«Und d i e Arbeit hier können Sie tun?» sagte Maulbeere, abwechselnd und erstaunt bald die leichte, schmächtige Gestalt, und die sonst so feinen, jetzt fettbeschmutzten Hände des jungen Mannes, bald die schweren Pork- und Mehlfässer betrachtend, die um ihn her aufgestapelt lagen.
«Der Mensch kann alles, was er m u ß », lachte der junge Mann. «Früher hab’ ich es freilich selber nicht für möglich gehalten, jetzt aber geht es, und alles berücksichtigt, sogar vortrefflich, denn ich verdiene, außer der Kost, einen Dollar den Tag, und befinde mich vollkommen wohl und gesund dabei.»
«Und Ihre Frau?»
«Pflegt zuhause das Kind und weint und lacht, wenn sie mich in diesem Aufzug ankommen sieht. – Ich habe sie aber noch nicht bewegen können, einmal mit dem Kleinen hier herunterzukommen und unserer Arbeit zuzusehen – sie meint, es bräche ihr das Herz.»
«Bah», sagte Maulbeere kopfschüttelnd, «wenn S i e sich nicht den Rücken bei den verdammt schweren Fässern brechen, glaube ich nicht, daß Gefahr für Ihrer Frau Herz zu fürchten ist, aber – was Leichteres wäre mir doch auch lieber. Ich weiß nicht, den Begriff Amerika habe ich mir anders gedacht, als Fässer gepökelten Schweinefleisches bergauf zu kollern.»
«Ich auch, lieber Maulbeere, ich auch, aber was wollen wir machen?» lächelte Eltrich. «Hunger tut weh und ehrliche Arbeit schändet hier nicht, das ist schon ein ungeheurer Vorteil dieses freien Landes – andere habe ich allerdings noch keine Gelegenheit gehabt, kennenzulernen.»
«Es ist eine kleine, aber doch immer eine Empfehlung», sagte Maulbeere achselzuckend, «und ungefähr so, als ob ich jemanden ins Wasser werfe, und erlaube ihm dann, das Maul zuzumachen und zu schwimmen – und dafür fünfunddreißig Taler Gold Passage – kommt mir beinah’ ein wenig teuer vor. – Haben Sie die Fässer Pech – oder ist das etwa gar Kolophonium 57auch mit heraufgewälzt?»
«Ja», lachte Eltrich.
«Stoffverschwendung», murmelte Maulbeere zwischen den Zähnen durch, und setzte dann lauter hinzu: «Nein, zu s o l c h e r Arbeit möchte ich mich doch nicht verstehen; werde wenigstens suchen, mich so lange davor zu bewahren als möglich. Meine Absicht ist hier in Amerika, sobald sich eine schickliche Gelegenheit dazu bietet, meinen Händen, wie meinem linken Hinterbein, das nun so lange Jahre hat das Rad treten müssen, Ruhe zu gönnen und mit dem Geist zu arbeiten.»
«Aber wie wollen Sie das anfangen, Herr Maulbeere?»
«Daran arbeitet mein Geist eben noch», sagte der Scherenschleifer etwas geheimnisvoll, «der passende Zeitpunkt ist auch noch nicht gekommen. Sollte er nahen, werde ich ihn nicht versäumen.»
«Hallo, boys – hier, macht, daß die Sachen hinaufkommen!» unterbrach da eine Stimme vom Flatboot herauf die Unterhaltung der beiden Reisegefährten. «Die Karren kommen da oben schon wieder zurück und wollen Ladung haben.»
«Ich muß fort, Herr Maulbeere», rief Eltrich rasch, dem Mann die Hand entgegenstreckend, sie aber wieder zurückziehend, «ich mache Sie schmutzig», setzte er, dabei leicht errötend, hinzu.
