I. Entdeckung und Ausbreitung des neuen Coronavirus
Ende des Jahres 2019, namentlich im Dezember, häuften sich in der Unterprovinzstadt Wuhan in der Volksrepublik China schwere Lungenerkrankungen mit zunächst unklarer Ursache. Nach diversen Untersuchungen der chinesischen Behörden wurde am 09.01.2020 durch die Weltgesundheitsorganisation WHO bestätigt, dass es sich um ein neuartiges Coronavirus handele und bekannte Erreger wie SARS, CoV, MERS-Cov, Influenza, Aviäre Influenza, Adenovirus und andere häufige Atemwegserreger ausgeschlossen werden könnten. 1In der Folgezeit breitete sich die Infektionskrankheit weltweit und örtlich nicht beschränkt aus (sog. Pandemie 2).
II. Begriffsbestimmungen im Kontext von Corona
Zum besseren Verständnis sollen zunächst die im Zusammenhang mit der Corona-Krise häufig verwendeten Begriffe erläutert werden.
Die Coronaviren sind eine Familie von Viren, die sowohl Tiere als auch Menschen infizieren können und beim Menschen vor allem Erkrankungen des Respirationstrakts 3auslösen. Sie können wie harmlose Erkältungen verlaufen, aber auch tödlich sein. Der Name ist auf das charakteristische, kranzförmige Aussehen der Coronaviren zurückzuführen (lateinisch "corona": Kranz, Krone). Coronaviren sind auch die Verursacher des Schweren Akuten Atemwegssyndroms (SARS) sowie von MERS, was für Middle East Respiratory Syndrome steht. Während der bisher größten SARS-Epidemie in den Jahren 2002 und 2003 starben weltweit 774 Menschen. Das Ende 2019 in China ausgebrochene Coronavirus kann ebenfalls bei Infizierten schwere Lungenentzündungen auslösen. Im Februar 2020 wurde das Virus - aufgrund der engen Verwandtschaft mit dem SARS-Virus - als SARS-CoV-2 benannt. Die Erkrankung infolge des Virus heißt seitdem COVID-19. Der Krankheitsverlauf reicht von leicht bis tödlich. Die Letalität ist noch nicht abschließend geklärt. 4Die Familie der Coronaviren ist folglich nicht neu, sondern in anderen Erscheinungsformen bereits seit einiger Zeit bekannt.
Bei SARS-CoV-2 handelt es sich um die offizielle Bezeichnung des neuartigen Coronavirus. Am 11.02.2020 gab der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, diese Bezeichnung in Genf bekannt. 5
Bei Covid-19 handelt es sich um die durch das Coronavirus hervorgerufene Infektionskrankheit, die hauptsächlich durch Tröpfcheninfektion übertragen wird. 6Nach den Best Practices der WHO zur Benennung neuer Infektionskrankheiten beim Menschen, die in Absprache und Zusammenarbeit mit der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) entwickelt wurden, hat die WHO die Krankheit COVID-19, benannt - kurz für " Coronavirus-Krankheit 2019", 7wie sie umgangssprachlich genannt wird.
Eine Pandemie bezeichnet eine weltweite Epidemie, 8die sich dadurch auszeichnet, dass sie anders als eine Epidemie nicht auf einen bestimmten Ort begrenzt ist.
