Fragen über Fragen und da sich einige der Antworten wohl nur in Spanien einholen ließen, war es an KC ins historische Nautik-Archiv nach Sevilla zu fliegen. Wieder waren es Franck Gotties alte Beziehungen, die sofort ein Treffen mit der Direktorin des Institutes ermöglichten und so machte sich der korpulente Nerd auf den Weg nach Sevilla - nicht ohne sich vorher noch ein paar exquisite kulinarische Tipps von einem der spanischen Wissenschaftler einzuholen. Schließlich war er heute noch nicht einmal zu seinem opulenten Frühstück gekommen.
Währenddessen machte sich Jottape auf, um im Office seiner Bergungsgesellschaft den Einsatzplan für die kommende Expedition klar zu machen. Wenn Sie das Heck und die fehlenden Kanonen finden wollten, dann mussten sie einen größeren Umkreis um die Fundstelle absuchen und dafür auch mehr Zeit einplanen. Über die Anzahl der Kanonen ließ sich normalerweise mehr über den Schiffstyp heraus bekommen, denn es war bei der Lage des Bootskörpers kaum anzunehmen, dass die Aufbauten noch in irgendeiner Form existierten.
Viel wahrscheinlicher wäre die Ortung des Ankers, der normalerweise den Namen des Schiffes trug. Als sich die beiden von Professor Leclerc verabschieden wollen, hören sie gerade noch, wie er sich am Telefon von seinem Gesprächspartner verabschiedete: „… und bitte schicken Sie mir den oder die Beste, denn dieses Rätsel ist zu groß für eine Zweitbesetzung. Wir sehen uns dann in Genf.“
„Das war mein Kontakt beim LHC in der Schweiz, denn die Fakten die wir jetzt zusammenhaben können nur eines bedeuten: Dieser Kubus besteht aus reinstem Gold - das ist aber auch schon alles, was wir wissen und es kann nur eine Möglichkeit geben die atomphysikalischen Besonderheiten dieser Materie zu erklären. Es muss eine Art interner atomarer Verbindungen geben, von deren Wirkungsweisen wir nicht den Hauch einer Idee haben - nur, dass es sie geben muss, denn sonst könnten wir dieses Phänomen nur noch mit Hexerei oder Zauberei erklären.
„Da wir anscheinend nicht in der Lage sind, eine Material-probe zu nehmen, um diese im LHT in Genf mit Protonen zu beschießen, müssen wir zumindest theoretische Überlegungen über die Besonderheit des Materials anstellen. Besorgen Sie bitte die Informationen aus der Meerestiefe und wir werden unser Bestes geben, um unseren Teil der Aufklärung zu leisten“.
Eine halbe Stunde später klingelte bei Dr. Kasha Muratti das Telefon und da sie fließend französisch sprach, musste Professor Leclerc nicht einmal seinen schrecklichen amerikanischen Akzent an ihr ausprobieren.
Schloss Rambouillet
Die Tatsache, dass aus einem archäologischen Fundstück plötzlich ein Staatsgeheimnis geworden war, hatte zur Folge, das man den original Würfel auf keinen Fall einfach öffentlich ausstellen konnte. Andererseits war es durch die frühe Veröffentlichung der ersten Bilder unmöglich, den gesamten Vorfall zu vertuschen. Deshalb wurde von „ganz oben“ beschlossen, den Würfel „eins zu eins“ zu reproduzieren und das Original lieber an einen militärisch kontrollierten Standort zu verlegen.
Etwa 55 Kilometer südwestlich von Paris entfernt lag der kleine Ort Rambouillet, der auf den ersten Blick keinerlei militärische Infrastruktur hatte - nur ein berühmtes Schloss mit dem gleichen Namen existierte. Dieses Schloß wurde erstmals im Jahr 1375 erwähnt und entwickelte sich unter König Ludwig XVI zu einer Art Nebenresidenz, denn Versailles lag ja genau auf halber Strecke nach Paris. Auch Napoleon zog sich gerne in diese abgeschiedene Idylle zurück und benutzte Rambouillet ebenfalls als Jagd- und Lustschloss.
Im Jahr 1975 fand im Schloss Rambouillet eines von vielen Gipfeltreffen von nationalen Konzernen und internationalen Banken statt, bei der sogar der Vorläufer der G8 ratifiziert wurde: Der erste Gipfel der führenden Industrienationen.
An der Südflanke des Schlosses war ein riesiger englischer Prunkgarten angelegt, der an drei Seiten von hohen Mauern umzäunt war, während die über hundert Meter langen Stallungen direkt an die Gesindehäuser anschlossen und somit die vierte Seite des Parks abschlossen.
