Sie stand auf. Sie nahm ihre Jacke und ging zum Tresen am Ausgang. Sie zahlte und verschwand. Adam blieb sitzen.
Es hatte ihm, sobald sie weg war, viel mehr wehgetan, als er es vorher hatte ahnen können. Betäubt war er nach Hause getrottet, hatte kaum geschlafen und über Stella nachgedacht. Und über Sandra. Ob er wirklich nicht willens oder nicht in der Lage war, anderer Menschen Anliegen ernst zu nehmen. Nach wenigem und unruhigem Schlaf war er am nächsten Morgen zu spät aus dem Bett gekommen, aus der Wohnung ins Parkhaus und zu seinem Auto gelaufen und losgefahren, immer noch, oder besser gesagt schon wieder in einem tiefen, grübelnden Gedankengeflecht verwoben. Dass es regnete und er ein wenig zu flott unterwegs war, merkte er erst, als der Wagen ins Schleudern geriet und unaufhaltsam auf den Zeitungsstand zu schlitterte. Dann hatte es gekracht.
Der Streifenführer der Secuforce hat die Inspektion von Adams Papieren endlich abgeschlossen, scheint aber immer noch nicht schlüssig, gegen wen der beiden Beteiligten sich sein quasi-amtlicher Zorn richten sollte. Die Entscheidungsphase überbrückt er mit ein wenig bewährtem Protektoren-Sarkasmus.
„Was passiert ist, wollen der junge Herr wissen? Mit Vollgas haben Sie die Zeitungsbude über den Haufen gemangelt. Der alte Schmierlappen ist am Ende seiner Nerven. Und wenn er Sie drankriegt auch noch finanziell saniert. Das ist passiert.“
Kopfschüttelnd schaut er sich die Kratzer an Adams Auto an.
„Halten nichts aus, diese Billig-Karren. War doch nur so eine Art Penner-Hütte, die Sie da erwischt haben. Der Lackschaden ist bestimmt doppelt so viel wert wie die ganze Bude samt Inventar. Pech muss man haben.“
In diesem Moment entfährt dem anderen Protektor, der die Daten der Unfallbeteiligten mit seinem Handcomputer überprüft, ein triumphierendes „Ha!“. Den Handcomputer wie einen Knüppel schwenkend marschiert er auf den Zeitungsverkäufer zu.
„Hab’ ich es mir doch gedacht. Jetzt bist du dran, Alterchen, das hab ich ja so gern wie’s Zahnweh. Mannomann, das wird ’ne teuere Nummer für dich!“
„Was gibt’s?“ fragt der Streifenführer seinen Kameraden.
„Da hatte ich doch gleich so einen Riecher“, entgegnet der angriffslustig. „Ich hab da drüben schon vor ein paar Tagen einen fliegenden Obsthändler ausgehoben, der hier gar nichts zu suchen hat. Und der Zeitungsfritze hat natürlich auch keine Lizenz, hier seine Bude hinzuzimmern.“
„Wie – was?“ stammelt der Zeitungsverkäufer entgeistert.
Der Streifenführer wirft einen kundigen Blick auf den Handcomputer, dann übernimmt er den Rest des Anschnauzens.
„Tun Sie mal nicht so unschuldig. Ihre Lizenz ist auf die Fußgängerzone beschränkt und auf Bereiche mit alleenhafter Ausführung des Bürgersteigs. An so einer Straße dürfen sie überhaupt nicht stehen, und an so einer wahnsinnig gefährlichen Einmündung schon dreimal nicht. Sie sind ja gemeingefährlich, wenn Sie sich hier hinstellen. Stellen Sie sich nur vor, was passiert wäre, wenn hier ein paar Schulkinder Malhefte gekauft hätten, und dann wäre ein schwerer Laster rausgerutscht, da hätten unschuldige Kinder dran sein können.“
„Ich – ich verkaufe doch gar keine Malhefte...“
„Ihre verdammten, schmierigen Ausreden können Sie von mir aus den Eltern erzählen, deren kleine Kinder Sie hier in Lebensgefahr gebracht haben, Sie rücksichtsloser Pfennigfuchser!“
„Aber es ist doch nichts passiert, zum Glück.“ Der Zeitungsverkäufer ist den Tränen nahe, jetzt aber echten, keinen gespielten Tränen.
„Nichts passiert? Da kann ich Sie beruhigen, jetzt passiert hier aber was, da können Sie einen drauf lassen. Das ist eine Straftat, die Sie hier begangen haben, das kostet Sie die Lizenz. Und wenn wir mit Ihnen fertig sind, kriegen Sie Post von der Versicherung, die holt sich den Schadensersatz von Ihnen wieder.“
Damit macht der Streifenführer kehrt und gibt Adam seine Papiere wieder.
