„Und wenn nicht?“
In diesem Moment materialisierte sich ein Bagel mit rosa Überzug direkt vor ihnen auf dem Tisch. Teer und Feder blickten sich an, dann wieder den Bagel.
„Da siehst du’s“, sagte Feder. „Die Antwort auf unsere Frage. Die Formel stimmt. Ganz offenbar habe ich die Zeitmaschine ein zweites Mal gebaut und damit diesen Bagel in die Vergangenheit geschickt – und zwar exakt so, daß wir ihn sehen müssen. Er ist sozusagen eine Botschaft. Der Beweis. Jetzt kann ich ruhig an die Arbeit gehen!“
Er wollte den Bagel ergreifen, aber da verschwand dieser ebenso plötzlich, wie er aufgetaucht war. Feder fluchte. „Offenbar werde ich die glorreiche Idee haben, ihn gleich wieder zurückzuholen!“
Feder machte sich unverzüglich ans Werk. Er baute die Zeitmaschine, schickte damit den Bagel um die entsprechende Anzahl von Stunden in die Vergangenheit – holte ihn aber schnell zurück, bevor sein Ich des vorigen Tages ihm das Ding wegschnappen konnte. Er holte ihn zurück und verspeiste ihn. Dabei lachte er sich kaputt, als er an sein eigenes enttäuschtes Gesicht von gestern dachte. Seinen Schwur, sich fortan gesund zu ernähren, hatte er ganz offenbar schon wieder vergessen.
„Schön, schön“, sagte Teer. „Aber: Sind wir jetzt eigentlich noch wir?“
„Wie belieben?“
„Wir haben uns selbst in die Vergangenheit geschickt, aber das, was wir gestern waren, ist unter tragischen Umständen zu Tode gekommen. Sind wir noch wir selbst? Oder nur eine Art Klon? Was sind wir?“
Feder gähnte. „Müde“, sagte er. „Und hungrig. Aber das Schwerste haben wir noch vor uns!“
Es war mitten in der Nacht, als Teer und Feder die in Plastiksäcke verpackten Leichen ihrer Pendants an einer unbeleuchteten Stelle des alten Hafens bemüht waren, in den Fluß zu wuchten.
„Gleich ist alles überstanden“, ächzte Feder. „Jetzt nur noch ins Wasser mit den beiden. Und dann schlafen. Und dann in Ruhe nachdenken, welches erste Ziel wir mit der Zeitmaschine ansteuern!“
Sie waren gerade dabei, Teer 2 an die Kante des Piers zu rollen, als plötzlich das Licht einer Taschenlampe aufflammte und ihnen grell ins Gesicht schien.
„Das nächste Ziel ist, glaube ich, das Kittchen!“ sagte ein als Wachmann erkennbarer stämmiger Bursche. „Dann laßt doch mal sehen, was ihr da so hübsch verpackt habt!“
„Äh“, sagte Teer. Mehr fiel ihm spontan nicht ein.
Feder war da ein wenig versierter. „Äh, äh“, kam es aus seinem Mund. Leider, offensichtlich, nicht viel versierter!
Der Wachmann sah die beiden drohend an. Alles wirkte wie aus einem schlechten Film. Und vor allen Dingen extrem kriminell. Zwei Typen, die bei Nacht zwei Plastiksäcke in der Größe von Menschen an den Fluß rollten, da konnte doch was nicht mit rechten Dingen zugehen.
„Chemiemüll?“ versuchte es Feder und wünschte sich insgeheim, er hätte seinen letzten Bagel nicht schon aufgegessen. Dann hätte er jetzt was gehabt, wo er seine Zähne hineinschlagen konnte, und Teer hätte die ganze Sache mit dem Sprechen übernehmen müssen.
„Bitte?“ fragte der Wachmann.
„Ich habe nicht Sie gemeint.“ Feder wandte sich Teer zu, der noch immer wie erstarrt dastand. „Sollen wir sagen, es sind Chemieabfälle?“
„Ich kann Sie hören, Freundchen“, sagte der Wachmann. Leute, die Freundchen sagten, waren Feder schon immer unsympathisch gewesen. Freundchen oder Freund, das waren Wörter, die die Leute offensichtlich niemals ernst meinten. Also warum sie dann überhaupt sagen? Warum konnte man denn nicht direkt zu den Drohungen übergehen? Denn ums Drohen ging es hier doch, soviel war klar.
„Das ist ein Privatgespräch“, versuchte es Feder, aber der Wachmann warf nun einen verdächtig intensiven Blick auf die beiden Säcke.
„Sind da etwa Leichen drin?“
„Na, was meinen Sie denn?“
„Ich meine: ja!“ rüffelte der Kerl.
