Auch das Innere des Hauses war weit verschieden von dem der letzten Farm, wo sie Mittag gegessen. Statt der zerbrochenen Rohrstühle und umgedrehten Fässer, die dort als Sitze dienen mußten, fand sie hier ordentliche Möbel; sogar einen Sekretär und ein kleines, dichtbesetztes Bücherbrett. Große, reinlich überzogene und mit bunten Decken und jetzt aufgeschlagenem Moskitonetz versehene Betten füllten den hinteren Raum aus; große eiserne Holzstützen mit blankgescheuerten Messingknöpfen lagen im Kamin, neben dem, ebenfalls von Messing, Schaufel und Zange hingen; Fenster, mit reinlichen Gardinen daran, waren sogar in die mächtigen Stämme, welche die Wände bildeten, eingeschnitten, und der bald darauf mit dem weißesten Linnen bedeckte Tisch zeigte eine Menge von delikaten Speisen.
Der ganze Platz, mit dem freundlichen Benehmen seiner Bewohnerinnen, die ordentlich herzlich gegen sie wurden, als sie erst erfuhren, w e s h a l b und wie weit sie hierher gekommen, heimelte sie an. Das war, wenn auch mit sehr bescheidenen Ansprüchen, eine Waldwohnung, wie sie sich solche früher wohl gedacht und ausgemalt. – Hier in der stillen Einsamkeit des Forstes, unter dem leisen Rauschen der Waldwipfel, von keinen äußeren Stürmen getroffen und berührt, lebte ein einfach glückliches Volk – glücklich in seiner Ruhe und Freiheit, und der Traum einer solchen Existenz, von kalten, egoistischen Menschen im alten Vaterlande oft verlacht und verspottet, war endlich Wahrheit geworden und lag in Wirklichkeit hier um sie her. Mit dem seligen Gefühl wuchs aber auch die Sehnsucht nach der Schwester, und sie konnte den Morgen schon kaum erwarten, der ihr wieder auf ihren Weg leuchten sollte, um in die Arme der Geliebten zu eilen.
Auch die Entfernung war nicht mehr so groß; nur noch zehn englische Meilen etwa von hier – ein flüchtiges Pferd 37hätte solche Strecke in einer Stunde durchlaufen können, lag von Olnitzkis Farm (das Wort Plantage hatte sie endlich fallenlassen), oder Olnitzkis ,improvement’, wie es die Leute auch hier nannten. Wenn sie beizeiten aufbrachen, konnten sie den Platz recht gut am Mittag erreichen, und dann – wie ihr das Herz so ungeduldig – so freudig und doch auch wieder so ängstlich pochte; lieber Gott, zehn Jahre sind eine lange Zeit – zehn Jahre hatte sie die Schwester nicht gesehen, in den letzten Jahren sogar nicht einmal etwas von ihr gehört, wie manches Schmerzliche ihr dabei mitzuteilen aus der Heimat, die jene, ein Kind noch fast und von dem Glück der ersten Liebe wie berauscht, verlassen. Die Mutter war vor zwei Jahren gestorben, und wenn auch Sidonie die Trauerbotschaft bekommen, blieb das erste Begegnen der Geschwister nach d e m Verlust doch immer schmerzlich und mußte die Freude des Wiedersehens trüben. Aber fort mit solch’ traurigen Gedanken jetzt, wo sie so viel des Freudigen auch dabei brachte – ihr Bruder war von seinem Hofe ehrenvoll ausgezeichnet und angestellt worden, ihre jüngste Schwester die Braut eines geliebten Mannes, ihr Vater, noch immer rüstig und gesund, stand seinen Berufsgeschäften wie jemals vor, nur mit dem einen Verlangen, sein Kind, sein liebes Kind, das er damals so ungern von sich gelassen, noch einmal wiederzusehen. Wie hatte er sich in jener Zeit gesträubt, seine Einwilligung zu einem Bündnis zu geben, das er allein der tollen Schwärmerei des Augenblicks zugeschrieben, und in das er nur endlich willigte, um sein Kind durch eine Weigerung nicht noch vielleicht unglücklicher zu machen, als es, wie er fürchtete, durch die Verbindung werden würde. Jetzt lag die Zeit in weiter Ferne hinter ihnen. Sidonie war glücklich geworden, wie ja alle ihre Briefe bezeugten, und wenn sich auch die Schwärmerei der ersten Jugendliebe in ein ruhigeres und stilleres Gleis die Bahn geöffnet, so hatte sie doch auch mit keiner Zeile je erwähnt, daß sie sich fortsehne aus dem neuen, selbstgewählten Leben, daß sie bereue, den Schritt getan zu haben, der sie aus den Armen ihrer Familie, der sie aus dem Vaterlande riß.