„So, das wär’s, bitteschön. Fahren Sie weiter.“
„Aber was ist denn mit dem alten Mann?“
„Ach so, wollen Sie ihn wegen Beleidigung anzeigen? Das können wir hier natürlich auch gleich aufnehmen.“
„Nein, nein“, beschwichtigt Adam, „es tut mir ja leid, dass ich seinen Stand kaputtgemacht habe.“
„Braucht Ihnen nicht leid zu tun, der Kerl hat hier nichts zu suchen und ist damit Unfallverursacher. Aber keine Sorge, dass er sich hier in strafbarer Weise aufgebaut hat, muss Sie nicht bekümmern. Eine gültige Berufshaftpflichtversicherung hat er natürlich, die wird den Schaden an Ihrem Wagen umgehend begleichen. Der Alte muss dann natürlich bluten, die holen sich schließlich das Geld von ihm wieder, aber bis dahin haben Sie ihren Schadensersatz schon längst ausgezahlt bekommen. Kleiner Tipp: kaufen Sie sich ein anständiges Auto davon.“
„Nein, ich will ja..., kann ich denn nichts für ihn tun?“
Der Streifenführer wird wieder sehr amtlich.
„Sehen Sie zu, dass Sie jetzt mal was flott für mich tun. Räumen Sie umgehend den Unfallort, um-ge-hend, verstanden?“
Adam hat genug wirkliche Katastrophen für den Rest der Woche erlebt. Er steigt ein, setzt zurück und fährt davon.
Die Stadt bei den Flüssen, 4. Kapitel
Das Schöne am Sommer ist die im Gegensatz zum Herbst immer berechtigte Hoffnung auf besseres und wärmeres Wetter. Auch der hoffnungsloseste graue Tag mitten im Sommer kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er früher oder später von Sonnenschein aus dem Gedächtnis vertrieben wird. Und dann ist das Leben wieder ein ganz anderes.
Den restlichen Mittwoch hatte Adam in ständigen Grübeleien verbracht. Der Zeitungsverkäufer tat ihm leid, Stella tat ihm auch leid, und Sandra natürlich. Er hätte sich bei Stella entschuldigen müssen, nein, eigentlich erst beim Zeitungsverkäufer, oder doch zuerst bei Sandra? Nein, richtig, die konnte er ja gar nicht erreichen, genauso wenig wie den Zeitungsverkäufer, der noch niemals zuvor an dieser Stelle gestanden und den er auch sonst noch nie in der Stadt gesehen hatte. Ineinander greifend kreisten die Gedanken in Adams müdem Kopf. Gegen Mittag hatte er kein Dutzend Zuschriften einsortiert, dafür gähnte er um so gründlicher, als sein Vorgesetzter bei ihm reinschaute.
„Jetzt gehen Sie mal schön nach Hause und schlafen Ihren Möchtegern-Studentenrausch aus.“ Adam sah seinen Vorgesetzten aus roten Augen verständnislos an. „Keine Angst, das bleibt unter uns, wenn jemand nach Ihnen fragt, fällt mir schon was ein von einem auswärtigen Auftrag oder so. Hauen Sie schon ab.“
Wenigstens das war bei Adam richtig angekommen, mit unendlicher Mühe hatte er seine Sachen zusammengekramt und war nach einer halben Ewigkeit endlich nach Hause gefahren. Er schlief sofort auf seinem Sofa ein.
Donnerstag und Freitag verliefen erholsam eintönig, für Samstag Nachmittag war er zum Squitten mit der Clique verabredet, danach ging es auf ein Bierchen in ein Vergnügungszentrum. Das ist eine praktische Sache, an einem nasskalten Samstag im Sommer nachmittags mit dem Trinken im Vergnügungszentrum anzufangen, denn da muss man keinen Schritt nach draußen mehr tun, um in unzählige Kneipen, Bars und Bistros zu kommen. Aus dem einen Bierchen wurde eine fleißige Trinkerei, die bis in den späten Abend währte, dann beschlossen die Jungs, in eine Disco zu gehen. Sie riefen mich an, ich sollte gefälligst dazukommen, und obwohl ich keine echte Chance hatte, ihren Pegel aufzuholen, ließ ich mich nicht lange bitten. Der Laden, in dem ich zu den fröhlichen Zechern stieß, hatte nicht den besten Ruf. Da tanzten Mädels auf den Tischen, die das bestimmt nicht nur zu ihrem Vergnügen machten, und eigentlich wusste jeder, dass die Damen verbotener Weise Cyber-Sex-Coupons verkauften und dafür potentielle Kunden in Stimmung bringen wollten. Unsere Gruppe kümmerte sich gar nicht weiter darum, nur Carlo musste einem von den Hühnern natürlich imponieren und kaufte ihr einen Coupon ab, wofür sie artig und auch nur ganz kurz ihr Blüschen lüpfte. Dann ging es mit dem Trinken weiter, keine harten Sachen, so dass wir bis in den Morgen durchhalten konnten.
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