Vor einer der Hütten stand ein hochgewachsenes Indianermädchen, das aber, sobald mein Blick sich dahin wandte, in der Hütte verschwand.
Najodikahi! Flog es mir durch den Sinn. Das Mädchen, das ich am gestrigen Abend gesehen hatte, war von demselben hohen Wuchs, und die Missionsstation lag in der Himmelsrichtung zu der Schule, in der das Mädchen davongelaufen war. Sollte sie es sein? Auffallend war es, dass sie sich zeigte, wenn sie Najodikahi war. Hatte sie das Fortreiten des Schulsuperintendenten beobachtet, so doch sicherlich auch, dass ich nicht mit ihm fortgeritten war und noch in der Nähe sein musste. Freilich, sie hatte keine Ursache, zu fürchten, dass ich sie kannte, und konnte sich darum getrost zeigen. Die Tracht der Schulmädchen hatte sie abgelegt, wenn sie wirklich Najodikahi war.
Doch was kümmerte mich das Mädchen! Meine Augen und Gedanken wurden durch das Bild gefesselt, das vor mir lag. Wüste, große, öde, unabsehbare Wüste, wenn ich meinen Blick nach rechts oder nach links wandte. Vor mir in weiter Ferne hohe Berge, die Gipfel von etlichen mit Schnee bedeckten, dessen blendend weiße Farbe grell vom tiefblauen Himmel abstach. Schnee im Monat Juli in Arizona! Das musste „ewiger Schnee“ sein, wie wir als Schulknaben den Schnee solcher Berge zu nennen gelehrt worden waren. Am Fuße der Berge schlängelte sich ein schmaler grüner Streifen durch den hellen Wüstensand. Das konnte nur das Grün von Bäumen sein. Dort musste Wasser sein. Der Himmel war unbewölkt, das gleiche satte, tiefe Blau, soweit das Auge reichte. Nichts regte sich, es war so still, so friedevoll. Da meinte ich zu meiner Rechten am fernen Horizonte eine sich lang hinstreckende Staubwolke zu sehen. Nachdem ich eine Weile scharf hingeschaut hatte, merkte ich, dass die Staubwolke sich näherte. Wer mochte das sein? Ob das einer von den Wüstenstürmen ist, von denen ich gehört und gelesen hatte? Nein, ein herannahender Sturm konnte das nicht sein, dazu bewegte sich die Wolke nicht schnell genug vorwärts. Aber sie kam näher und näher.
Jetzt meinte ich vor der Staubwolke, ihrer ganzen Länge nach, dunkle und hellere Punkte zu sehen. Bald sah ich die Punkte deutlicher. Sie wurden größer und größer. Meine Augen nahmen wahr, dass sie sich nicht nur vorwärts, sondern zugleich auch bald nach der einen, bald nach der anderen Seite hin bewegen. Die Punkte vergrößern sich zu Flecken, sie kommen näher und näher, werden größer und größer. So auch die ihnen folgende Staubwolke. Jetzt sehe ich, was es ist. Es sind Pferde, wilde Pferde. Eine Herde wilder Pferde kommt daher gestürmt.
Es müssen hundert sein, nein, zweihundert, nein, mehr noch sein. Nun höre ich auch den Schall der aufschlagenden Hufe. Wie leiser, fern rollender Donner klingt es. Und näher und näher kommen sie, und lauter und lauter wird das Rollen. Jetzt sind sie da. Gerade vor mir. Mit fliegenden Mähnen, mit hoch erhobenen Schweifen im vollen Galopp, in wilden Sprüngen, schwarze, braune, gelbe, weiße, bunte Pferde, schreiend, wiehernd, pustend, keuchend jagen sie an mir vorbei. Und nun sind sie schon wieder meinen Augen entschwunden. Die folgende Staubwolke verbirgt sie meinen ihnen folgenden Blicken.
Aber siehe, da kommt noch etwas. Reiter, Pferdejungen, ein paar Dutzend. Weithin über die Ebene zerstreut kommen sie daher. Nur ein Indianer kann so reiten, so, wie im Sattel aufgewachsen, sitzen, wie diese Männer hier. Sie juchen, schreien und schwingen ihre Lassos. Schnell sind auch sie meinen Augen entschwunden, die ihnen nachfolgende Staubwolke verdeckt sie mir.
Ich stand stumm. Ich hatte etwas gesehen. Mein Auge hatte Leben in der toten Wüste erschaut. Zum ersten Male in meinem Leben hatte ich Pferde gesehen. Denselben Gedanken hatte ich schon mehrere Male gehabt. Einmal in Deutschland, als ich bei einem Kaisermanöver ein Regiment Husaren über das Feld dahinsprengen sah. Ein andermal in Russland, als ich Gelegenheit hatte, durchziehende Kosaken zu sehen. Ein drittes Mal auf der Weltausstellung in St. Louis, als ich einer Vorstellung Buffalo Bills „Wird West Show“ beiwohnte.
Ich musste lachen, wenn ich jetzt daran dachte. Das war ja alles nur Zirkus gewesen, nichts Wahres, nichts Wirkliches.
Aber heute, jetzt eben, hatte ich Pferde gesehen. Ich hatte gesehen, was so ein Tier ist und vermag, als die wilde Herde, freie Kinder der freien Wüste, in ihrer Freiheit um ihre Freiheit kämpfend, an mir vorbeijagte.
Ich zog mein Skizzenbuch und Bleifeder aus der Tasche, setzte mich auf einen Steinblock und begann zur Erinnerung an diese Stunde eine Skizze von den vor mir liegenden Bergen zu entwerfen.
Ich mochte wohl eine kleine Viertelstunde gezeichnet haben, als ich das Gefühl bekam, es stände jemand in meiner Nähe und schaue mir auf die Finger. Ich blickte auf und schaute mich um. Richtig, es stand jemand dicht hinter mir.
Ein Indianer, Dohaschtida!
Ich zuckte zusammen. „Was willst du? fragte ich.
„ Das musst du nicht tun“, sagte er und wies mit dem Zeigefinger auf meine Zeichnung, du musst kein Bild von unseren Bergen und Bäumen malen.“
„ Du redest töricht.“
„ Das tue ich nicht. Was ich rede, das ist der Glaube unserer Väter!“ entgegnete er ärgerlich.

Büffeljagd der Vorväter
„ Und du teilst den Glauben deiner Väter, der kein Glaube, sondern ein Aberglaube ist?“ fragte ich und lachte ihn an.
„ Ja!“ erwiderte er bestimmt und sehr ernst.
„ Du, der so viel gelernt hat, glaubt solche Märchen?“
„ Ich habe dir gesagt, dass ich glaube, was meine Väter glauben!“ erwiderte er, stolz seinen Kopf in den Nacken werfend.
„ Aber wie ist das möglich, dass du so etwas glaubst! Ein Baum sollte vertrocknen, ein Berg zerfallen, wenn man ein Bild davon macht! Dohaschtida, du hältst an diesem Aberglauben fest wider besseres Wissen und Verstehen. Warum lässt du diesen Glauben nicht fahren? Es ist deiner unwürdig, daran festzuhalten.“
„ Weil ich nicht will!“ sagte der Indianer und sah mich sehr böse an. Er wandte sich ab und ging langsam davon. Ich folgte ihm mit meinen Blicken und sah ihn in eine der Hütten eintreten, die im Kreise derjenigen lag, vor deren einer ich zuvor das junge Mädchen hatte stehen sehen.
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