Zu seiner Ehrenrettung muss gesagt werden, dass Gosbert nichts von all dem mitgekriegt hatte. Als ihm die Veränderung, die mit dem Jungen vorgegangen war, auffiel, hatte Elspeth dem Herzog etwas von einer Nervenentzündung erzählt, die sich allerdings schnell wieder bessern würde. Auch der fürstliche Familiendoktor bestätigte diese Diagnose Elspeths, sie hatte ihm einige Golddukaten zugesteckt, die sie heimlich vom Staatsschatz abzuzweigen verstanden hatte. Natürlich zog Gosbert im Laufe der nächsten Jahre die verschiedensten medizinischen Koryphäen hinzu, doch vermochte keiner der berühmten Ärzte des Kontinents etwas am Zustand des Knaben zu ändern. Hätten sie etwas von den Methoden des Windebouteille und des Mönchs Bazillius gewusst, wären sie aus allen Wolken gefallen, doch wurde den Doktoren nur mitgeteilt, der Junge sei schon immer so apathisch gewesen. Die Herren konnten keine physische Ursache feststellen, verordneten kalte oder heiße Wickel, wie es nun einmal so ihre Art ist, was im Grunde ein Glück für den Jungen war, die Behandlungsmethoden der vereinigten Ärzteschaft des Kontinents hätte er wohl kaum auch noch überleben können. Man hielt die seit Jahrhunderten gepflegte Inzucht des Adels für die eigentliche Ursache, hätte so etwas aber natürlich niemandem gegenüber zugegeben.
Nachdem Bazillius, er war schon in den Achtzigern gewesen, als er dieses schwere Amt übernommen hatte, den Weg alles Irdischen gegangen war, übernahm einer der Seminaristen von Windebouteilles neugegründeten Institut zur Ausbildung von Priestern der reformierten, lammelianischen Kirche dessen Aufgabe. Mit dem neuen Lehrer verschwand zusehends die Neigung Priscillas, sich allem ohne Widerstand zu beugen, was ihr vorgeschrieben wurde. Ob dies nun durch die Arbeitsweise des jungen Seminaristen ausgelöst worden war, oder aber etwas mit dem beginnenden Eintritt ins Erwachsenenalter des Mädchens zu tun hatte, war nicht genau zu sagen. Zwar hielt sich Priscilla noch an die allermeisten der Gebote, die in der lammelianischen Glaubenslehre vorgeschrieben sind, doch regte sich allmählich der Zweifel in ihrem jungen Herzen, ob es denn mit dem allen so seine Richtigkeit hatte. Bevor jedoch ein ernsthaftes Aufbegehren der pubertierenden Tochter zum Ausbruch hatte kommen können, war sie dann mit dem jungen Baron Bodo verehelicht worden, der gerade erst die Amtsgeschäfte des Hauses Hallgard von seinem erkrankten Vater übernommen hatte.
Und wirklich ging die erste Zeit lang die Rechnung auf, die Gosbert gemacht hatte. Die reichhaltige Mitgift, die diese Verheiratung einbrachte, konnte die Staatsfinanzen erst einmal wieder in Ordnung bringen und die folgenden Jahre schwemmten immer wieder Geldleistungen von Hallgard in die Kassen von Gosbert, ansonsten wäre sein Haus dem Untergang geweiht gewesen.
Es war Priscilla schwergefallen ihren Bruder zurückzulassen, wenn sie auch eigentlich ansonsten frohen Herzens ihr Leben in Kopoks hinter sich ließ. Selbstverständlich hing das Mädchen auch an seinem Vater, doch hatte der über die Jahre immer weniger Zeit für seine Kinder aufwenden können. Auch war bei einem solchen Unterfangen immer seine Gemahlin im Wege gestanden, die ihm vorwarf die Geschwister allzu sehr zu verzärteln. Der Abschied von der Mutter allerdings fiel Priscilla äußerst leicht, war sie doch seit der Erkrankung des Bruders schockiert gewesen über die Behandlung, die man diesem hatte angedeihen lassen, doch konnte sie nichts von diesen Geschehnissen dem Vater berichten. Sie wusste, das hätte ihm das Herz gebrochen.
So standen die Dinge nun in der Stadt Kopoks. Gerade war Gosbert noch einmal um die Pleite der Staatsfinanzen herumgekommen, als Baron Bodo von Hallgard ihm endlich das gewünschte zinslose Darlehen genehmigt hatte. Den gesamten kleinen Goldschatz hatte er dann bei seiner Hausbank, der 'Kreditkasse Ilmendorf, Kopoks und Fitzheide' hinterlegt, und so konnte die Reise am Abgrund entlang weitergehen, so dachte jedenfalls Gosbert bis zum heutigen Tag, als jedoch gegen Mittag der Besuch des Bankdirektors Hurmel angekündigt wurde, überfiel den Herzog eine schlimme Vorahnung.
