Cyrus quetschte sich in den engen Beiwagen, während Spoke eine braune Aktentasche im Gepäckteil verstaute. Beide trugen nun britische Fliegeruniformen.
„Aufmunternde Worte sind nicht gerade Ihre Sache, was?“
„Bei Ihrem Auftrag gibt es nichts Aufmunterndes.“
Spoke trat sein Motorrad an. Ein blaue Qualmwolke hüllte sie ein.
„Warum englische Fliegeruniformen?“, fragte Cyrus, als er seine Beine unter die Verkleidung presste. „Ich würde lieber in einer amerikanischen Uniform zur Hinrichtung gefahren werden!“
„Verständlicherweise wollen wir die Einwohner hier nicht mit deutschen oder amerikanischen Uniformen verschrecken“, sagte Scrubbs und hielt Cyrus die Hand hin.
„Viel Glück, Franko!“
Cyrus nickte nur. Dann gab Spoke Gas und sie verließen Carisbrooke-Castle.
Wieder fuhren sie durch die hügelige Landschaft der Insel, doch diesmal konnte Cyrus das fette Grün der Felder bewundern. Es war ein herrlicher Sommertag und über ihnen am Himmel sah er ab und zu die Kondensstreifen hoch fliegender Flugzeuge.
Am Hafen bestiegen sie den alten Kutter, der Cyrus schon von Southhampton hierher gebracht hatte, und langsam tuckerten sie über den spiegelglatten, windstillen Solent zum Festland herüber. Randolph Spoke schwieg die meiste, und in seinem Blick glaubte Cyrus so etwas wie stilles Mitleid zu erkennen, wann immer sich ihre Blicke trafen.
Sie fuhren ein Stück die Küste entlang und machten schließlich am frühen Nachmittag in Bournemouth fest. An der Hafenmole wurden sie von zwei RAF-Soldaten abgeholt, stiegen in ein mit dunkelgrüner Tarnfarbe gestrichenen Buick, der sie nach einer Stunde Fahrt zu einem Flugplatz des britischen Bomberkommandos brachte. Cyrus und Spoke wurden zu einem abgelegenen Hangar geführt, in der mehrere lange Tische neben einer schwarz lackierten Mosquito standen. An einem der Tische stand Major Hendricks. Er war allein. Die zwei Soldaten, die sie hergefahren hatten, schlossen die großen Hangartüren und verschwanden.
Hendricks war in der Zwischenzeit auf Cyrus und Spoke zugekommen und begrüßte sie mit Handschlag.
„Schön, das Sie es sich nicht anders überlegt haben. Ich hätte es vermutlich.“ Er grinste Spoke an, aber der sagte nichts. „Mr. Spoke und ich werden mit Ihnen Ihre Ausrüstung durchgehen und die Sachen anschließend in die Versorgungsbombe packen. Wir haben jetzt noch zwölf Stunden bis die Motoren angelassen werden. Genug Zeit, alles in Ruhe durchzugehen. Die Kleiderkammer des SOE hat uns eine ganze Herrenboutique für Sie zur Verfügung gestellt. Vom Monteuranzug bis zur Abendgarderobe ist nahezu alles dabei. Dazu noch Ihre deutsche Uniform. So, wie Sie nach einem Jahr Russland aussehen sollte. Und Ihre Papiere.“
Hendricks machte eine einladende Handbewegung in Richtung der Tische.
„Bis auf das Pflicht-Funkgerät und die dazugehörige zusammenlegbare Antenne von drei Metern ist es Ihnen frei gestellt, was Sie mitnehmen.“
Cyrus blickte auf den ersten Tisch und erkannte sofort die üblichen Waffen der geheimen Kriegsführung. Zu vorderst lag die Woolworth , deren Name wohl daher stammte, dass sie für gerade mal eineinhalb Dollar hergestellt werden konnte und daher in Massen bei den Widerstandsgruppen in ganz Europa verbreitet war. Die Woolworth war einschüssig, faustgroß und passte ohne Probleme in eine Hosentasche. Daneben lagen noch mehrere exotische Schusswaffen, die vermittels unterschiedlicher Antriebsarten unterschiedlichste Ladungen verschossen.
Auf Tisch zwei lagen diverse Werkzeuge für das lautlose Töten: Zweischneidige Dolche, zum Stoßen wie zum Aufschlitzen geeignet; ein Haumesser mit Metallknauf, das als Schlagwerkzeug geeignet war und eine machetenähnliche kurze Klinge aus gehärtetem Stahl hatte. Dazu Flachmesser, die gefurchte Fingergriffe besaßen und mit Lederscheide in die Kleidung eingenäht wurden. Klappmesser, die mit einem kurzen Ruck aus dem Handgelenk durch ihre eigene Schwerkraft aufsprangen. Außerdem Taschenmesser deutschen Fabrikats, die etwas modifiziert worden waren, und ausklappbare Schlossbrecher, drei verschiedene Metallsägen und eine Drahtschere im Griff. Dann noch Dolche, die gezielt in Auge und Ohr gestoßen wurden und mit einer Lederscheide am Körper befestigt werden konnten.
