«Und ich d ü r f t e zurück?» rief die Frau rasch und heftig, bewegt zu ihm aufschauend.
«Treib keinen Unsinn», knurrte der Mann, «Du wärst am Ende imstande, ihnen gerade wieder in den Rachen zu laufen und die Freude zu machen, daß sie Dich eine halbe Lebenszeit ins Spinnhaus stecken könnten. – Dort liegt unser Boot – alle Wetter, da geht auch ein alter Bekannter noch von Bord her, kennst Du den, Jule?»
«Laß den widerlichen Menschen», sagte die Frau, in sich zusammenschaudernd.
«Guten Tag, Herr M e i e r ! » rief in diesem Augenblick Maulbeere, der mit seinem Karren gerade an ihnen vorüberfuhr und den Hut in spöttischer Ehrerbietung tief gegen ihn schwenkte. «Bitte mich Ihrer Frau Gemahlin auf das Gehorsamste zu empfehlen.»
Steffen, der seine rechte Hand in der Hosentasche stecken hatte, zog sie heraus, griff an die Mütze, und ging steif und finster an dem ihm aus mehr als einer Hinsicht verhaßten Scherenschleifer vorüber.
«Ein nobles Pärchen», murmelte dieser aber vor sich hin, als er, ohne sich nach den beiden weiter umzusehen, an ihnen vorbeigefahren war, «ein s e h r nobles Pärchen, das muß wahr sein. Gäbe auch ‘was drum, wenn ich wüßte, das die einmal für ein Ende nehmen hier in Amerika – jedenfalls auf Staatsunkosten, oder müßte mich sehr irren.»
«Hallo, Scherenschleifer!» rief da eine laute, fröhliche Stimme hinter ihm her. «Halt da, hier ist Arbeit für Euch!»
Maulbeere hielt rasch still und sah sich nach dem Rufer um. Dieser stand vorn auf dem Bug desselben Bootes, das der Mann von der Haidschnucke mit seiner Frau eben betreten hatte und das an seinem Boilderdeck ein großes Schild mit dem Namen: The Backwoods Queen und dem Bestimmungsort: St. Louis trug.
«Ist denn heute die ganze Haidschnucke über die Landung weggeschüttelt?» murmelte der Scherenschleifer erstaunt zwischen den Zähnen durch, als er wieder einen seiner Reisegefährten, ebenfalls als Bootsmann gekleidet, gar nicht weit von sich entfernt stehen und winken sah. «Und blaue, verdammt kurze Hemden scheinen ein ordentlicher Modeartikel zu sein – hm, hm, hm, Herr Donner als Matrose, auch nicht übel! Zachäus Maulbeere darf da, seinen größeren Fähigkeiten entsprechend, wohl bald erwarten, Kapitän zu werden.»
«Nun, Maulbeere, wie gehen die Geschäfte?» rief ihm Georg Donner noch einmal zu, und kam dann über die Laufplanke, seine beiden Daumen vorn in dem breiten Ledergürtel, der seine Hüften umschloß, herüber an Land. «Wetter noch einmal, Mann, Ihr seht noch genauso aus wie an Bord und habt Euch nicht im mindesten amerikanisiert!»
«Hätte bald ‘was gesagt», brummte Maulbeere, die Gestalt vor sich mit einer eigenen Mischung von Spott und Humor betrachtend, «aber was tun Sie hier eigentlich, und wie sehen Sie aus?»
Maulbeere hatte allerdings Ursache so zu fragen, denn mit Georg Donner schien jedenfalls eine ganz eigentümliche und große Veränderung vorgegangen zu sein. Schon in seinem Äußeren war er ein anderer Mensch geworden, der den dunklen Rock ab- und ein kurzes, blaues Matrosenhemd übergeworfen hatte, das in der Mitte von dem schon erwähnten Ledergürtel zusammengehalten wurde. Die Beine staken in Hosen von demselben einfachen Stoff, sein blaugestreiftes Hemd hielt ein schwarzseidenes, in einen Matrosenknoten geschlagenes Halstuch zusammen, und das dunkle, lockige Haar deckte eine baumwollene schottische Mütze, während an dem Gürtel ein kurzes Matrosenmesser mit hölzernem Griff in lederner Scheide hing. Aber das nicht allein – sein ganzes Wesen hatte das Ernste, Träumerische verloren, das ihm an Bord so eigen gewesen, und war frei und entschlossen, ja fast keck geworden, ohne jedoch dadurch irgendetwas von seiner offenen Ehrlichkeit verloren zu haben.
Er lachte, als er den schmutzigen, verdrossenen Burschen, der ihm immer in seinem ganzen Wesen viel Spaß gemacht, noch eben so sauertöpfisch, bis in dasselbe Knopfloch hinauf eingeschnürt, und ohne die Spur von irgendeiner reinen Wäsche vor sich stehen sah, besserte aber dadurch Maulbeeres Laune keinesfalls.