III. Situation in den betroffenen Unternehmen heute und Aufriss der Problemfrage
Nach der weltweiten Verbreitung des neuartigen Coronavirus stehen Menschheit, Einzelstaaten und die Staatengemeinschaft vor neuen, bislang in diesem Umfang wenig bekannten Herausforderungen. Als Reaktion auf die Pandemie haben Staaten weltweit Freiheitseinschränkungen angeordnet, mit dem Ziel, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. In der Bundesrepublik Deutschland wurden sowohl durch den Bund und die Länder weitreichende Einschränkungen des öffentlichen Lebens vorgenommen, die dann durch die Kommunen umgesetzt wurden. Diese unterschiedlichen Zuständigkeiten resultieren aus der grundsätzlichen Vollzugszuständigkeit der Länder. Die jeweils zuständigen Ämter müssen dann dem Gesamtzusammenhang der Seuchenbekämpfung Rechnung tragen. 9Betreiber von Tanzschulen, Fitnessstudios und Eventagenturen müssen sich daher auf eine Vielzahl von Reaktionen und Maßnahmen von Bund, Ländern und insbesondere den einzelnen Kommunen einstellen. 10In diesem Zusammenhang wurden im März 2020 Veranstaltungen verboten, Restaurants und Dienstleistungsbetriebe geschlossen und ein bundesweites Kontaktverbot verhängt, dass nur noch Kontakt zu einer weiteren Person erlaubt, die nicht im eigenen Hausstand lebt. Für den Publikumsverkehr geschlossen wurden außerdem Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen und ähnliche Einrichtungen. Darüber hinaus stellten Theater, Opern, Konzerthäuser, Museen, Messen, Ausstellungen, Kinos, Freizeit- und Tierparks sowie Anbieter von Freizeitaktivitäten (drinnen und draußen) den Betrieb ein. Auch Sporteinrichtungen, Fitnessstudios, Schwimm- und Spaßbäder, Spielplätze und sonstige Einzelhandel-Verkaufsstellen sind von den Beschränkungen betroffen, 11ebenso Unternehmen der Tanzschul-, Fitness-, Restaurant- und Eventbranche, denen durch behördliche Schließungsverfügungen von einem Tag auf den anderen Umsätze aus ganzen Geschäftszweigen wegbrachen. Tanzschulen dürfen keine Tanzkurse mehr durchführen, Restaurants und Fitnessstudios müssen für den Publikumsverkehr schließen und es dürfen keine Veranstaltungen mehr durchgeführt werden. Dies wirft völlig neuartige Fragen hinsichtlich der Durchführung von Verträgen auf. Der alte römische Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten) stößt an seine Grenzen. Die Corona-Pandemie ist eine „Naturkatastrophe in Zeitlupe“. 12Die Coronavirus-Pandemie stürzt nach Aussage des IWF die Welt in eine Rezession, die "viel schlimmer" sein wird, als die globale Finanzkrise vor einem Jahrzehnt. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kristalina Georgieva, sprach sogar von der "dunkelsten Stunde der Menschheit". "Dies ist eine Krise wie keine andere", sagte sie in einer Videokonferenz. "Wir haben erlebt, wie die Weltwirtschaft zum Stillstand gekommen ist. Wir befinden uns jetzt in einer Rezession. Sie ist viel schlimmer als die globale Finanzkrise von 2008-2009." 13Tanzschulen und Fitnessstudios haben ihre Präsenzangebote eingestellt. Ist der Ersatz durch Online-Unterricht in Form von Live-Schaltungen oder die Bereitstellung von Online-Videos in einer Art Choreothek ein ausreichender Ersatz für die vertraglich geschuldete Leistung? Müssen monatliche Beiträge weitergezahlt werden oder können sich Mitglieder und Kunden darauf berufen, dass keine Leistung erbracht wird oder gar außerordentlich kündigen? Muss die Miete weitergezahlt werden? Was geschieht mit meinen Mitarbeitenden? All dies sind Alltagsfragen, die sich Inhaber und Geschäftsführende betroffener Unternehmen stellen. Reichen die Institute, die unser Bürgerliches Gesetzbuch vorsieht, aus, um die völlig neuartigen Fragestellungen zu lösen? Dies soll im Folgenden untersucht werden.
B. Die Betroffenheit der Unternehmer in Deutschland
Nachfolgend wird zunächst kurz dargestellt, auf welcher Rechtsgrundlage und in welcher Form der Staat in die Berufs- und allgemeine Handlungsfreiheit der Unternehmer eingreift. Im Anschluss werden kurz die Grundsätze der Vertragsdurchführung in der Bundesrepublik Deutschland angerissen, um dann zu erörtern, ob und welche Ausnahmen in der „Sondersituation Corona“ ggf. eingreifen. Im Anschluss daran werden die verschiedenen Vertragsbeziehungen des Unternehmers beleuchtet, die er z. B. zu seinen Mitarbeitenden, Lieferanten, Kooperationspartner oder zu seinem Vermieter hat und entsprechende Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt.
I. Eingriffsbefugnisse des Staates bei einer Pandemie
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Corona-Pandemie als eine der größten Herausforderung für die deutsche Gesellschaft bezeichnet: „Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.“ 14Tatsächlich hat es seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland nicht im Ansatz derart einschränkende Maßnahmen gegeben. Die in Deutschland seit dem 23.05.1949 fest verankerten Grundrechte der Allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG, nach der jeder im Rahmen der Gesetze tun und lassen kann, was er will und die Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG werden in nie dagewesener Weise eingeschränkt. Staatliche Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung in Form von Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen werden insbesondere auf § 28 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gestützt. Nach dieser Vorschrift können „die notwendigen Schutzmaßnahmen getroffen werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.“ Ob diese Vorschrift tatsächlich ausreichend ist, um rechtswirksam derart einschränkende Maßnahmen wie Ausgehverbote, Kontaktbeschränkungen und die Schließung ganzer Wirtschaftszweige zu rechtfertigen, wird im Nachgang durch die Gerichte geklärt werden müssen.
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