Diesen Finanzhai hatte er nie leiden können, verarmter altkaramasulischer Landadel, dachte Gosbert verächtlich. Die Blutlinie zwischenzeitlich vermischt mit Bauern, Landarbeitern und Wilderern aus den Nebelbergen, ein Kretin, ein Geisteszwerg, ein neureicher Kriegsgewinnler, und dies waren noch die nettesten Bezeichnungen, die Gosbert für den Direktor Hurmel einfielen. Dies alles behielt der Herzog selbstverständlich für sich, merkwürdigerweise kam er im Großen und Ganzen mit Hurmel gut zurecht. Wahrscheinlich, so dachte Gosbert manchmal, hatte er diese ganze Sammlung von Vorurteilen kritiklos von seinem alten Herrn, Gott hab‘ ihn selig, übernommen. Aber so schnell wurde man solch einen vererbten Snobismus nun mal nicht wieder los, so sehr man sich auch bemühte, immer bleibt noch etwas kleben, egal ob es auch nur ein Fünkchen Wahrheitsgehalt aufweist, oder eben nicht.
Die Türe zu dem kleinen Empfangszimmer, das lediglich lumpige zweihundert Meter im Quadrat maß, im Gegensatz zur Halle, in welcher der Fürst normalerweise seine Gäste empfing, öffnete sich, und der Haushofmeister in Gestalt des unvermeidlichen Grützling stand im Türrahmen.
„Ludovico de Hurmel, Direktor des Bankwesens, Träger der kupfernen Gürtelschnalle von Kunkelau, Mitglied im Rat der hochherrschaftlichen Stadt Kopoks!“, rief Grützling in den Raum hinein und klopfte dabei mit einem langen Stab mehrmals auf den steinernen Boden.
'Vielleicht auch noch Anwärter auf das Amt des größten Haderlumpen des Kontinents', fügte Gosbert in Gedanken hinzu, und musterte missmutig den Eintretenden, verwandelte seine finstere Miene jedoch sofort in eine freundliche, durch die pure Kraft bewundernswerter Heuchelei. Eine Art der Magie, die auf jeder Welt vorzufinden, und gar nicht überzubewerten ist.
„Werter Direktor, wie schön sie zu sehen!“, säuselte der Herzog und reichte Hurmel beide Hände. Der mühte sich nun damit ab, einen artigen Diener vor dem Herzog zustandezubringen, was ihm allerdings wegen seines, vom vielen anstrengenden Sitzen arg gebeugten, Rückens nicht gelingen wollte.
„Euer Durchlaucht!“, begann Hurmel dann, ohne sich groß aufzuhalten. „Das Gold, es ist….., nun wie soll ich mich ausdrücken? Es stinkt erbärmlich ... äh, es befindet sich sozusagen in einem anderen Aggregatzustand, man könnte auch sagen…., es ist alles weg!“
„Lieber Hurmel, Ihr seid ja völlig außer Euch!“ Das musste ja einmal so kommen, dachte Gosbert. Wenn man das ganze Leben lang mit nichts anderem beschäftigt ist, als Geld zu zählen, zu verwalten, zu verleihen, anzulegen und zu vermehren. Wer wollte es dem Direktor verübeln, wenn er nun völlig verrückt geworden war, es war schließlich wirklich kein Wunder. Er sollte sich vielleicht öfter einmal ein entspannendes Bad gönnen.
„Herzog, Euer Gold, es hat sich in Luft aufgelöst!“, begann Hurmel von neuem, „noch dazu in eine ziemlich dicke Luft, möchte ich mal behaupten!“
„Was hat sich in Luft aufgelöst, Direktor? So beruhigt Euch doch etwas! Wie wär’s mit einem Glas Wasserpunsch mit einem Spritzer Zwiebelsaft?“ Die Trinkgewohnheiten in Kopoks waren schon eine Sache für sich. Wirklich hatte die Gesichtsfarbe Hurmels zwischenzeitlich eine besorgniserregende Rötung angenommen, auch nestelte er beständig an seinem Hemdkragen herum, als ob er keine Luft zum Atmen hätte.
„Das Gold, nun ...! Mit dem die staatlichen Schulden beglichen hätten werden sollen, bei unserem Institut und bei weiteren Bankhäusern“, der Direktor reagierte in keinster Weise auf das Angebot Gosberts, was man ihm wirklich nicht verübeln konnte. „Also es ist weg, nur noch grünlicher Schleim! Und ein Gestank zum Weglaufen!“
„Ihr wollt sagen, dass kein Gold mehr da ist?“, fragte Gosbert nun und blickte Hurmel jetzt aus weit aufgerissenen, schreckgeweiteten Augen an.
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