3. „Das Charakteristische in dem Wetter dieser Kanäle ist weniger die Stärke des Windes, als der fast unaufhörliche Regen. Tag um Tag, wenn der Seemann unglücklicherweise länger hier verweilen sollte, wird er diesen stetigen Niederfall zu erdulden haben, es sei denn, daß er so glücklich ist, in einem jener seltenen Durchbrüche von lieblichem Wetter anzukommen, welches zuweilen vorkommt. Dann allerdings wird er die interessanteste Fahrt finden mit ruhigem Wasser, guten Ankerplätzen, umgeben von der großartigsten (most glorious) Scenerie; doch diese Fälle sind gar selten, und er wird schon glücklich zu nennen sein, wenn er überhaupt einmal den Regenrock ablegen kann, welchen er anzog, als er um Cap Tres Montes ging. Eine Jahreszeit ist so gut, oder besser gesagt so schlecht wie die andere, immerhin aber ist der Sommer wegen seiner geringern Kälte und der längern Tage für diese Passagen vorzuziehen.“
Diese Schilderung verspricht gewiß viel, und ebenso läßt die „Vineta“, welche vor zwei Jahren dieselbe Tour in beschränkterer Ausdehnung machte, sich vernehmen und klagt über das anhaltend schlechte Wetter, das sie zu erdulden hatte. Ein Vergleich dieser beiden Reisen zeigt auch in eclatanter Weise, von welchem Einfluß das Wetter auf derartige Reisen ist; denn zu derselben Strecke, welche die „Ariadne“ unter den günstigsten Wetterverhältnissen in 6 Tagen zurücklegte, gebrauchte die „Vineta“ mühsam gegen Wind und Wetter anringend 21 Tage. Doch zu unserer Reise.
Nachdem am 15. Januar etwa 80 Seemeilen zurückgelegt waren, vollzog sich allmählich ein Wechsel in der Scenerie. Wir waren den Ausläufern der Anden, des mächtigen Gebirgszuges, welcher mit seinen 7000 m hoch gelegenen Felsen- und Schneerücken das platte Land Patagonien von Chile und Peru trennt, näher gekommen und zeitweise entwickelten sich schon aus den vorbeijagenden Wolkenfeldern einzelne schneebedeckte Gipfel. Das untere Land zeigt jetzt auch einen andern Charakter: einzelne mit grünem Gestrüpp bewachsene Hügel und Felsen werden sichtbar, das Land hebt sich immer mehr und wächst langsam zunehmend bis zu 300 m hohen Bergen an, welche mit dichtem Wald bedeckt sind. Auffallend ist, daß in diesen frisch-grünen Wäldern kaum 150 m über dem Meeresspiegel große Schneefelder verstreut liegen, und daß trotz der geringen Kraft, welche die Sonne demnach im Hochsommer hier nur hat, große Scharen von Papagaien und Kolibris in den Sommermonaten ihren Wohnsitz in dieser Gegend aufschlagen. In Punta Arenas fanden wir diese Vögel allerdings noch nicht, da sie erst 14 Tage später erwartet wurden, in einem der nächsten Häfen trafen wir sie aber schon an. Würde man nur nach den hier lebenden Eingeborenen, ohne Rücksichtnahme auf die herrschende rauhe Witterung zu urtheilen haben, so wäre das Räthsel, wie diese buntgefiederten Bewohner der brasilianischen Urwälder hierherkommen, leicht gelöst, denn diese Menschen gehen ohne jede Kleidung vollkommen nackt, besitzen kein Heim, leben in einem elenden offenen Boot oder tragen sich an dem Fleck, wo sie gerade landen, aus Reisern eine Hütte in der Größe eines runden Tisches von etwa 1½ m Durchmesser zusammen, wo Mann, Frau oder Frauen (es herrscht Vielweiberei), große und kleine Kinder, oft 10-12 Personen, Unterkommen für die Nacht finden, wie ein Rudel Thiere zusammengeschachtelt und sich mit ihren Körpern gegenseitig erwärmend. Kälte, Wind und Regen machen keinen Eindruck auf ihre Nerven, eine wunderbare Menschenrasse in ihrer Art, da alle sonst in kalten Klimaten wohnenden Menschenstämme stets warm bekleidet sind. Ich werde später noch Gelegenheit finden, auf diese Eingeborenen zurückzukommen.

Küste des Feuerlandes in der Magelhaens-Straße.
