«Frieden, würdiger Greis, Frieden», lachte der junge Mann, «die Bemerkung war keineswegs böse gemeint und sollte Sie nicht beleidigen – im Gegenteil hab’ ich sogar eine Bitte an Sie: mir nämlich über ein paar junge Leute von unserem Schiff Auskunft zu geben, die Sie gewiß nicht – wenigstens trau ich das Ihrem Scharfblick kaum zu – aus den Augen verloren haben.»
«Und die wären?» sagte Maulbeere immer noch mißtrauisch den jungen Burschen dabei betrachtend.
«Was ist aus Doktor Hückler geworden?» sagte dieser. «Ich habe ihn nicht wieder gesehen, seit er an jenem ersten Landungsabend unser Schiff verließ.»
«Wohnt jetzt in –street», sagte Maulbeere, «führt ein großes Schild über der Tür: J.A. Hückler, deutscher Doktor und Geburtshelfer», murmelte Maulbeere, «und rechts und links an dem Schild hat er sich ein paar große schwarz-rot-goldene Kokarden malen lassen. 58»
Georg Donner lachte.
«Der wird sein Brot hier schon finden», sagte er achselzuckend, «wer kann’s ändern, vielleicht haben die Leute Recht, die da behaupten in Amerika w o l l - t e n die Menschen betrogen sein.»
« V i e l l e i c h t haben sie Recht?» brummte Maulbeere vor sich hin. «Da ist gar kein vielleicht dabei, und wer hier seine K n o c h e n einsetzt, muß gewöhnlich die Haut mit in Kauf geben. Ich gedenke hier G e r b e r zu werden – aber nach wem wollten Sie noch fragen?»
«Haben Sie von Henkel und seiner Frau nichts gehört?»
«Hm», sagte Maulbeere, sich mit der linken Hand die grauen Kinnstoppeln streichend, «gehört gerade nicht, aber gesehen.»
«Gesehen? – Was?»
«Nun, wie sie von Bord ging», sagte Maulbeere.
«Die arme Frau – ob sie sich wohl erholt hat?»
«Wunderliche Geschichte das», meinte Maulbeere.
«Ich glaube nicht, daß die Krankheit von Bedeutung war», sagte Donner, die Bemerkung darauf beziehend. «Ruhe und nahrhafte Kost werden sie wohl bald wieder hergestellt haben. Ich hätte sie gern einmal wieder besucht und mich nach ihrem Befinden erkundigt, mochte sie aber doch auch nicht stören. Wissen Sie nicht, wo sie wohnen?»
«Wer ? – Die Frau mit dem Mädchen?»
«Henkels.»
«Möglich, daß sie sich wieder zusammengefunden haben», meinte Maulbeere trocken, «im Anfang waren sie auseinander.»
«Wieso?» frug Donner erstaunt.
«Nun, die Dame ist in ein Hotel gezogen und der Herr in ein anderes», meinte Maulbeere, «waren lange genug zusammen an Bord, und Amerika ist ein freies Land.»
«Unsinn», sagte der junge Mann lachend, «da haben Sie sich etwas aufbinden lassen, Herr Maulbeere; Henkel wird sich hüten und seine junge, wunderhübsche Frau in ein anderes Hotel ziehen lassen. Ich möchte nur wissen, ob sie sich wieder vollkommen wohl fühlt.»
«Könnten Sie am besten wissen, wenn Sie wären zu finden gewesen», sagte Maulbeere trocken.
«Zu finden gewesen? – Was wollen Sie damit sagen?»
«Daß Sie das kleine Ding – wie hieß das Mädchen doch, das in der Kajüte die Kammerjungfer spielte?»
«Hedwig!» rief Donner schnell.
«Jawohl, Hedwig; daß sie die wie eine Stecknadel in der ganzen Stadt gesucht, und mich, den sie zufällig auf der Straße traf, auch nach Ihnen gefragt hat.»
«Guter Gott, hätte ich nur eine Ahnung davon gehabt!» rief Georg. «Aber was wollte sie von mir – ärztliche Hilfe?»
«Nun, was sonst? – Die Frau lag lebensgefährlich krank, und sie hatten, wie sie sagte, kein Vertrauen zu einem amerikanischen Arzt; müßte mich übrigens sehr irren, wenn nicht vielleicht ebensowenig Geld wie Vertrauen.»
«Ebensowenig Geld? – Ihr Vater ist einer der reichsten Leute in Heilingen, und ihr Gatte Herr oder Erbe einer halben Million.»
«Ja – ist recht schön, aber wie mir jetzt scheint, ist die halbe Million noch nicht reif und muß erst noch eine Weile hängen. Die junge Mamsell habe ich jedoch zu Herrn Doktor Hückler geschickt, der sein Schild gerade an dem Tage aufgemacht; von dem wollte sie aber nichts wissen und ging traurig fort.»
