Melina fühlte sich, als hätte er sie geschlagen. Ihr war ganz schlecht und nur mit Mühe konnte sie sich auf ihren wackeligen Beinen halten.
»Was ist das denn für ein Arsch? Nur gut, dass du ihn fallengelassen hast, also wirklich!«
Danas Schimpftirade nahm sie nur am Rande wahr. Immer wieder hörte sie Robins Stimme und wie er sie als Schlampe bezeichnete.
Gott, er hatte sogar recht! Sie benahm sich wie eine billige Nutte, es fehlte nur noch, dass man sie für den Sex bezahlte.
Ihr entwich ein Schluchzen, als ihre Beine unter ihr einknickten. Bevor Dana sie rechtzeitig stützen konnte, saß sie auf dem Boden und zog die Beine an ihren Oberkörper. Tränen liefen ihre Wangen hinab.
Was war nur aus ihrem Leben geworden? Ihren Träumen, ihren Wünschen? Nie hatte sie vorgehabt, in einem Club das Appetithäppchen für die Stripperinnen zu sein. Oder jede Nacht mit einem anderen Kerl in die Kiste zu steigen. Musste wirklich erst Robin ihr das klarmachen?
Erneut stieg ein Schluchzen in ihrer Kehle auf, während Dana neben ihr auf sie einredete. Melina nahm sie nicht wahr. Wie auf einer kaputten CD hörte sie immer wieder Robins eiskalte Worte, die ihre Tränen weiter anheizten.
***
Er war von sich selbst schockiert. Er war nicht mit dem Vorhaben ins Passion gegangen, Melina zu beleidigen. Und doch hatte er genau das getan. Obwohl das schlechte Gewissen schon an ihm nagte, als er auf den Weg zum Ausgang des Clubs war, machte er nicht kehrt. Auch wenn seine Worte hart gewesen waren, sie spiegelten zumindest einen Teil der Wahrheit wider.
Melina hatte sich sicherlich nie ein Leben in diesem Club gewünscht. Oder immer wieder neue Männer in ihrem Bett, die nie länger als eine Nacht blieben. Er fragte sich, was aus dem kleinen Mädchen geworden war, das früher von einem Prinzen auf einem Schimmel geträumt hatte. Wo war diese, seine Melina hin? Er glaubte nicht, dass sie von sich aus so geworden war. Irgendetwas steckte dahinter, doch wie sollte er die Ursache herausfinden, wenn sie ihn von sich stieß?
Vielleicht war sein Auftritt auch zu aggressiv gewesen, aber er hatte die Wut nicht beherrschen können. Dass sie einfach normal weitermachte, nachdem sie ihn am Morgen ohne ein Wort verlassen hatte, war für ihn unerträglich. Man konnte es Kränkung nennen, verletzten Stolz, alles traf zu. Und doch war Robin sich sicher, dass viel mehr hinter Melinas Verhalten steckte. Sie hatte einen Grund und den hatte er herausfinden wollen. Nun war es wahrscheinlich zu spät dafür. Er hatte alles versaut.
Warum ihm diese Erkenntnis im Herzen wehtat, war leicht für ihn zu beantworten. Den ganzen Tag hatte er genug darüber gegrübelt, aber jetzt war er sich sicher. Obwohl Melina ihn fallen gelassen hatte, die Nähe zwischen ihnen in der vergangenen Nacht hatte er sich nicht nur eingebildet. Er hatte sich in sie verliebt. Ihr Wiedersehen hatte viel tiefere Gefühle in ihm geweckt als nur die Freude darüber, seine alte Freundin wiederzutreffen. Und falls er nicht total blind war, dann war es nicht nur ihm so gegangen. Vielleicht täuschte er sich und Melina hatte wirklich nur ihren Spaß mit ihm haben wollen, für so schlecht hielt er seine Menschenkenntnis jedoch nicht, erst recht nicht bei ihr. Etwas hinderte sie daran, sich zu öffnen. Wenn er nur wüsste, was.
»Verdammte Scheiße!«, fluchte er, weshalb er einige überraschte Blicke von Leuten erntete, die den Club gerade betraten.
So leicht konnte er noch nicht aufgeben.
Er blieb stehen und verharrte einige Sekunden. Dann drehte er sich mit Schwung um und lief den Weg, den er soeben gegangen war, wieder zurück, bis er zuerst Melinas Freundin und dann sie selbst sah.
Stocksteif nahm er das Bild, das sich ihm bot, in sich auf. Melina saß am Boden, die Beine an sich gezogen, während ihre Schultern bebten und ihre Freundin sie zu trösten versuchte. Sofort wurde der Klammergriff um sein Herz noch fester und das Atmen fiel ihm schwerer.