„Mit dem Begriff 'rhetorische Frage' sind Sie wohl nicht sonderlich vertraut, oder?“ Feder schien nun langsam der Kragen zu platzen. Er wünschte sich, er hätte das weitere Hemd angezogen. Seine Kragen waren ihm immer zu eng. Lag vielleicht an den ganzen Bagels. Und überall dieser Puderzucker auf seiner Kleidung. Das war schon nervig. Fand seine Haushälterin auch. Ach, seine Haushälterin, die mußte er ja auch noch … Moment, da gab es irgendwas, das im Moment wichtiger war.
„Wollen Sie frech werden?“ Der Wachmann baute sich dicht vor Feder auf, ein weiterer Versuch, bedrohlich zu wirken, wie Feder fand. Er hatte ja wenig Verständnis für diese Art Verhalten. Aber wenigstens stierte der Kerl nicht mehr die beiden Leichensäcke an.
„Nun, ähm, Sie wissen wohl nicht, mit wem Sie es hier zu tun haben“, spielte Feder nun die letzte Karte aus, die er nicht hatte. Denn, wenn man ehrlich war, keiner kannte ihn oder seinen Partner. Sie waren das, was man verschrobene Wissenschaftler nannte, wohlhabend geboren, Anwesen geerbt, das Personal übernommen, sich der Wissenschaft gewidmet. So eine Art alter Adel, nur, daß sie nicht ständig in der Klatschpresse auftauchten. Dafür waren ihre Leben einfach zu langweilig. Oder waren es gewesen, bis Teer dieses blöde Zeitreiseproblem lösen mußte und sie …
„Nein“, kam es von oben herab, also vom Wachmann, der nun von oben herab sprach, obwohl er einen halben Kopf kleiner war als Feder. „Ich weiß nicht, mit wem ich es hier zu tun habe. Mit zwei Clowns?!“
„Nicht ganz“, murmelte Teer, der sich endlich aus seiner Starre gelöst hatte. „Aber so etwas ähnliches.“
„So etwas ähnliches?“ Der Wachmann, ein wenig irritiert von den Puderzuckerflecken auf Feders Kleidung, die er möglicherweise für Rauschgift hielt und die ihn einen riesigen Coup wittern ließen, den er hier gerade jetzt aufzuklären kurz bevor stand, sah nun zu Feders Partner hinüber. „Was ist denn sowas ähnliches wie Clowns?“
Teer lächelte. „Zauberer!“
„Zauberer?“ Der Wachmann verstand kein Wort. Feder ging es ähnlich.
„Wir sind Zauberer“, sagte Teer mit einer Zuversicht, die Feder ein wenig Angst einjagte. Hatte sein Freund gerade den Verstand verloren? Oder, schlimmer noch … Nein, wenn er ehrlich war, fiel ihm gerade nichts Schlimmeres ein. „Und wir sind hierher gekommen, um einen neuen Trick auszuprobieren. Einen sehr gefährlichen Trick.“
„Was für einen Trick?“ Der Wachmann war noch nicht überzeugt, begann aber zu zweifeln.
„Wir beide“, Teer deutete erst auf Feder und dann auf sich selbst, „werden uns in diese beiden Plastiksäcke hineinzaubern. Es ist sehr gefährlich, weil wir, wenn die Säcke nicht rechtzeitig geöffnet werden, dabei sterben könnten.“
Und bevor der Wachmann auch nur den Deut eines Einwands erheben konnte, hob Teer einen der Säcke hoch und trat an die Hafenkante. Feder, in der Hoffnung, sein Freund habe einen Plan, tat es ihm nach.
„Schauen Sie genau hin“, sagte Teer, drückte eine Taste auf einem kleinen Kästchen … und schon waren die beiden Männer verschwunden. Die beiden Plastiksäcke, die nun von niemandem mehr gehalten wurden, stürzten ins Wasser. Es dauerte mehrere Stunden, bis ein Team von Tauchern die beiden Körper von Teer und Feder aus dem Wasser geborgen hatte. Doch jede Hilfe kam zu spät, beide waren mehr als tot.
„Wir sind bei einem Zaubertrick ums Leben gekommen“, sagte Feder, die Zeitung von morgen, dem Zeitpunkt, zu dem er sie nach Teers Benutzung der „Wahlwiederholung“, gebracht hatte, in der Hand. In der anderen hatte er einen Bagel. Und im Mund auch, so daß es für Teer schwierig war, ihn richtig zu verstehen.
„Bitte?“
„ZAUBERTRICK IM HAFEN GEHT SCHIEF“, las Feder nun, traurig, sich für die nächste Zeit nicht seinem Bagel widmen zu können. „Die beiden Wissenschaftler Teer und Feder, die sich offensichtlich als Zauberer versuchen wollten, sind in der vergangenen Nacht im Hafen gestorben. Der diensthabende Wachmann bestätigt, daß es eindeutig dieselben zwei Leute waren, die er an der Hafenkante gestellt hat, die in den beiden Säcken aus Plastik gefunden wurden und so weiter und so weiter. Damit sind wir fein raus. Wir sind keine Mörder.“
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