Kurz nach dem zweiten Weltkrieg war hier in jahrelanger Arbeit ein kilometerlanger Stollen in die Erde getrieben worden. Für den Fall eines potentiellen Nuklearkrieges wurde hier eines von vier Ausweichquartieren für die Regierung gebaut - absolut geheim - und versehen mit meterdicken Toren. Innerhalb der unterirdischen Anlage gab es nicht nur Wohnraum für mehrere Hundert Beamte, sondern auch die gesamte Notausrüstung, die ein Fortsetzen der Regierungsgeschäfte sicherstellen sollte - im Falle einer atomaren Vernichtung von Paris.
Die Bunker lagen bis zu vierhundert Meter tief unter der Erde und die Armierungen aus Beton waren so dick, dass sie angeblich auch dem direkten Beschuss von Atomwaffen standgehalten hätten.
Trotzdem war die Lage, die technischen Voraussetzungen und vor allem die geheime Anlage wie geschaffen, um den Kubus hier ganz sicher zu verwahren. Da auf dem nahen Schloss oftmals hochrangige Persönlichkeiten heirateten, war es keine große Besonderheit, wenn hin und wieder ein Hubschrauber auf dem Hubschrauberlandeplatz hinter der Mauer landete oder abflog und da der Transport des Würfels mitten in der Nacht erfolgte, bekam auch kein Mensch, außer den wenigen Eingeweihten mit, dass überhaupt ein Transport statt gefunden hatte. Jetzt war der goldene Kubus also an einem der best gesichertsten unter-irdischen Orte, den man für diesen Zweck in Frankreich finden konnte - und trotzdem war man von der Innenstadt von Paris aus in etwa einer Stunde vor Ort.
Nun musste nur noch ein täuschend echter Ersatzwürfel produziert werden. Da beim ersten Vermessen des Originals der neueste digital Stereoscanner verwendet worden war, hatte man bereits alle notwendigen Daten für eine perfekte Reproduktion. Allerdings waren die Sinter-Roboter in der staatlichen Versuchsanstalt für Metallurgie nur so groß, dass man maximal Prototypen oder Ersatzteile erstellen konnte, die nicht mehr als 50 cm breit waren.
Deshalb mussten die Daten der einzelnen Würfelaußenflächen digital in 16 Einzelteile „zerschnitten“ werden - insgesamt wurden also 96 einzelne Datensätze erzeugt, und diese wurden dann an die vier Sinter-Roboter übergeben.
Da die Genauigkeit des Abtast-Lasers und der Sinter-Anlage bei unter einem hundertstel Millimeter lag, war die geplante Reproduktion so genau, wie es nach heutigen Maßstäben überhaupt möglich war. Beim Laser-Sintern konnte man verschiedene Metall- oder Keramikpulver zum Einsatz bringen.
Nach der Produktion musste man die 96 Einzelteile aber noch vergolden und dadurch schied die Verwendung von Keramikpulver von vornherein aus.
Beim Original-Würfel gab es keine Vertiefungen, die höher als 6,2 Zentimeter hoch waren weshalb sich der leitende Ingenieur für eine Plattenstärke von sicherheitshalber 8 Zentimetern entschied. In der Schlosserei des Instituts wurde zuerst der Innenkern, der ja jetzt an jeder Seite 8 Zentimeter kleiner war, als das Original, aus einfachen drei Zentimeter dicken Stahlplatten zusammen geschweißt..
Im Rechenzentrum wurden in der Zwischenzeit 96 Schichtmodelle aus den Originaldaten errechnet, was trotz Einsatz eines Großrechners mehrere Stunden in Anspruch nahm - schließlich mussten auch die feinsten Linien und Einkerbungen mit berechnet werden und vor allem an den Schnittkanten durften keinerlei sichtbare Kanten zu sehen sein.
Die vier Sinter-Roboter waren bereits mit genügend Metallpulver bestückt und da man schon vorher kalkulieren konnte, wie lange die Maschine pro Einzelteil in etwa brauchen würde, mussten, grob gerechnet, alle zwei Stunden, die produzierten Teile aus dem Roboter genommen werden und - je nach Füllstand - auch neues Metallpulver aufgefüllt werden. Insgesamt würde der gesamte Produktionsvorgang nicht mehr als 32 Stunden dauern. Danach konnten alle hergestellten Platten perfekt auf den Innenwürfel geklebt werden und weil jedes Teil so exakt wie geplant aus dem Pulver zusammen gebacken wurden, war nach der Montage aller Kacheln auch nicht die geringste Fuge zu erkennen.
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