Viel Unglück hatte sie trotzdem gehabt – der älteste Knabe war ihr im vierten Jahr gestorben, und in dem l e t z t e n Brief, den sie zu Haus geschrieben – schon zwei Jahre her, schien ihr auch das jüngste Kind, ein Mädchen, schwer erkrankt. Aber seitdem, und nach dem Tode der Mutter, hatte kein Brief von ihr die Heimat mehr erreicht, und nur ein einziges Mal war mündlich Nachricht von ihnen durch einen Fremden hinübergedrungen, der den Grafen Olnitzki zufällig in Little Rock gesprochen und von diesem erfahren habe, daß sich die Frau vollkommen wohl befinde und in ihrem, allerdings etwas einsamen Aufenthalt von Herzen glücklich fühle.
Wunderbarerweise behaupteten aber auch Rosemores, nicht imstande zu sein, ihr genügende oder nähere Auskunft über die doch nur kurze Strecke von ihnen entfernt wohnenden Leute zu geben. Olnitzki kam allerdings manchmal herüber zu ihnen, ja, hatte sogar früher schon einige Mal in ihrem Hause übernachtet, die Frau dagegen sich noch nie bei ihnen blicken lassen.
«Aber sie hatte doch andere Nachbarn in ihrer Nähe?»
«Allerdings, Jack Owen wohnte kaum tausend Schritt von ihrem Hause entfernt an der bearlick ridge, und Sam Houston, ein anderer Farmer, hatte sich etwa eine Meile oberhalb des ,postoak hollow’ niedergelassen. – Beide waren verheiratet und verkehrten gewiß miteinander. Besonders Jack Owens junge Frau war ein liebes, braves Weibchen.
Wunderbarerweise wußten diese ,Nachbarn’ nicht einmal, ob Olnitzkis Kinder hatten, und wieviel. – Ein oder zwei waren ihnen gestorben, aber auch das schien nur als Gerücht zu ihnen gedrungen, denn dort hinein führte kein bestimmter Weg, zu ihnen heraus kamen die Leute auch nicht, so bildete sich denn jeder seinen Wirkungskreis in der eigenen Umgebung, den Nachbar entbehrend und sich wenig um ihn kümmernd.
Aber was bedurfte Amalie v. Seebald auch jetzt noch weitläufiger Berichte, wo sie sich ja morgen schon – in wenigen Stunden – selber von allem mit eigenen Augen überzeugen konnte. Nur wie sie hinüberkommen sollte, beunruhigte sie noch; die Frauen vertrösteten sie aber auf die Ankunft der Männer, die jedenfalls zum Abendbrot daheim sein und schon Mittel und Wege finden würden, sie mit ihrem Gepäck hinüberzuschaffen. Lieber Gott, das sei nicht mehr als ihre Schuldigkeit, dafür zu sorgen, daß eine einzelne Frau, die so vertrauensvoll hier herüber zu ihnen gekommen war, auch nicht ohne Hilfe und Beistand gelassen würde, und Billy Jones, der Schwiegersohn des alten Rosemores, oder Mr. Rosemore selber fänden da schon Rat.
Hundegebell und Pferdegestampfe kündigte die Erwarteten, die irgendwo im Wald gewesen waren, um nach ein paar ausgebliebenen Kühen zu sehen, auch schon vor Dunkelwerden an, und drei Reiter hielten gleich darauf vor Rosemores Tür, sprangen aus den Sätteln, die sie mit dem Zaum den Tieren abnahmen, ihre weitere Versorgung einem herbeispringenden Negerknaben 38überlassend, und betraten bald darauf die innere Fenz, zum Hause kommend.
«Das trifft sich glücklich!» rief Sarah, Mr. Rosemores jüngste Tochter, die in die Tür getreten war, um den Vater zu begrüßen. «Da ist Mr. Owen von bearlick ridge selber, mit Vater und Bill; der weiß Rat und geht gewiß morgen früh ebenfalls nach seinem Haus zurück.»
«Hallo, Miß Sarah», lachte der also bezeichnete Backwoodsman, der die Worte verstanden hatte und mit seinem Sattel über dem linken Arm, seine Büchse in der Rechten, zum Hause herankam, «haben Sie mich erwartet?»
«Ich nicht, Mr. Owen», lachte das junge Mädchen, «aber eine fremde Lady, die hier im Hause sitzt und vor Sehnsucht nach Ihnen schon fast vergangen ist.»
«Alle Wetter», rief der Jäger, seinen Sattel rasch unter den Zwischenbau der beiden Häuser legend und die lange Büchse daneben lehnend, «eine fremde L a d y ? Das wäre der Teufel!»
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