„Sie scheinen ja alles zu haben, was in Agentenromanen so vorkommt“, schmunzelte Cyrus und schlenderte an den nächsten Tisch, auf dem sich die unterschiedlichsten Objekte befanden. Bei einigen musste sich Cyrus die Funktionsweise erklären lassen.
„Ein Füllfederhalter“, schwärmte Hendricks, „der tödlich ist. Hier stimmt der Spruch: die Feder ist mächtiger als die Faust - ausnahmsweise. Wenn Sie die Halteklemme drücken, feuert er einen kleinen stählernen Pfeil ab. Reichweite etwa 15 Meter. Gut gezielt ist er tödlich. Genauso wie dieser etwas antiquiert aussehende hölzerne Federhalter. Darin verbirgt sich eine kleine Überraschung. Kräftig drücken, dann kommt eine scharfe Klinge daraus hervor und Sie haben einen tödlichen Dolch in der Hand.“
Hendricks schien begeistert. Als Cyrus nichts entgegnete, legte er die Feder zurück und griff wie ein von seinen Waren überzeugter Verkäufer nach einem Schuh, der zwischen Totschlägern und Schlagringen stand.
„Das hier ist echte britische Schusterarbeit der Spitzenklasse. Wenn man Sie fangen und fesseln sollte, können Sie mit einem kräftigen Tritt Ihrer Hacke diese zwei kleinen Schneiden ausfahren und sich damit befreien. Originell, nicht wahr?“
Cyrus vermochte die Begeisterung nicht zu teilen. „Leider sind das keine deutschen Armeestiefel sondern englische. Die werde ich bei meiner Legende wohl kaum benutzen dürfen.“
Hendricks schaute verdutzt den Schuh in seiner Hand an, hüstelte kurz und stellte ihn wortlos beiseite.
Es folgten alle Formen von Zündmechanismen für Sprengstoffanschläge. Niederdruckzünder, die unter Betten oder Schienenschwellen gelegt wurden und bei Belastung explodierten, Entlastungszünder, die genau umgekehrt funktionierten. Dazu einfache Zünder, Kabel, Stromquellen, Spulen, Unterbrecher, Uhren und Sprengstoffe in kleinen Taschen zum Selberbauen.
„Das war unser Selbstschutz- und Sabotagearsenal“, sagte Hendricks weniger begeistert als zu Anfang. „Hier kommen wir zu den Kommunikationsgeräten!“
Cyrus erkannte zwei Koffer, in die zum einen ein Funkpeilgerät eingebaut war, mit dem feindliche oder eigene Sender bestimmt werden konnten und zum anderen das ihm bekannte OSS-Funkgerät enthielten. Letzteres steckte in einem stoffbezogenen Koffer mittlerer Größe und enthielt außerdem noch einen Kopfhörer, eine Morsetaste und eine Antennenspule. Daneben eine zusammengelegte Antenne, die wie eine Angelrute aussah.
„Eine Angelrute? Wer geht denn im Krieg seelenruhig angeln?“ Cyrus konnte sich mit dem Gedanken eines friedlich am Fluss sitzenden Anglers nicht abfinden.
„Ja, ist schon sonderbar. Aber warum nicht. Irgendwie ist uns nichts eingefallen, wie wir eine drei Meter lange Antenne tarnen. Warum sollten die Deutschen nicht im Krieg angeln gehen?“
Es entstand ein Pause, in der Cyrus die Tische entlang blickte. Hendricks verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. „Und? Was wollen sie von diesen Dingen haben?“
„Wie groß ist die Versorgungsbombe?“
„Etwa zwei Meter. Standardgröße.“
„Major Hendricks! Geben Sie mir eine Automatik mit Schalldämpfer, zwei Sten Maschinenpistolen, zwei Woolworths, das Funkgerät und alles, was ich zum Bombenbau brauche. Packen Sie den Sprengstoff als Butterpakete getarnt dazu. Außerdem brauche ich noch zwei Zünder. Dann organisieren Sie mir bitte einen Sechskantschlüssel. Das wäre alles. Die Hohlräume füllen sie mir mit Kaffee, Zigaretten und Klamotten aus. Wo haben Sie ihre kleine Boutique?“
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