Oh, wie hasste ich dieses Lächeln, weil es ihn erhöhte und mich erniedrigte, weil es Ausdruck seines Hochmutes war und worauf ich einfach nichts zu erwidern wusste. Schließlich ließ er mich wie eine Person zweiten Ranges stehen, hingehen ich, am ganzen Leibe zitternd, ihm noch nachschaute, unfähig, diese Infamie zu begreifen. Ich spuckte aus und rief ihm noch etwas nach. Er jedoch reagierte nicht.
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2. Auf der Suche
Natürlich fühlte ich mich gekränkt, wobei mir der Gedanke, dass er es gar nicht so gemeint haben könnte, gar nicht erst kam. Wie auch, da ich ihn doch kannte. Solche Menschen können nicht anders, als gemein zu sein. Sie haben das mit der Muttermilch eingesogen. Toleranz ist ihnen fremd; zu groß ihre Angst vor Ächtung und Isolation. Lieber abducken und mitschwimmen ist ihre Devise, jeder Widerstand ist ihnen suspekt. Oh, ich weiß, wovon ich rede.
Mehr als einmal stand ich vor erstaunten Leuten, die nach meiner vorangegangenen Erklärung auf die Frage, weshalb ich niemals nachgebe, nur mit Unverständnis reagierten. Dabei lag die Antwort auf der Hand. Der Mensch gleicht einem Herdentier und muss sich fügen; anderenfalls wird er ausgestoßen und ist zur Einsamkeit verdammt. In der Einsamkeit aber findet er die Freiheit, welche ihm die Herde beraubt.
Nur deshalb bin ich so und stolz darauf, weil mein Wille allein mir gehört und sich keiner fremden Meinung beugt. Was nützt alle Logik und Vernunft, wenn sie die Leidenschaften hemmt? Leidenschaft bedingt Spontaneität. Sie führt zu gelegentlichen Schwankungen des Urteilsvermögens. Die daraus resultierenden Verstimmungen sind nur natürlich, werden aber als Mangel empfunden. Wenn ich also ausspucke und jemandem etwas Unanständiges nachrufe, dann weniger aus Frust, denn Protest.
Nur so ist es zu erklären, dass ich, je tiefer ich in diese Sache drang, zu völlig neuen Einsichten kam. Am Ende stand ein tiefes Bedauern ob des eigenen Unvermögens, freilich, ohne dass mein Stolz darunter litt. Im Gegenteil, plötzlich betrachtete ich mein Bedauern nicht mehr als Schwäche, sondern als Vorzug.
Dieser Gedanke begeistert mich. Ich sah in den Spiegel und werde meinen Gesichtsausdruck nicht vergessen. Von da ab stand fest: Ich würde es ihm zeigen. Noch am selben Abend setzte ich mich an meinen PC und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Ich kann gar nicht beschreiben, mit welchem Genuss ich diesen ganzen Unflat aufdeckte, wobei ich die Komplexität dieser Divergenzen ebenso analysierte wie die Unfähigkeit eigenen Widerstandes gegen bestehende Vorurteile.
Ich war überzeugt von meinem Sieg, begriffe dieses Äpfelchen nur im Ansatz die Tiefe meiner Zeilen. Dabei blieb ich durchaus sachlich, was die Sache betraf, verständnisvoll, was das Verständnis und leidenschaftlich, was die Leidenschaft anlangte, kurzum, ich schrieb wahrhaftig, wie man wahrhaftiger kaum schreiben konnte und doch mit keiner Silbe unterwürfig, das heißt, wenn auch respektvoll, so doch auf Augenhöhe.
Aber als meine Gedankenflut verebbte, ernüchterte mich ein ganz anderer, völlig banaler Umstand, den ich bis dahin noch gar nicht bedacht hatte. An wen sollte ich diesen Brief adressieren? Sein richtiger Name war mir entfallen, und an ’Bratapfel’ konnte man ihn schlechterdings senden. Gewiss wusste ich noch, wo er wohnte. Aber was, wenn er zwischendurch verzogen wäre?
Ich mochte nicht weiter darüber nachdenken. Vielmehr war ich mir sicher, mich seiner zu erinnern, würde ich seinen Namen erst auf dem Klingeltableau lesen. Zunächst wollte ich Nursel damit zu beauftragen. Doch da sie etwas begriffsstutzig und des Deutschen kaum mächtig ist, beschloss ich, die Sache selber anzugehen. Das behagte mir zwar nicht, schien aber unausweichlich. Obgleich es mit meinem Befinden nicht zum Besten stand (ich kämpfte schon seit Tagen mit einer Diarrhöe), hielt es mich nicht länger zu Hause.
