ihre Opfer fürchterlich entstellt und unter Qualen dahin gemetzelt hatte. Dass die Überlebenden früher oder später ebenfalls sterben würden, war Skorni klar. Trotzdem konnte er sie nicht hier zurück lassen. Die Front tastete sich donnernd an sie heran und niemand durfte in die Hände der Bolschewiken fallen.
Der Boden quatschte unter seinen Füßen, als er sich umdrehte und zum Wald schaute. Dort sah er gerade noch, wie hundert abgemagerte, in Lumpen gehüllte Gestalten, von bewaffneten SD-Männern begleitet, in den nahen Wald geführt wurden. Die Wachmannschaft war seit einem Vierteljahr für die Bewachung der Arbeiter zuständig gewesen. Sie hatten das Lager während dieser Zeit auf Befehl nie verlassen. Daher waren sie gut gelaunt, als sie mit ihren Opfer in den Wald zogen. Außerdem hatte Skorni an die Männer Schnaps verteilt. Er hörte lautes Lachen und Rufen, dazu gelegentlich gebellte Kommandos. Dann war die Gruppe im Wald verschwunden. Nach zehn Minuten dröhnten Maschinengewehrsalven zu ihm herüber, die bald von unregelmäßigen Pistolenschüssen abgelöst wurden.
Skorni seufzte und trampelte schwerfällig durch den Matsch zwischen den brennenden Baracken hindurch zum Eingang des Stollens. Dort stellte er sich zu einem SS-Mann, der gerade dabei war, ein Dutzend Kabel, die zu mehreren tief im Stollen verteilten Kisten mit Sprengstoff führten, in einem Verteilerkasten miteinander zu verbinden. Der SS-Mann schlug gerade den Deckel des Kastens zu, als Skorni hinter ihn trat.
„Fertig?“
„Fertig, Obersturmführer. Ich klemme nur noch das Hauptzündkabel an.“
„Gut. Beeilen Sie sich. In einer Stunde müssen wir hier weg sein. Haben Sie den LKW in den Stollen gefahren“
„Jawoll. Aber wohl ist mir bei der Sache nicht!“
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