»Guten Abend Richy«, begrüßte Polizeiobermeister Rudi Schillinger seinen alten Schulfreund Gebauer, »jetzt erzähl nochmal in aller Ruhe, was da vorhin passiert ist. Aus deinem Gestammel am Telefon bin ich nämlich nicht schlau geworden.«
»Da fragst du am besten gleich meine neuen Gäste«, murrte Gebauer gereizt, »ich selbst hab ja nichts gesehen, bin nur durch den Riesenknall aus dem Stuhl gefallen.«
Sie gingen gemeinsam zum Wohnwagen der Studenten, die noch immer im Vorzelt saßen und auf die Polizisten warteten. Während Schillinger die Vier zu dem Vorfall befragte, nahm sein Kollege, Polizeiobermeister Anton Griesmaier, schon mal die Personalien auf. Die Zeugen konnten natürlich nur vage beschreiben, wo sich die Explosion ereignet hatte.
»Hm, das könnte in der Altwalchener-Bucht gewesen sein, was meinst du, Toni?«, überlegte Schillinger.
»Ja, könnte, oder auch nicht. Hilft nichts, da müssen wir rüberfahren und nachschauen«, antwortete Griesmaier griesgrämig. »Die anderen Gäste befragen wir morgen. Die haben ja offensichtlich nichts gesehen und schlafen sicher alle schon wieder.«
Damit verabschiedeten sich die Beamten. Die jungen Leute waren todmüde und froh, endlich ins Bett zu kommen. Genauso wie Richy Gebauer.
Der Polizeiwagen bog in die schmale, geschotterte Zufahrtstraße ein, die zur Altwalchener-Bucht führte. Die Landstraße war wenigstens mit Straßenlaternen beleuchtet gewesen, aber hier konnten sich die Polizeibeamten nur durch ihr Scheinwerferlicht und den Vollmond orientieren. An der Bucht angekommen, stiegen die beiden aus und schlichen, mit ihren Taschenlampen ausgerüstet, in Richtung Ufer.
»Da vorne glänzt irgendwas, da liegt etwas im Schilf. Siehst du es?«, fragte Schillinger seinen Kollegen.
»Ja, richtig«, antwortete Griesmaier, »das schauen wir uns mal näher an. Hoffentlich kommen wir trockenen Fußes dort hin«, gab er noch zu bedenken. Als die beiden näher kamen, stellten sie fest, dass der glänzende Gegenstand ein Teil einer abgerissenen Schiffsreling war. Verdutzt schauten sie sich an und versuchten weiter in das dichte Schilf vorzudringen.
»Es riecht hier irgendwie brenzlig oder verkohlt, findest du nicht?«, murmelte Schillinger.
»Ich würde sagen, hier stinkt´s gewaltig. Wir sind jedenfalls an der richtigen Stelle. Ich glaub, da im Schilf liegt noch so ein metallenes Teil.«
Nach zwei weiteren Schritten fluchte Griesmaier: »Oh, verdammt, jetzt krieg ich nasse Füße«, und hüpfte zurück.
»Wie sollen wir denn dahin kommen? Es gibt keinen Steg und es ist unmöglich, von hier aus mehr zu sehen. Außerdem ist es zu dunkel. Glaubst du, dass da tatsächlich ein Schiff explodiert ist?«
»Ja, das glaube ich, auch wenn es ziemlich unglaublich klingt. Ich kann mir jedenfalls nichts anderes vorstellen..., allerdings kann ich mir auch nicht vorstellen, wie so etwas passieren kann. 
Es schien aussichtslos, einen Überblick zu bekommen und abzuschätzen, was eigentlich genau passiert war.
»Wir verständigen am besten gleich die Kollegen von der Kriminalpolizei und die Spurensicherung. Das heißt allerdings auch, dass wir hier warten müssen, bis die ankommen. Und das kann dauern.«
»Okay, ich sag in der Dienststelle Bescheid.« Griesmaier ging zum Auto, »und dann machen wir´s uns hier so richtig gemütlich. Hast du deine Spielkarten dabei?«
Als die Kripobeamten und ihre Kollegen von der Spurensicherung aus der 30 Kilometer entfernten Kreisstadt endlich an der Bucht eintrafen und ihre Arbeit aufnahmen, dämmerte schon der Morgen. Die Bergungsarbeiten dauerten bis zum Nachmittag. Es wurden jede Menge Einzelteile der zerfetzten Jacht aus dem Wasser gefischt und auch vom Grund des Sees geborgen.
Vom Schiffseigner aber fehlte jede Spur.