Sie weinte. Wegen seiner Worte?
Robin rang mit sich. Einerseits wollte er zu ihr und sie in den Arm nehmen, um sich zu entschuldigen. Andererseits war dieser Gefühlsausbruch vielleicht auch gar nicht so schlecht und sie dachte endlich darüber nach, was sie wirklich wollte. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sie glücklich wurde. Es musste nicht unbedingt mit ihm sein. Aber dieses Leben, das sie momentan führte, konnte niemals das sein, was für sie bestimmt sein sollte. Sie hatte Besseres verdient.
Widerstrebend entschied er sich dafür, nicht zu ihr zu gehen. Er würde sich etwas überlegen, aber heute würde er ihr Zeit für sich lassen. Hoffentlich war das kein Fehler.
Erschöpft betrat Robin seine Wohnung, warf seine Aktentasche in eine Ecke und ließ sich dann im Wohnzimmer auf die Couch fallen. Obwohl er heute genug zu tun gehabt und schon den gesamten gestrigen Sonntag damit verbracht hatte, hatte er doch nicht verhindern können, an Melina zu denken – und darüber nachzugrübeln, wie er es schaffen konnte, dass sie sich ihm endlich öffnete.
Leider war er weder gestern noch heute zu einer vernünftigen Idee gekommen, da ihm immer noch nicht klar war, warum sie sich so verhielt. Es war nicht zu leugnen, dass etwas in ihrem Leben sie zu diesen Schutzmechanismen hatte greifen lassen. Nur was, war nach wie vor die große Preisfrage. Er würde jetzt gerne Gedanken lesen können, aber er war kein Protagonist in einem Fantasy-Roman mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Im Gegenteil: Er war ein ganz normaler Mann. Ein Mann, der eine Frau einfach nicht vergessen konnte.
Scheiße. Er hatte es niemals für möglich gehalten, dass Liebe ihn so runterziehen könnte. Aber da saß er nun wie ein Häufchen Elend auf seinem Sofa und ihm ging nichts anderes durch den Kopf als Melina. Nicht seine Arbeit, nicht seine Familie, nein, einfach nur Melina und was sie sich selbst antat. Würde er an Gott glauben, hätte er spätestens jetzt angefangen für sie zu beten. Doch er war weder Christ noch gehörte er irgendeiner anderen religiösen Gruppe an. Aber musste man überhaupt an etwas Übersinnliches glauben, um das Leben auf die Reihe zu kriegen? Sicher nicht. Bisher war er auch gut klargekommen, jetzt würde er nicht damit anfangen, frühzeitig aufzugeben.
Neuer Ehrgeiz erfasste ihn und ließ sein Herz schneller schlagen. Melina musste sich darauf gefasst machen, dass er sie nicht so schnell in Ruhe lassen würde. Sie hatte genug Zeit ihres Lebens vergeudet.
Gerade wollte er seine Wohnung wieder verlassen, um das Passion aufzusuchen, doch kurz bevor er zur Tür raus war, fing sein Handy an zu klingeln. Hektisch kramte er es aus seiner Hosentasche und blickte auf das Display. Nicht das noch. Seine Mutter hatte wirklich ein Gespür für den falschen Moment. Doch er konnte sie auch nicht einfach ignorieren. Das würde sie ihm übel nehmen. Er meldete sich sowieso schon viel zu selten bei ihr.
Seufzend ging er zurück ins Wohnzimmer und ließ sich auf der Couch nieder.
»Hallo, Mama«, begrüßte er sie.
»Hallo, mein Junge. Wie geht es dir?« Ihre Stimme zu hören, hatte etwas Beruhigendes und obwohl er den Anruf nur widerwillig entgegengenommen hatte, war er jetzt doch froh darüber. Sie war immerhin die Frau in seinem Leben, die immer zu ihm stehen und ihm helfen würde, egal was er auch anstellte. Das war ihm in letzter Zeit viel zu selten bewusst gewesen.
»Geht so«, antwortete er deshalb wahrheitsgemäß. »Ich habe Melina wiedergetroffen, du kannst dich doch sicher noch an sie erinnern.«
»Aber natürlich. Mit der Kleinen von den Strauss’ hast du doch immer gespielt, ihr wart unzertrennlich. Du hörst dich aber nicht gerade glücklich über die Begegnung an, ist denn etwas passiert?« Er seufzte und fuhr sich durchs Haar. Auch er konnte sich noch an die gute alte Zeit erinnern. Damals waren sie noch Kinder gewesen, unschuldig und doch bereit, alles für den jeweils anderen zu tun. Sie war seine beste Freundin gewesen und er ihr bester Freund. Bis sie hatte wegziehen müssen und er sie nie wiedergesehen hatte.
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