«Wie ich aussehe, mein würdiger Maulbeere?» lachte Donner. «Wie ein Mann, der entschlossen ist, seinen Weg in Amerika zu machen, und das Land zu sehen und kennenzulernen.»
«Um das L a n d kennenzulernen, gehen Sie auf’s W a s s e r ? » fragte der Scherenschleifer, seine Stirnhaut zu unzähligen Falten zusammenziehend. «Auch nicht übel, und als was? – Kapitän, Steuermann, Koch, Ingenieur?»
«Nicht von alledem, Kamerad», lachte der junge Mann, «zu so hohen Posten kann man erst avancieren, wenn man von der Pike auf gedient hat; vorerst mache ich eine Reise als Feuermann mit.»
«Als H e i z e r an Bord?» frug Maulbeere wirklich erstaunt.
«Als Heizer», bestätigte Donner lachend, «mit dreißig Dollars monatlichem Gehalt, und frei Kost und Logis, Whisky, Zucker, Kaffee und wie die Vorteile alle heißen, die uns das wackere Boot bietet.»
«Sind Sie bei dieser Anstellung als L e h r l i n g oder gleich als G e s e l l eingetreten?» frug Maulbeere, der sich noch immer nicht an dem Kostüm seines früheren Reisegefährten sattsehen konnte.
«Als Geselle, Herr Maulbeere, als Geselle, und Sie sollten einmal sehen, wie ich die Schürstange schwingen werde.»
«Kann ich mir lebhaft denken», beteuerte der Scherenschleifer, sein Gesicht in einen förmlichen Knoten zusammendrückend, «kann ich mir lebhaft denken – ist auch eine recht passende Beschäftigung für einen Pastorssohn.»
«Schadet nichts, Maulbeere», lachte der junge Mann, «nur ehrlich und rechtschaffen gehandelt und sich sein Brot selber erarbeitet, auf das Übrige kommt’s dann nicht an, ob ich einen Frack oder ein Schurzfell trage. Aber d u r c h komm’ ich, darauf können Sie sich verlassen, so lange mir Gott meine Gesundheit und meine gesunden Glieder läßt. Übrigens sind noch ein paar Bekannte von Ihnen hier an Bord», setzte er rasch hinzu, «Karl Berger, der Deserteur, und Herr Schulze aus Hannover.»
« A u c h Feuermann?» rief Maulbeere rasch und erstaunt.
«Der erste ja, der letzte nicht», lachte Georg Donner, «sollte sich nicht übel mit der Schürstange ausnehmen, und würde das Feuern wohl kaum vierundzwanzig Stunden aushalten. Er geht als Passagier, glaub’ ich, nach St. Louis.»
«Hm», brummte Maulbeere vor sich hin, «alle Welt geht fort von hier; wenn ich wüßte, daß es im Lande besser wäre, schöb’ ich meinen Karren auch an Bord.»
«Scheren und Messer wird’s überall zu schleifen geben», sagte Donner.
«Die Möglichkeit ist vorhanden, daß ich mir in Zukunft meine eigenen Messer schleifen l a s s e », sagte Maulbeere.
«Oho!» rief Donner verwundert aus. «Ja, wenn Sie solche Pläne haben, Freund Scherenschleifer, dann ist doch wohl New Orleans der beste Platz, galoppierende Spekulationen rasch zur Ausführung zu bringen. Ich wüßte übrigens eine für Sie.»
«Eine Spekulation? – Und die wäre?»
«Haben Sie die riesenhaften Ankündigungen von Stiefelwichse gesehen, die überall in der Stadt an den Straßenecken kleben?»
«Allerdings – wo sich der Neger vor dem Stulpenstiefel rasiert», feixte Maulbeere, dem die Idee ungemein gefallen.
«Diesselbe!» lachte Donner. «Wenn Sie Ihren Stiefeln imstande sind halb den Glanz zu geben, den das Schulterteil Ihres Rockes hat, so ist Ihr Glück gemacht.»
«Hören Sie einmal, mein lieber Donner», sagte jetzt Maulbeere gereizt und mit einem fast boshaften Lächeln in den entsetzlich häßlichen Zügen, «wenn Ihre Feuer nicht besser scheinen werden als Ihr Witz, so glaub’ ich, käm’ ich eher mit meinem Schiebkarren nach St. Louis hinauf, wie Sie mit Ihrem Dampfboot. – Wer weiß, ob mein blanker Rock nicht noch länger hält, als Ihr blaues Hemd, und Sie im nächsten Winter nicht vielleicht Gott danken würden, einen so warmen Überzieher zu haben.»
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