Mein Großvater kannte in London den Lord Palmer. Das war einer der Präsidenten von »The Forestal Timber & Railway Co. Ltd.« (eine sehr große und einflussreiche Firma).
Diesen Lord bat nun mein Großvater, den Weg seines Sohnes in London zu betreuen, was dieser auch zusagte. Da der Lord jedoch Besseres zu tun hatte, als einen Studenten aus dem hinteren Transsylvanien zu beaufsichtigen, engagierte er einen Privatdetektiv, der meinen Tata in seiner Londoner Zeit auf Schritt und Tritt beobachtete. So war sein Vater, zu Hause in Transsylvanien, über alle Taten und Untaten seines Sohnes in England bestens informiert, was meinen Tata immer sehr wunderte.
Eines Tages, Tata hatte gerade das 18. Lebensjahr erreicht, war es so weit, dass er die weite Reise nach London antreten konnte.
Seine erste Station sollte Wien werden, in der seine verheiratete, ältere Schwester lebte. Tata, der das erste Mal eine Großstadt besuchte, stürzte sich mit seinen 18 Jahren sofort in allerlei dubiose Abenteuer. Nach einer turbulenten Woche, erzählte er, habe ihn schließlich sein Schwager aus diversen unangenehmen Situationen erlöst und ihn auf den Weg nach London gebracht. Der Weg nach London führte über Rotterdam, wo mein Väterchen hängen blieb und sich in weitere Abenteuer stürzte, aus denen er wieder nicht allein herauskam. Ein holländischer Geschäftsfreund seines Vaters half ihm und bewahrte ihn vor dem Schlimmsten, indem er ihn schleunigst nach London abschob.
In London angekommen bezog er als Erstes ein Boardinghouse, in dem ihn der Lord untergebracht hatte und in dem strenge Sitten herrschten. Am zweiten Tag meldete er sich bei der »University of Economics«, wo ihn eine ziemlich hübsche Direktrice empfing und ihn mit Wohlwollen behandelt habe. Nach seinem Zeugnis gefragt, habe er ihr sein rumänisches Reifezeugnis übergeben, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass dieses Zeugnis nicht zum Studium an den Universitäten berechtigte. Da weit und breit kein Übersetzer oder Dolmetscher aufzutreiben war, der das rumänische Zeugnis der hübschen Sekretärin hätte erklären können, wies mein Tata auf gut Glück darauf hin, dass das Wort Universitate auf dem Zeugnis angeführt worden sei. Besagte hübsche Universitätsangestellte habe meinen Tata freundlich angesehen, genickt und ihm den Status eines Universitätsstudenten ausgehändigt. Für ihn sollte das ein wichtiges Dokument werden, denn auf Grund dieser Zulassung benötigte er zukünftig bei anderen Universitäten, wie in Deutschland und Österreich, keine neuen Berechtigungsnachweise.
Bei dem nun folgenden Lebenswandel meines Väterchens verwunderte es nicht, dass ihm eines Tages das Boardinghouse kündigte. Worauf ihn Lord Palmer zu sich rief und ihm eröffnete, dass sein Vater in Transsylvanien, auf Grund seines liederlichen Lebenswandel beschlossen habe, ihn in eine moralisch saubere Umgebung zu versetzen. Und zwar zum Pastor des Dorfes Harpenden, das etwa 30 km von London entfernt lag. So machte sich Tata, mit einem kleinen Köfferchen, auf den Weg nach Harpenden. Der Pfarrer und seine Haushälterin seien sehr freundliche Menschen gewesen, erzählte er, mit denen er eine lustige Woche verbracht habe. Nach dieser Woche habe der Pastor volles Verständnis aufgebracht, als Tata ihm erklärte, dass er nicht jeden Tag 30 km, nachts und bei Dunkelheit, den gefährlichen Weg von der Londoner Universität zu dem weit entfernten Harpenden nehmen könne und er sich daher nicht wundern solle, wenn er des Öfteren in London, bei Freunden, übernachten müsse. Zurück in London mietete mein Tata eine Dreizimmerwohnung und stellte eine rothaarige, rassige und willige Irin als Haushälterin ein. Anschließend kaufte er sich einen gebrauchten Wagen der Marke Morris, der damals nur zwei Bremsen auf den Hinterrädern besaß. Da all das den Monatswechsel seines Vaters überstieg, dachte er nach, wie er diese missliche Situation ändern könne. So schrieb er seinem Vater, er möge prüfen, ob ein Export der Fabrikledersohlen aus Transsylvanien nach England möglich wäre. Sein Vater, über den Geschäftssinn seines Sohnes hocherfreut, sandte ihm sofort aus der Fabrik 100 Kilo des besten Sohlenleders, das er für die Bemusterung der zukünftigen Kunden benötigen würde. Mit diesem Leder ging Tata auf die Suche nach einem Abnehmer und fand ihn auch nach längerem Suchen. Es war ein Schuster, der ihm das Leder, in der darauffolgenden Zeit, sukzessive abkaufte. Und so trug Tata jeden Monat zehn Kilo Leder zu diesem Schuster und füllte mit dem Erlös seine Finanzen auf.