In ›Karlshöhe‹, dem Prominenten-Viertel der Kreisstadt Lindenburg, reihten sich die Villen der Reichen und Privilegierten aneinander. Hier residierte der Geldadel. Unternehmer, Schauspieler, Politiker und sonstige Promis wohnten dort Tür an Tür.
In ihrer Villa saßen Helmuth Pfortsheimer und seine Frau Verena beim Brunch. Es war am späten Sonntagvormittag. Die beiden nahmen gewöhnlich ihren Brunch um diese Tageszeit ein, man konnte es sich ja leisten. Genauso wie das Glas Champagner, das natürlich dazu gehörte. Von der windgeschützten Terrasse mit der schattenspendenden Markise hatten sie einen herrlichen Blick auf ihren wunderschönen Garten. Am Ende der Terrasse führten drei Stufen auf einen gepflasterten Weg. Rechts und links davon hatte der Gärtner, der zweimal wöchentlich kam, bunte Blumenrabatten angelegt. Im hinteren Teil des Gartens, hinter einer sorgfältig geschnittenen Buchshecke, befand sich der standesgemäße Swimmingpool nebst Liegewiese und Gartenpavillon. Das große Grundstück war außerdem von einer Zweimeter hohen Thujen-Hecke umgeben, so dass die Bewohner vor neugierigen Blicken geschützt waren.
Pfortsheimer, ein untersetzter Mittfünfziger mit leichtem Bauchansatz und beginnender Glatze, war hauptberuflich Politiker und teilte sich seine Zeit ein, wie es ihm gefiel. Dank seiner Stellung und der Protektion seines Schwiegervaters war es ihm ein Leichtes, nützliche Bekanntschaften und einträgliche Kontakte aufzubauen und zu pflegen. Deshalb liebte er seinen Beruf. Weniger der Politik wegen, eher des Einflusses wegen, den er auch durch die Mitarbeit in verschiedenen Ausschüssen erlangte. Der Gedanke an die Möglichkeiten, die sich ihm boten, jagte ihm stets einen wohligen Schauer über den Rücken. Die Aussicht Macht, Einfluss und Reichtum zu vermehren war für ihn erregender als eine nackte Schönheit in seinem Bett.
Man verkehrte mit seinesgleichen im elitären Golfclub, traf sich im Jachtclub, begegnete sich bei Vernissagen, auf Charity-Partys oder bei Benefiz-Konzerten. Bei diesen Treffen ging es freilich nicht nur um Wohltätigkeit und Freizeitgestaltung. Dort lernte man die wichtigen Leute kennen, knüpfte neue Verbindungen und erhoffte sich, natürlich so ganz nebenbei und auf Gegenseitigkeit, Begünstigungen und Bevorzugungen geschäftlicher oder gesellschaftlicher Art.
Pfortzheimer hatte die Möglichkeiten und den Einfluss die Anliegen seiner neuen Freunde zu verwirklichen, und er nutzte jede Gelegenheit. Ganz nach dem Motto: ›Wer kann, der kann.‹ Als Gegenleistung dafür flossen reichlich Spendengelder, die man durch geschickte Buchungen auf geheime Konten umleitete. Auch mit ›kleinen Aufmerksamkeiten‹, wie Urlaubsreisen, prozentualen Beteiligungen oder mittelgroßen Aktienpaketen drückte man seine Dankbarkeit aus. Es war für alle Seiten ein einträgliches Geben und Nehmen, leben und leben lassen. So war sein monatliches Einkommen durch die ›außerordentlichen Zuwendungen‹ mit der Zeit enorm gestiegen.
Unter diesen Voraussetzungen ließ sich das Leben auf angenehmste Weise genießen.
Gut gelaunt bestrich der Hausherr sein Croissant dick mit Butter und Marmelade. Seine Frau Verena saß ihm mit einem grimmigen Gesichtsausdruck gegenüber.
»Was ist los?«, fragte der Hausherr.
»Wie kannst du nur so gelassen sein!«, warf sie ihm verärgert vor.
Verena war mit Ende Vierzig noch eine sehr schöne Frau. Sie ging dreimal die Woche zu ihrer Kosmetikerin und ins Fitnessstudio, um sich ihr makelloses Aussehen und die schlanke, straffe Figur möglichst lange zu erhalten. Da sie aus reichem Hause kam hatte sie es noch nie nötig gehabt zu arbeiten.
»Ich habe genau gehört, wie du mit diesem Kerl gestritten hast. Er hat gesagt, er hätte dich wegen irgendwelcher Unterlagen in der Hand und kann uns ruinieren«, sagte sie gereizt, »was hat er damit gemeint, was sind das für Unterlagen?«
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