Also machte ich mich bereits am nächsten Tag auf den Weg, hin zu jener Straße, die ich noch in Erinnerung hatte, übrigens einer typisch Neuköllner Gegend mit grauen Häusern, viel Lärm und wenig Grün. Ich erreichte auch bald sein Haus. Doch mein Vorhaben stand unter keinem guten Stern. Ausgerechnet dort guckte aus einem der oberen Fenster eine Alte mit schlohweißem Haar heraus und das mit jener Beharrlichkeit, wie es nur Alte mit schlohweißen Haaren können.
Zu allem befand sich in Parterre ein ziemlich schmuddeliger Dessouladen, den es damals noch nicht gab. Wie sollte ein Mann hier längere Zeit verweilen können, ohne aufzufallen? Am liebsten wäre ich umgekehrt. Doch die Leidenschaft duldet keinen Einwand, und gekränkte Eitelkeit ist bekanntlich die unduldsamste Leidenschaft. Was blieb mir, als die betreffende Haustür zu ‚observieren‘.
Ich entschied mich für den Hausflur schräg gegenüber. Er lag etwas versteckt hinter einem Baum und bot einen guten Einblick. Dort postierte ich mich im Durchgang hinter dem Standflügel des Zugangstores, welcher durch eine trübe Scheibe einen Ausblick auf die Straße gestattete. Ich war gerade dabei, meine Beobachtungen aufzunehmen, als von irgendwoher ein grauer Köter gesprungen kam und fortwährend kläffte. Himmelherrgott, der trommelt noch das ganze Haus zusammen!
Ich wollte ihm schon einen Tritt versetzen, da ertönte vom Hof her eine Stimme. „Fiffi, komm zu Herrchen.“
Kurz darauf erschien ein älteres Männlein im blauen Arbeitskittel, großer, dunkler Brille, und überaus gewichtiger Miene. Misstrauisch maß er mich, vermied aber ein Ansprechen. Zweifellos war er einer jener Wichtigtuer, die nichts anderes zu tun haben, als sich über andere Leute zu mokieren, vornehmlich dann, wenn es nichts zu mokieren gibt. Aber irgendwie finden sie immer einen Grund.
Er ließ sich mit dem Anleinen auffallend viel Zeit und begaffte mich, als wollte er fragen: ‚Na Freundchen, was machst du denn hier?’
Ich dachte freilich nicht daran, ihm irgendetwas zu gestehen, zumal es nichts zu gestehen gab. Vielmehr deutete ich großmütig eine kleine Verbeugung an, als Empfehlung sozusagen, und tat, als erheitere mich sein kleiner Pinscher. Den hatte er mittlerweile auf den Arm genommen und begann einen albernen Monolog, wobei etwas von ‚schlimmen Zeiten‘ und ‚schlimmen Menschen‘ erzählte.
Das ärgerte mich. War es etwa verboten, hier zu stehen? Viel angebrachter wäre es, diesen verdammten Köter anzuleinen, damit er keine fremden Leute belästigt. Ich wollte ihm das schon sagen, als mir plötzlich so eine Idee kam. Warum, so meine Überlegung, sollte ich diesen Kerl nicht um diesen kleinen Gefallen bitten? Er kannte sich hier aus, war unauffällig und könnte meine Suche verkürzen. Selbstverständlich würde ich ihn von der Harmlosigkeit meines Anliegens überzeugen und mich erkenntlich zeigen. Folglich nahm das Unheil seinen Lauf.
Ich begann zunächst mit dem Wetter und dem langen Winter, verlor mich dann in vielen liebenswürdigen Reden über diese schöne Gegend, die Leute und vor allem die wachsamen Mieter hier – eine unabdingbare Notwendigkeit heutzutage - und machte ihm nebenbei ein paar nette Komplimente. Erst ganz am Ende flocht ich unverbindlich mein kleines Anliegen ein, wobei ich ihm mit zwei, drei Worten erklärte, wie die Sache stand, ergo, dass es mir aus bestimmten Gründen unmöglich wäre, selbst hinüber zu gehen, da mir meine Ehre usw. usf..
Aber irgendwie begriff er nicht. Ja, redete ich denn Urdu? „Aber nein doch. Es geht allein um einen alten Schulfreund!“, stellte ich noch einmal klar und nahm eine würdevolle Haltung ein.
Ich hatte die letzten Worte kaum ausgesprochen, da kam eine ältere, ziemlich beleibte Frau die Treppe herab. Schon von weitem grüßte sie das Männlein, welches den Gruß auch gleich erwiderte. Zu meinem Entsetzen eröffnete er ihr sofort, was ich ihm mehr oder weniger soeben vertraulich gesteckt hatte, nämlich‚ dass dieser Mann hier (er wies mit schiefem Grinsen auf mich) unbedingt in das Haus gegenüber wolle, sich aber nicht traue. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. War der denn total verrückt geworden?
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