Bald nachdem das flache Land hinter uns lag, näherten wir uns der chilenischen Colonie Punta Arenas, welche, früher als Verbrechercolonie gegründet, in der Neuzeit durch den regern Dampfschiffsverkehr eine andere Bedeutung erlangt hat. Die an der Küste steil aufsteigenden niedrigern Gebirgszüge von 300-400 m Höhe versagen dem Auge zwar noch den Blick auf die dahinter liegende mächtige Alpenwelt des Festlandes, das Auge kann nun aber frei über die düstern, unfruchtbaren, bis zu 2000 m Höhe aufsteigenden schwarzen Felsmassen des Insellandes Feuerland, welches sich auf der andern Seite der Wasserstraße unheimlich aus der See erhebt, schweifen: schwarzes, kaltes, zerklüftetes Gestein ohne eine Spur von Leben und Pflanzenwuchs, welches dem Auge nirgends Ruhe gönnt, da keine Linie zu finden ist, welche man festhalten könnte. Ein Pic steigt neben dem andern empor, erhebt seinen Gipfel immer noch wilder und trotziger wie sein Nachbar und erweist dem menschlichen Auge dann eine wahre Wohlthat, wenn er mit Schnee bedeckt ist. So frostig der Anblick des Schnees sonst macht, hier, inmitten dieses schwarzen Höllengesteins, um welches unermeßliche schwere Wolkenbänke von tiefgrauer Farbe sich lagern und, von dem heulenden Sturme getrieben, ihre Wasserballen in die unzähligen tiefen Schluchten hineinzwängen, hier ist der Schnee erwärmend. Hätte Dante dieses Stück Erde gekannt, seine Hölle wäre nach diesem Feuerland gebildet worden, welches ja auch richtige Teufel in sich birgt. Der Name „Feuerland“ ist allerdings nicht von vulkanischem Feuer hergeleitet, sondern hat einen harmlosen Ursprung; er ist dem Umstande zuzuschreiben, daß die ersten Entdecker überall am Lande kleine Rauchsäulen sahen, welche nie erloschen. Die Eingeborenen dieses nassen Landes, wo die Erzeugung des Feuers so sehr schwer ist, sind gezwungen, wo sie gehen und stehen, stets ein Feuer zu unterhalten, wenn sie dieses wichtige Element nicht zeitweise verlieren wollen; es wird also immer da, wo Menschen sich aufhalten, auch die unentbehrliche Rauchsäule zu sehen sein. Daß hier, wie ich vorhin sagte, auch wirkliche Teufel in Menschengestalt hausen, dürfte vielleicht aus dem nachfolgenden Auszuge aus Darwin's Reise um die Erde hervorgehen:

Hütte der Feuerländer.
„Die verschiedenen Stämme sind Kannibalen, sobald sie miteinander in Fehde leben. Dies beweist auch die Aussage Jemmy Button's (ein Junge, welcher während zweier Jahre auf Kosten eines englischen Seeoffiziers in England erzogen und mit dem Schiffe, auf welchem Darwin war, dann zurückgebracht wurde), wonach die Eingeborenen im Winter, wenn sie sehr unter dem Hunger leiden, erst die alten Frauen schlachten und verschlingen, bevor die Hunde an die Reihe kommen, denn die Hunde fangen Ottern, alte Frauen aber nichts. Die Frauen werden derart getödtet, daß sie über Rauch gehalten werden, bis sie erstickt sind. Der Junge ahmte auch mit sichtlichem Vergnügen in spaßhafter Weise das Geschrei der Opfer nach und beschrieb die Körpertheile, welche am besten schmecken. Oft sollen die alten Frauen, sobald sie den Zeitpunkt gekommen wähnen, in die Berge flüchten, sie werden aber von den Männern dann gejagt, um in ihre Hütte gebracht und geschlachtet zu werden. — Schrecklich, wie solch ein Tod durch die Hand der Freunde und Verwandten sein muß; schmerzlicher noch ist es daran zu denken, was diese Frauen empfinden müssen, wenn der Hunger sich einzustellen beginnt.“
Nachmittags 3 Uhr am 15. Januar, nach Zurücklegung von 120 Seemeilen an diesem Tage, ankerten wir vor Punta Arenas, dessen kleine Holzhäuser kurz vorher als erste Zeichen menschlichen Lebens hinter einer kleinen Landzunge zum Vorschein gekommen waren. Dieser weit vorgeschobene Posten menschlichen Unternehmungsgeistes zeigte allerdings ein anderes Bild, als wir nach den vorhandenen Beschreibungen erwarten konnten. Eine vor wenig Wochen stattgehabte Soldatenemeute hatte traurige Spuren hinterlassen. Die aus 100 Soldaten gebildete Garnison soll von ihrem Commandanten so barbarisch behandelt worden sein, daß sie schließlich zum Aufstand getrieben wurde. Sie tödteten und verstümmelten den Commandanten, rissen ihm Augen und Zunge aus, schnitten Nasen und Ohren ab und zerstückten den ganzen Körper. Darauf befreiten sie die Gefangenen (der Platz ist noch Strafcolonie), etwa 80 an der Zahl, und fingen dann an zu brennen und zu morden. Alle größern Gebäude wurden eingeäschert und etwa 80 Personen verloren ihr Leben. Nachdem die Meuterer auf diese Weise zwei Tage gehaust hatten, wurden sie unsicher, da täglich ein in der Nähe befindliches chilenisches Kanonenboot eintreffen konnte, und verließen den verwüsteten Platz. Vorher aber bemächtigten sie sich aller Frauen und Mädchen, deren sie habhaft werden konnten, und schleppten diese mit Gewalt mit sich in die Pampas Patagoniens, wo ihnen mit den dortigen Indianern jedenfalls ein Krieg bis aufs Messer bevorsteht. — Wenige Tage vor unserm Eintreffen hatte ein chilenisches Kriegsschiff die neue Garnison und eine Untersuchungscommission gebracht.
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