Zoran lass weiter, in großen Buchstaben war das Wort Essen vermerkt. Zoran verspürte weder Durst noch Hunger. Er konnte tagelang nichts essen, das viel ihm manchmal nicht mal auf. Sein Körper funktionierte trotzdem wie ein Uhrwerk weiter. Das war auf sein Training in den jungen Jahren zurückzuführen. Als er vierzehn Jahre alt war, las er ein bescheuertes Buch über Krieger im Fernen Osten. Ein Teil dessen Trainings war, um sich abzuhärten, dass die Krieger einen Tag in der Woche nichts gegessen haben, vierundzwanzig Stunden lang absolut nichts. An einem anderen Tag der Woche haben sie nichts getrunken, nicht einen einzigen Tropfen. Zoran hatte die Übungen gemacht. Am Anfang war es natürlich unerträglich, aber nach einigen Wochen war es durchzuhalten. Diese körperliche Tortur hat er jahrelang gemacht. Seit der Zeit empfand er nichts, weder Hunger noch Durst. Wenn er sich jetzt nicht aufschreiben würde, er solle etwas essen, hätte er es vielleicht sogar übersehen. Mit dem Trinken war es einfacher, in jedem Zimmer stand eine Flasche Mineralwasser. Erinnerung genug. Und in Trinkkuren, wie er seine Trinkanfälle nannte, der Wodka-, Korn-, Weißwein-, oder Rumwoche, trank er ausreichend Wasser schon wegen der Getränke mit. Er wusste, wie anstelle von Schmerzmitteln er süchtig nach Zigaretten, Espresso, Alkohol … und … seinen Träumen war. Alles hätte er zugegeben, bis auf das Letzte. Die Träume waren ein Fluch, aber wenn sie ausblieben, erst dann ging es ihm schlecht. Seine Träume haben sich in den letzten Jahren stark verändert, er fing an sie zu kontrollieren, zu durchleben. Nachzuvollziehen, bewusst zu erfassen, durchleben. Er bekam Antworten und Lösungen auf fast alle seine Fragen. Fast alle.
Zoran ging ins Bad und machte sich für den Tag fertig. Gerade als er fertig war, klingelte das Telefon. Zoran suchte im Flur nach dem Handy und schaltete es ein.
»Ja?«, sagte Zoran mit verstellter Stimme. Dies war unnötig, denn seine Scrambler funktionierten einbandfrei.
»Hallo? Spreche ich mit dem ehrenwerten Sammler? Ihr Bekannter hat mir ihre Telefonnummer gegeben, ich solle sie persönlich anrufen«, sagte die tiefe und angenehme männliche Stimme.
Er registrierte alles, der Mann sprach fließend englisch, jedoch mit verstecktem Akzent. Frankreich? Spanien? Nein, dieser Mann hatte mehrere Muttersprachen. Es gefiel ihm, dass der Mann gezielt und ohne Umschweifen direkt zur Sache kam.
»Ja, richtig, ich bin es. Danke für den Anruf«, sagte Zoran.
»Ich bin morgen auf der Durchreise in ihrer Stadt. Wenn es ihnen passt, könnte ich vorbei kommen. Wäre das möglich? Würde ihnen das passen?«
Zoran überlegte kurz. Er hatte heute und morgen nichts vor. Tausend Sachen standen auf der Liste, um erledigt zu werden, aber er hatte nichts Konkretes vor. Das nächste Ziel … stand noch nicht fest.
»Warum nicht. Sie können gerne vorbeikommen. Ich wohne in …«
Die Stimme unterbrach ihn.
»Ihr Bekannter wird mich bringen, oder mir sagen wo sie wohnen. Das ist am einfachsten. Eine Frage noch, bitte. Wurde es ihnen etwas ausmachen, wenn ich meine Sekretärin mitbringe? Ansonsten, ich müsste sie im Hotel alleine zurücklassen. Ohne Begleitung traut sie sich in einer unbekannten Stadt nichts zu unternehmen, nicht einmal das Hotel zu verlassen. Würde das gehen?«
Wieder musste er überlegen. Das passte ihm ganz und gar nicht. Es war nicht üblich, das Fremde noch weitere Fremde mitbringen. Das war gefährlich, er müsste dann zwei Gestalten in Schach halten.
»Ach so, sie hat Angst hier? Und wo kommt sie her, wenn ich fragen darf?«
»Sie ist Chinesin. Alles ist für sie neu, daher dachte ich …, vielleicht dürfte sie mit mir zu ihnen kommen. Aber nur wenn es ihnen auch wirklich passt. Vielleicht kann sie ihnen bei den Übersetzungen behilflich sein. Sie spricht Deutsch«, erklärte die Stimme.
Die Stimme war sehr freundlich, entspannt, Zoran spürte die Wärme, spürte die Zuneigung ihm gegenüber, die Höflichkeit war überragend. Er hätte nie erlaubt, dass ein Fremder noch jemanden mitbringt. Alle seine Sinne sagten ihm, dieser Stimme könnte er vertrauen.