«Und welches Hotel war das?» rief Georg rasch.
«Ja, das weiß ich nicht mehr», sagte Maulbeere.
Das scharfe Läuten der Bootsglocke von der Backwoods Queen unterbrach ihre Unterhaltung.
«An Bord da, Ihr Leute, an Bord! Höll’ und Verdammnis, was steht Ihr da draußen herum und habt Maulaffen feil! An Bord jeder Mutter Sohn von Euch; wenn ich Euch nicht Beine machen soll!»
«Wenn ich nicht irre», sagte Maulbeere freundlich, «so ersucht Sie der Mann da drinnen, doch gefälligst zum Kaffee hineinzukommen, nicht wahr?»
«Lieber Gott», rief Georg, die spöttische Bemerkung ganz überhörend, «daß ich jetzt hierher gebannt sein muß und keine Zeit mehr übrig habe, um sie aufzusuchen!»

«Würden in dem Kostüm auch außerordentlich achtbar und vertrauenerweckend aussehen», bemerkte der Scherenschleifer.
«Hallo, an Bord da! – Ihr, Dutchman dort drüben mit der schottischen Mütze – wie heißt der Bursche gleich – he, George, an Bord hier, hört Ihr nicht, oder soll ich Euch auf die Strümpfe helfen?»
«Gleich, gleich!» rief der junge Mann ängstlich und ungeduldig mit dem Fuß stampfend. «Ich wollte meine acht Tage Lohn, die ich hier schon an Bord gearbeitet habe, einbüßen, wenn ich nur zwei Stunden Raum jetzt hätte, um die arme Dame zu besuchen und zu erfahren, wie es ihr geht.»
«Haben drei Wochen Zeit gehabt und nicht daran gedacht», meinte Maulbeere ruhig, «woher kommt jetzt auf einmal die Eile?»
«Wollen Sie mir einen Gefallen tun, lieber Maulbeere?»
« L i e b e r Maulbeere!» sagte der Scherenschleifer, still vor sich hinlachend. « L i e b e r Maulbeere, wie zärtlich das klingt! Und was wär’s?»
«Wollen Sie die Frauen auskundschaften?»
«Die Mamsell meinte, Madame Henkel hätte sich schon unendlich nach mir gesehnt. Wenn die Sache nur nicht zu gefährlich ist.»
«Wollen Sie ihnen sagen, daß ich keine Ahnung gehabt hätte, sie bedürften meiner Hilfe? In vierzehn Tagen aber spätestens kehrt mein Boot nach New Orleans zurück, und ich stünde dann ganz zu ihren Diensten. Ihre Adresse sollen sie mir unter meinem Namen auf die Post legen.»
«Ich soll doch sagen, daß Sie S c h i f f s d o k t o r an Bord geworden wären?» frug Maulbeere.
«Sagen Sie die W a h r h e i t », rief Georg, «das ist immer das Beste, aber adieu, Maulbeere – ich muß wahrhaftig fort.»
«Der Kaffee wird kalt», meinte dieser.
«Sie ziehen die Planken schon ein!» rief der junge Mann. «Leben Sie wohl, und wenn ich Ihnen je wieder einen Dienst erweisen kann, zählen Sie auf mich!»
«Werft das Tau da los!» rief ihm in diesem Augenblick die Stimme des Steuermanns zu, der vorn auf dem Bug stand und das in den Stromgehen des Bootes leitete. «Das Tau da vorn in dem Ring an Land, wo der Baboon 59von einem Menschen steht – siehst Du nicht?»
Maulbeere, der mit dem Baboon gemeint war, verstand glücklicherweise nicht, was der Mann auf Englisch rief; Georg aber warf das Springtau, an dem der Vorderteil des Bootes noch an Land befestigt war, los. Wieder tönte die Glocke, die letzte Planke, auf der der junge Mann kaum Zeit behielt, an Bord zu laufen, wurde eingezogen, und Georg Donner winkte noch einmal von Bord aus dem am Ufer zurückbleibenden Maulbeere mit der Hand, was dieser, sehr zum Ergötzen der übrigen Feuerleute und Deckhands, mit einer sehr tiefen und ehrfurchtsvollen Verbeugung, bei der er den alten Hut in der Luft schwenkte, erwiderte. Dann aber, seinen Karren aufnehmend, murmelte er vor sich hin:
«Lieber Maulbeere, jawohl – l i e b e r Maulbeere – Angenehmen spielen und Maulbeere soll Bote spielen – bah – werde ihm selber eine Adresse auf die Post legen, die ihn freuen soll.» - Und der Scherenschleifer fuhr, von dem Gedanken ergötzt, still vor sich hinschmunzelnd, die Levée entlang.
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