1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Dort hauste eins der merkwürdigsten Wesen, das die schwarzen Stämme wohl unter sich aufzuweisen hatten. Es war ein Krüppel, und zwar durch jene wunderbare, dem australischen Continent eigenthümliche Krankheit, in der das Fleisch der Arme und Beine, gewöhnlich eines Beines oder eines Armes, unter der Haut wegschwindet und den auf diese Weise angegriffenen Theil wie ein mit Gummi elasticum überzogenes Skelet erscheinen läßt. Man könnte die Krankheit eine negative Elephantiasis nennen, so ganz in ihrer Wirkung ist sie verschieden, und so ganz ähnliche Ursache schreibt man ihr hier, wie aus den Nachbarinseln in der Südsee jener zu: nämlich das Liegen auf dem feuchten Boden. Sonderbar aber ist es, daß sich das in zwei gar nicht so weit von einander gelegenen, jedenfalls von einem Meere bespülten Ländern auf so gerade entgegengesetzte Weise äußern sollte: in dem einen durch ein unnatürliches Anschwellen der Beine, wodurch die Haut fast in Leibesdicke wie ein Trommelfell angespannt wird, und in dem andern durch gänzliches Schwinden des Fleisches, bei dem die Muskeln und Sehnen zusammentrocken, und die zusammengeschrumpfte Haut sich dicht und fest um die Knochen legt.
Die Schwarzen schreiben das allerdings übernatürlichen Kräftten und bösen Geistern zu, die heimlich und bei Nacht, wenn die Feuer zufällig ausgegangen waren, herbeischlichen und mit gierigen Lippen an den Gliedern solcher Unglücklichen sogen. Betrifft es auch nur eins der Glieder, einen Arm oder ein Bein, wie das gewöhnlich der Fall ist, so laufen solche dem Geist verfallen Gewesene noch immer ruhig mit durch’sLeben, und scheinen sich aus dem Unfalle wenig mehr zu machen, als ihre Nachbarn in der Südsee aus ihren zum Zersrpingen angeschwollenen Beinen.
Der schwarze Bursche nun, der zu diesem Stamme gehörte, /38/ war schlimmer als die Uebrigen heimgesucht, und durch den bösen Geist des Gebrauches beider Beine beraubt worden. Er hatte die Kraft und Fähigkeit verloren darauf zu stehen, und wenn auch der Oberkörper bis zu den Hüftknochen hinab völlig gesund, ja sogar stark und kräftig schien, mit breiter, gewölbter Brust und muskulösen Armen, so waren die Beine dagegen zum Skelet zusammengeschrumpft. Dadurch wurde er gezwungen, sich mit den Händen fortzubewegen, auf denen er, während er die Beine kreuzweise zusammenlegte, ordentlich und ohne anscheinend sehr große Beschwerde ging. Bei längeren Märschen erleichterte es ihm der Stamm übrigens dadurch, daß man ihn da, wo der Boden es erlaubte, auf ein Stück Rinde setzte. Dieses, von den Frauen gezogen, unterstützte ihn bei seinem Fortbewegen wenigstens in etwas.
Verkrüppelte, besonders Blinde, werden von den Schwarzen keineswegs besonders geachtet. Schon ihr ganzes politisches Leben zeigt das an, in Folge dessen die ältesten und stärksten Männer die Häuptlinge und Regierer sind, die anderen aber ihnen unbedingt Folge zu leisten haben. Hier bei diesem Unglücklichen jedoch, der selbst der Fähigkeit beraubt schien, sich zu ernähren, mußten andere Umstände obwalten, denn der Stamm bewies ihm nicht allein die größte Achtung und Aufmerksamkeit, sondern betrachtete ihn fast als ein höheres, jedenfalls mit den Geistern in genauer Verbindung stehendes Wesen.
Besondere Fähigkeiten besaß er jedenfalls, und obgleich der Stamm nur selten mit den Weißen verkehrte, so hatte sich dieser Unglückliche doch so viel von der Sprache des fremden Volkes angeeignet, daß er sich recht gut, ja fast geläufig, mit ihnen verständlich machen konnte. War es deshalb, oder vielleicht wegen seines Verkehrs mit den Geistern der Nacht, mit denen er, wie die Eingeborenen glaubten, stete Verbindung unterhielt, und zwischen denen und seinem Stamm er vermittelte, aber er hatte den Namen Nguyulloman, der Dolmetscher, erhalten mit dem Ehrentitel Burka, der alte Mann. Keine Beute wurde auch in das Lager gebracht, kein feistes Känguru, kein rundes Opussum, kein Ballen Wattelharz oder Netz /39/ voll schneeweißer Engerlinge, von denen er nicht sein Theil als schuldigen und ehrerbietigen Tribut bekommen hätte.