»Ja, gerne, bringen sie die Dame bitte mit. Wie sieht es mit ihrer Zeit sonst aus? Was halten sie davon, wenn bei der Gelegenheit, ihre Begleiterin und sie bei mir zum Essen bleiben? Ich würde mich sehr freuen.« Warum er diese Frage stellte, das war Zoran in dem Moment nicht klar. Sie kam nicht aus seinem Kopf, sie war ein Produkt seiner unterschwelligen Gedanken, kam aus dem Bauch, aus seinem Unterbewusstsein. Er wollte gerade die Frage zurückziehen, als die Stimme antwortete.
»Ich habe es bereits veranlasst, die Sammlung wird heute zu ihnen geliefert. Es wäre besser, wenn sie die Lieferung abwarten, statt Besorgungen wegen des Essens zu machen. Ich denke, die Lieferung hat Priorität. Bleiben sie bitte bis auf Weiteres zu Hause.«
Zoran dachte nach. Der Mann hat es also bereits veranlasst, dass seine Sammlung an ihn ausgeliefert wird. Ohne ihn zu kennen, ohne ihn je gesehen oder vorher gesprochen zu haben. Das sprach in Zorans Augen entweder für absolute Dummheit, einen Betrüger mit Blenderware, oder, einhundertprozentige Vertrauensbasis. Das gefiel ihm, der Mann war auf seiner Wellenlänge, so oder so, auf Risiko eingestellt. Mal sehen, was daraus wird.
»Absolut kein Problem. Ich muss nicht ausgehen. Falls ich doch noch etwas brauche, dann werde ich es mir bringen lassen. Ich werde Ihre Lieferung abwarten. Die Einladung zum Essen bleibt.«
»Warum nicht? Das würde mich sehr freuen, dann werde ich mich um die Getränkeauswahl kümmern. Sie trinken doch Wein und Vergleichbares?«, fragte die vertrauensvolle Stimme.
»Ja, das tue ich. Gut, dann machen wir das so. Wann in etwa kann ich mit ihnen rechnen?«
»Ich vermute … gegen vierzehn Uhr. Ich freue mich bereits sie kennenzulernen«, sagte die Stimme abschließend.
»Wunderbar, ebenfalls. Bis morgen.« Zoran legte auf.
Der Mann am Telefon war gut, ein Profi. Er hat nicht ein einziges Mal irgendeinen Namen oder etwas Konkretes gesagt, kannte das Spiel. Zoran mochte die Angeber und Möchtegerns nicht.
Er lief in die Küche um seine Vorräte zu inspizieren. Er kochte sehr gerne und freute sich, wenn jemand da war, was extrem selten vorkam.
Moureu war schon lange hellwach, hielt die Augen geschlossen, sortierte die Ereignisse des vorangegangenen Tages und der letzten Stunden vor dem Abflug. Bis jetzt lief alles sehr gut. Herr Yi hat die Wache für den Schlafenden verstärkt und umorganisiert. Nur die eigenen Leute vom Herrn Yi werden anwesend sein, ein Kommando der Triaden. Gute Leute, überlegte Moureu, die Besten die es zu finden gab. Sie könnten es mit einem Sonderkommandotrupp, oder gar der ganzen Polizei der Stadt Frankfurt aufnehmen. Diese Männer waren keine üblichen Kriminelle, sondern allesamt ehemalige Militärs und Polizisten, Angehörige der Sondereinheiten. Sie standen im Soll der Triaden und bildeten eine schlagkräftige Armee, welche nur im Krieg aktiviert werden sollte. Bei der Gründung der Gruppe bedachte man die Kriege gegen andere Organisationen, welche den Triaden zu nahe kommen, zu führen. In Südamerika, den USA, überall auf der Welt waren kleine mobile Trupps anwesend. Frankfurt war der wichtigste Verkehrsknotenpunkt in Europa geworden, die Drehscheibe aller Bewegungen und Aktivitäten, daher wurde dort die größte und beste Gruppe fest stationiert. Früher war es London gewesen, aber nach der Öffnung des Ostens wurde die Gruppe nach Frankfurt verlegt. Die Männer der Triaden werden da sein, dessen war sich Moureu sicher, sie waren bereits da. Er musste sich vorerst keine weiteren Gedanken um die Sicherheit des Schlafenden machen. Bruder Ketamori wird die geeigneten und neutralen Kämpfer aussuchen, diese Moureu zukommen lassen. Es werden wenige Männer sein, nur eine kleine Truppe als Begleiter. In Frankfurt wäre eine größere Gruppe viel zu auffällig, hätte nur sich selbst in Gefahr gebracht. Wären sie woanders, in einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent, dann würde Bruder Ketamori Dutzende schicken, Hunderte, wenn nötig sogar Tausende. Sie werden sich vielleicht schnell bewegen, ihre Aufenthaltsorte wechseln, untertauchen müssen, das Opfer in Sicherheit bringen. Je weniger Beteiligte, überlegte er, umso besser.
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