«Ich wasche mich wieder», sagte Maulbeere, ohne eine Miene zu verziehen, nahm die nochmals dargebotene Hand, schüttelte sie weit wärmer, als das sonst seine Gewohnheit war, und blieb dann, während Eltrich wieder nach dem Boot hinuntersprang, noch eine Weile oben auf der Levée, die heiß niederbrennende Sonne nicht weiter beachtend, halten, um zuzusehen, wie sein Reisegefährte arbeitete. Eltrich war vielleicht der einzige von den Zwischendeckspassagieren gewesen, mit dem er nie ein unfreundliches Wort gehabt, der ihn nie verspottet oder verärgert; einer der wenigen, dem, wie seiner Frau, man es auf den ersten Blick ansah, daß sie einst in besseren Verhältnissen und größeren Bequemlichkeiten gelebt, während sie sich doch alle beide nie, auch über die größten Unannehmlichkeiten nicht, weder über Kost noch Raum beklagten. Das besonders hatte ihnen die Achtung dieses wunderlichen Zwitterdings von Tier und Mensch, des Scherenschleifers, gewonnen, und wenn dieses Herz überhaupt einer solchen Regung fähig gewesen wäre, würde er den jungen Mann, der sich mit seinem schmächtigen Körper jetzt gegen ein ziemlich dreihundert Pfund schweres Porkfaß legte und es mit triefender Stirn den Hang hinaufarbeitete, bemitleidet, ja, ihm vielleicht irgendeine Hilfe angeboten haben, er hätte von vornherein überzeugt sein können, daß sie Eltrich nicht annahm. Maulbeere wollte etwas Derartiges aber auch nicht einmal riskieren, und nur nach einer Weile auf das Entschiedenste mit dem Kopf schüttelnd, drehte er sich um, hakte sein Tragband wieder ein und fuhr in seinem gewöhnlichen, schwankenden Gang die Levée hinauf, der Dampfbootlandung zu.
Über den freien, vor dieser Landung liegenden Platz schritt ein Mann mit einer Frau. Der Mann trug einen Jagdranzen über der Schulter, die Frau ein in ein rotes Tuch eingeknüpftes Bündel in der Hand, aber den Kopf bloß dabei, die Haare wirr und ungemacht, und nur mit einem schwarzsamtenen Band zusammengebunden, in dem vor ein kleiner, unechter, emaillierter Schmuck hing. Ohrringe und Halskette waren von demselben Metall, paßten aber, wie das in grellbunten Farben prangende seidene Tuch, das sie um den Hals trug, schlecht zu den bleichen Wangen, den hohl liegenden, stieren Augen. Die Leute, die ihnen begegneten und nicht gerade zuviel mit sich selber zu tun hatten, blieben auch stehen und schauten der wunderlichen, ja fast unheimlichen Gestalt nach, die wankenden Ganges neben dem Mann hinschritt, mit den Händen dabei focht und einzelne, unzusammenhängende Worte ausstieß.
«Sei jetzt vernünftig, Jule!» flüsterte ihr der Mann zu, ihren Arm zu gleicher Zeit fassend, daß sie vor Schmerz einen leichten Schrei ausstieß. «Zum Donnerwetter noch einmal, alle Menschen, die uns begegnen, stieren uns an und halten Dich am Ende noch für verrückt. Laß doch zum Teufel die Arme ruhig, was hast Du denn damit in einem fort in der Luft herumzufahren? Wenn Du mir nicht unterwegs wieder vernünftig wirst, weiß ich wahrhaftig gar nicht, was ich mit Dir anfangen soll.»
«Unterwegs? – Ja – das ist gut», sagte die Frau, leise vor sich hinlachend, «unterwegs – wenn wir nur erst unterwegs wären – ich sehne mich danach.»
«Na, dann geh auch ordentlich zu und betrage Dich nicht so albern», brummte der Mann, «sieh, das Boot raucht schon, wir müssen machen, daß wir hinunterkommen.»
«Herrgott!» rief die Frau, plötzlich stehenbleibend und sich mit der linken Hand wild über die Stirn streichend. «Wir haben – wir haben etwas zu Haus vergessen!»
«Vergessen?» sagte der Mann, sie fragend anschauend. «Na, was ist nun wieder los – die Brieftasche? Nein, die habe ich hier, und das Geld ist auch da – was hast Du denn vergessen?»
«Die K i n d e r ! » flüsterte die Frau und ergriff heftig seinen Arm; der Mann aber schleuderte sie wild von sich. Wie er jedoch sah, daß mehr und mehr Menschen auf sie aufmerksam wurden, und stehenblieben und ihnen nachschauten, trat er rasch an die Frau wieder heran, zog ihren linken freien Arm in den seinen, und sie mit eisernem Griff haltend und mit sich fortziehend, zischte er ihr ins Ohr:
«Bist Du denn ganz des Teufels, sinnloses Weib, hier auf offenem Platz den Unsinn auszuschreien? – Oder möchtest Du etwa mit den amerikanischen Zellengefängnissen Bekanntschaft machen? Komm – halte Dich fest an mich und verliere Dein Bündel nicht; ein Glück, daß die Leute kein Deutsch verstehen.»
«Gehen wir denn hin, wo sie sind?» frug die Frau rasch, immer noch an dem einen Bild sich anklammernd.
«Mir wärs recht, wenn Du’s tätest», rief der Mann in finsterem, kaum zurückgehaltenem Groll, «ich habe das Gewinsele und Geklage satt – begreife überhaupt nicht, wie ich es so lange ausgehalten, und geb’ Dir meinen Segen auf die Reise.»
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