Als nach kurzer Zeit die Firma Morris einen neuen Wagen mit vier Bremsen herausbrachte, wurde Tatas Wagen mit den zwei Bremsen praktisch unverkäuflich. In Anbetracht seiner jetzigen guten Finanzlage kaufte er sich einen neuen Morris mit vier Bremsen und versuchte, seinen alten Wagen, mit den zwei Bremsen, zu verkaufen.
Trotz großer Mühen wurde er den alten Morris nicht los, worauf er beschloss, den Wagen gut zu versichern und ihn in der verruchten Gegend von Soho abzustellen, in der Hoffnung, dass der Morris mit den zwei Bremsen gestohlen werde und er von der Versicherung das Geld zurückerhalten könne. Täglich habe er sich daraufhin auf den Weg nach Soho begeben, um der Versicherung endlich das gestohlene Auto melden zu können. Bei jedem Besuch habe er jedoch den Morris im alten Zustand vorgefunden. Um den Dieben auf die Sprünge zu helfen, habe er nach einiger Zeit selbst den Zündschlüssel im Wagen stecken lassen. Leider, erzählte er bekümmert, wäre ihm dieser Versicherungsschwindel nicht gelungen.
Dann meldete sich mein Väterchen in einem Boxclub an. Als sein Trainer der Ansicht war, er wäre so weit, dass er sich in einem Kampf bewähren könnte, schickte er ihn eines Tages auf die Bretter.
Ein großer, schwarzer, durchtrainierter Neger sollte sein Gegner werden, der Tata so vermöbelte, dass er sich von diesem Sport verabschiedete. Dem Zufall verdankte mein Tata, dass er in seiner Londoner Zeit zu einem großen Empfang beim Schatzkanzler Lord Duneeden eingeladen wurde. An besagtem Termin fuhr Tata, mit Cut und einer Melone bekleidet, zum Palais des Lords Duneeden, wo ihn auf dem Parkplatz eine Reihe von Rolls-Royce empfingen. Verschämt sei er zwei Straßen weiter gefahren, wo er seinen Morris abstellte und sich zu Fuß zum Empfang begab. Dort wurde er vom Zeremonienmeister mit lauter Stimme und dem Klopfen seines Stabes der hohen Gesellschaft angekündigt. Worauf die alten Ladys angefangen hätten herumzurätseln, wer er eigentlich sei und was er dort zu suchen habe. Zum Schluss hätten sie sich darauf geeinigt, dass er wohl vom Hofe des rumänischen Königs stamme, der mit dem englischen Königshaus verwandt war. Die hochpeinlichen Fragen, die darauf von den Damen über das rumänische Königshaus an ihn gestellt wurden, sollten seine höchste Geschicklichkeit verlangen.
An diesem Abend jedoch warf die Gastgeberin, Lady Duneeden, eine französische Prinzessin, etwa fünfzig Jahre alt, ein wohlwollendes Auge auf meinen Tata, wohl auch deswegen, da ihr Mann die achtzig überschritten hatte, so dass er in der nachfolgenden Zeit öfters ins Haus von Lord Duneeden eingeladen wurde. Bei diesen Einladungen, so erzählte Tata, führte der Lord oft Filme aus seiner Zeit in Indien vor, wobei er vor Ende eines jeden Filmes bereits schlief.
Natürlich gehörten zu diesem Lebensstil auch gute Freunde. So verbrachte er mit Ralf, Karl und Franz, alles Söhne begüterter Familien aus Deutschland, seine Londoner Zeit. Ihr Motto, so erzählte Tata, lautete: »If you can’t be good, be careful.«
Eines Tages beschlossen die vier, an die größte deutsche Faltbootfabrik, die Firma Klepper, zu schreiben. Dort schlugen sie der Firma Klepper vor, als Werbegag, ein Faltbootrennen von London nach Paris zu veranstalten. Sie würden das alles organisieren, wenn die Firma Klepper ihnen fünf Boote zur Verfügung stellen würde und das Training bezahle. Die Firma Klepper nahm den Vorschlag an, und was darauf folgen sollte, würde ein Buch für sich füllen, behauptete Tata, weshalb er mir nur eine verkürzte Ausgabe dieses Streiches wiedergab.
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