Friedrich Orscher meldet sich am anderen Ende der Leitung und der Richter stellt sich als der vor, der über die geplante Überwachung zu entscheiden habe und ob es nicht noch weitere Informationen oder Indizien gäbe, die eine Befürwortung der Überwachung erleichtert. Analytix weist auf die Erkenntnis der Nutzung anonymer Netze, den Verwandtschaftsgrad zu zwei Terrorverdächtigen hin, und Richter Gerold Eduard Rechtig will eben zufrieden auflegen, als ihm die Frage sauer aufkommt, wie die Erkenntnisse, insbesondere die Nutzung anonymer Netze, überhaupt ohne bisherigem Vorliegen einer richterlichen Erlaubnis zur Überwachung ermittelt werden konnten. Und mit sich wieder steigerndem Unbehagen fordert er
„Geben Sie mir ihren Vorgesetzten“.
Auch Vorgesetzte haben gelegentlich gewisse Bedürfnisse, ihren Arbeitsplatz zu verlassen, selbst wenn das Kantinenessen einen tadellosen Ruf genießt. In solchen Situationen werden eingehende Gespräche zu einem Mitarbeiter umgeleitet, und hierfür ist Orscher ein bevorzugtes Ziel von Carola Hef.
Noch während Orscher das Gespräch des Richters zu ihr weitergeben will, versucht der Agent im Außendienst, ebenfalls seine Chefin anzurufen, um ihr mitzuteilen, dass er sein Ziel erreicht habe und dort nichts Auffälliges erkennbar sei. Jedenfalls führt das Zusammentreffen der beiden Gespräche über den Apparat der Leiterin und eine falsche Tastenbetätigung bei Orscher dazu, dass der Anruf von Richter Gerold Eduard Rechtig beim Agenten Michael Theodor Läufer landet.
„Hier ist Richter Gerold Eduard Rechtig, ich bin schon sehr verwundert über die Dürftigkeit der Begründung zum Überwachungsantrag; auch scheint mir die Überwachung schon zu laufen. Wieso wissen Sie schon etwas über die Verwendung anonymer Netze durch den Verdächtigen? Was ist bei ihnen eigentlich los?“
Der Agent, keine ganze Sekunde verblüfft, erahnt gleich die Möglichkeit einer irgendwie gearteten Unregelmäßigkeit und reagiert, der Gesinnung der Loyalität des Dienstes folgend, blitzschnell. Nein, die Überwachung finde noch nicht statt, die bisherigen Erkenntnisse seien aus verschiedenen allgemein zugänglichen Quellen zusammengefasst und erfordern eine tiefer greifende und diskrete Durchleuchtung der verdächtigen Person. Wegen der Sicherheitslage können die bisherigen Erkenntnisse einfach nicht ignoriert werden. Selbstverständlich würden alle Maßnahmen der Ermittlungen sofort eingestellt, falls der Verdacht sich als gegenstandslos erweisen sollte. Es sei sicherlich verblüffend, welche hervorragenden Auswertungsmöglichkeiten allein durch die Betrachtung der allgemein ständig fließenden Daten möglich seien, und man habe bisher weder einen gezielten individuellen Datenabgriff, noch die Einschleusung weitergehender Ausspähsoftware gestartet. Vielmehr weisen die elektronisch kombinierten Quellen auf deutliche Indizien, die den Verdacht erhärten. Die Benutzung gewisser anonymer Netze sei deshalb so relevant, weil dort der Hort jeglicher Art der Ungesetzlichkeit angesiedelt sei, von Bauanleitungen für Atombomben, Marktplätze für Auftragsmorde, Rauschgifte, Geldwäsche, Waffen jeglicher Bauart, Bildergalerien für Anhänger sexueller Neigungen zu Hühner, Schweine, Pferde, bestialische Kinderpornographie ab Babyalter, Filme über menschliche Folterungen und Totschlag, Vergewaltigungen grässlichster Art, sogar mit eigenen Währungen werde dort alles gehandelt und bezahlt.
Richter Gerold Eduard Rechtig konnte ein sich wieder verstärkendes Gefühl der Übelkeit nicht unterdrücken; konnte es auch nicht vermeiden, das zuletzt Aufgezählte irgendwie mit dem Kantinenwirt zu assoziieren. Jedoch durchaus beeindruckt über die eben vermittelten Fähigkeiten der heutigen Technik und mit der Einschätzung, einen engagierten Vertreter des Dienstes am anderen Ende der Leitung zu haben, weil der in seinen verbalen Ausführungen auch einen Hauch von Verzweiflung in seinem Tonfall erahnen ließ, entschloss sich der Richter nun, die Anforderung der Überwachung zu bestätigen, beendet einen nicht überzeugend klingenden „Guten Tag“ wünschend das Gespräch; legt im Bedürfnis der Ablenkung den Notizzettel mit der noch freien Rückseite ob der Würdigung der Weiterverwendung auf die drei anderen Blätter, und in der Erkenntnis, alles jetzt bestens beurteilt zu haben, schreitet er zum Computer und quittiert die Überwachungsanforderung mit einem vorsichtigen und behutsamen Tastenanschlag positiv. Die neue Technik sei schon beeindruckend; nicht einmal ein Ordner ist nötig, um den Vorgang ad acta zu bringen, nicht einmal Schreibpapier sei effektiv verbraucht worden. Dann geht er den beschwerlichen Gang, den er zuvor schon abgeschritten hat, nicht gewahr der vielfältigen anderweitigen Nutzungen der Schwarzen Netzwerke im Internet, die Läufer ihm nicht genannt hat; welche die einzige Möglichkeit für unterdrückte Menschen in den totalitären Diktaturen der Welt, in den durch Terrorkommandos eroberten Gebieten, in zwielichtigen Firmenkonstrukten ist, ohne unmittelbare Entdeckung überhaupt noch jemanden irgend etwas mitteilen zu können, und ohne zu wissen, dass die Unterstützung dieser Netze weniger von machtvollen kriminellen Organisationen, denn von namhaften ehrenvollen und humanitären Institutionen in der ganzen Welt erfolgt; dass eine Zerschlagung dieser globalen dunklen Netze die Kriminellen woanders hin vertreiben und die Opfer ihren Verfolgern auszuliefern bedeuten würde.
Orscher erhält die elektronisch übermittelte Erlaubnis zur Überwachung unmittelbar am Monitor dargestellt und ist erleichtert, da die bereits initiierten Maßnahmen nun legal sind. Die Leiterin, eben auf dem Rückweg in ihr Büro, unternimmt noch einen Abstecher zum Arbeitsplatz von Analytix, um den mit einem leichten Schulterklopfen einfach mal wieder aufzumuntern und demonstriert durch gesteigerte Schrittgeschwindigkeit ihre Neigung, dynamische Entschlossenheit zur Schau zu stellen. Orscher, vollends zufrieden über die Richtigkeit seines Pragmatismus, nimmt eher gelangweilt zur Kenntnis, dass am Computer des verdächtigen Abdul Raber offensichtlich noch immer niemand ist. Irgendwann werden ja Ergebnisse der elektronischen Durchsuchung eintreffen, dann wird es wieder spannender.
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