Nguyulloman nahm das auch an als eine Sache, die sich von selbst verstand, und forderte sogar die Ehrfurcht von den Seinen, die sich nicht regen durften, wenn er manchmal Nachts unter seinem einsamen Rindendache mit tiefer, hohltönendcr Stimme seine Beschwörungen in den dunkeln Wald hineinsang. Nur die Hunde heulten dazu, denn sie fürchteten den verkrüppelten Mann, der mit nie fehlender Sicherheit Steine und Holzstücke nach ihnen schleuderte, so oft sie nur in die Nähe seiner Hütte kamen, und gar schauerlich klangen dann die Beschwörungsformeln, wenn sich der angstvoll thierische Laut mit ihnen mischte. Der ganze Stamm lauschte dann auch in peinlicher Spannung dem Schlusse des Liedes; kein Kind wagte zu schreien, und nur schüchtern und vorsichtig kroch hier und da eine Frau zum Feuer, um mehr Holz hineinzuschieben, damit die Flamme nicht verlösche. Der furchtbare Nokunno, der in der Nacht umherschleicht und die Unglücklichen überfällt, deren Feuer verlöscht sind, hätte ja sonst Macht und Gewalt über sie gewonnen.
Nguyulloman saß vor seinem Rindendach auf einem für ihn ausgebreiteten Mantel von Opossumfellen, und schaute aufmerksam einer Anzahl kleiner schwarzer Burschen zu, die trockenes Holz für ihn, wo sie es finden konnten, herbeischleppten und in den Bereich seines Armes schoben, damit er es selber auf sein Feuer werfen konnte.
Abends nach Dunkelwerden durfte Niemand, den er nicht herrief, zu seiner Hütte kommen.
Die beiden Weißen schritten auf diesen Platz - um den sich einige der Burkas oder alten Männer schon versammelt hatten, wie sie die Annäherung derselben von Weitem bemerkten – zu, und hatten hier auch nichts mehr von den Hunden zu furchten.
„Nun, Nguyulloman," sagte Mr. Powell, der den Krüppel von früher kannte und ihm manches Gute erwiesen hatte, „auch wieder einmal hier? Wie ist es gegangen die Zeit über?“
„Gut, Master," sagte der Wilde mit einer merkwürdig /40/ reinen Aussprache der Worte, wie sich die australischen Schwarzen überhaupt darin auszeichnen, ein ungemein empfängliches Ohr für fremde Klänge zu haben. Dem afrikanischen Neger ganz entgegengesetzt, sprechen sie das, was sie von den fremden Worten behalten, auch so rein und deutlich aus, als ob sie von Jugend auf in dem Lande, dem die Sprache eigenthümlich ist, erzogen worden wären; „tausend gut - aber Stamm ist arm - hat kein Känguru mehr und kein Emu - weiße Männer haben Alles fortgejagt - und viel Krieg mit Darling-Schwarzen - böse Schwarze - haben viel Butter 8genommen. Arme Rufus-Schwarze sind übel dran."
„Aber im Malleybusche sind noch viele Kängurus, Nguyulloman, und im Murray viele Fische und Hummern. Opossums giebt's überall, und an wilden Hunden, die Ihr ja so gern eßt, fehlt es leider Gottes auch nicht."
„Wo sind sie?" sagte der Krüppel achselzuckend. „Eure großen Känguruhunde jagen sie weit hinweg in den Busch. Schwarze Mann kann sie nicht mehr finden. Lebt von Pigs-face 9und Würmern, und leidet Hunger - tausend Hunger."
„Nun," sagte Mr. Powell freundlich, „Nguyulloman soll heute wenigstens keinen Hunger leiden. Ich habe Euch erlaubt, hier auf meiner Station zu lagern, und ich hoffe, daß Ihr Euch die kurze Zeit, die Ihr hier bleibt, gut aufführen werdet. Ich weiß, Nguyulloman kann seinen Stamm zwingen, es zu thun, denn er hat Macht über ihn." /41/
Ein flüchtiges, kaum bemerkbares Lächeln stahl sich über die dunkeln Züge des Schwarzen, als er zwischen den buschigen Augenbrauen hindurch, ohne den Kopf zu heben, zu dem Weißen aufsah. Endlich erwiderte er langsam:
„Nguyulloman soll keinen Hunger leiden?"
„Nein - denn mein Stockkeeper mag dafür sorgen, daß Euch heute drei Hammel und eben so viele Damper 10gegeben werden."
„Butscheri!" sagte Nguyulloman mit augenscheinlicher Befriedigung und blitzenden Augen, indem er einige Mal langsam mit dem Kopfe nickte - „butscheri! Kein Speer wird von uns auf Euer Vieh geworfen werden. Meine jungen Männer werden weder Deine Rinder, noch Pferde essen. Nguyulloman wartet auf die Damper!"
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