Dann beherrschte nur noch Trance die Tänzer, Hingabe an fetzende Synkopen, ekstatischer Singsang. Die Männer wirbelten, warfen sich vor und zurück, "Ghallabijas" wallten und Schweiß tropfte von verzückten Gesichtern.
Die Musik verstummte, die Szene löste sich auf. Der verzaubernde Bann verwehte wie eine letzte Flötenkadenz, wie fremdartiger Blütenduft, der von fernem Gestade einem einsamen Seemann in die Nase weht und ihn rätselnd allein lässt.
Ich wollte mich in die Nacht verdrücken, war jedoch längst erspäht worden. "Schai", der allgegenwärtige stark gesüßte Tee, wurde mir gereicht, ein Stuhl bereitgestellt. Dies sei eine Hochzeitsfeier, erklärte man mir. Erstaunt fragte ich nach der Braut, nach den auf solchen Festen nirgendwo fehlenden Frauen und Mädchen. Eine Hand wies nach oben. Ich erhaschte einen Blick auf neugierig herab lächelnde Frauensleute und Kinder, die von Balkonen und in Fenster gelehnt dem Treiben im Hof folgten. Meine Frage: „Und die Frauen tanzen nicht?“ wurde mit Gelächter quittiert. Nein, das seien religiöse Tänze, Lobpreisungen Gottes.
Als die Musikanten wieder nach ihren Instrumenten griffen, forderten mich die jungen Männer zum Tanzen auf. Ich winkte ab, seltsam berührt von dieser ganz anderen Art Männerwelt, in der Tanz und körperliche Berührung frei von jenen Tabus sind, mit denen wir die Grenzen zwischen Männlichsein und Unmännlichkeit abzustecken das Recht in Anspruch nehmen.
Die ägyptischen Jünglinge deuteten meine Zurückhaltung sicherlich als europäische Steifheit, als tapsig-unmännliche und amusische Tölpelhaftigkeit. Als die Musik erneut ihre drogenähnlichen Reizstoffe in die wirbelnde Menge sprühte, fingen die Zuschauer den synkopischen Rhythmus der Trommler auf und klatschten anfeuernd mit. Da sah ich als rhythmustrainierter Funker eine Chance, das angeknackste Image des Fremden zu korrigieren und schlug begeistert den ungewohnten Takt sauber mit, was die tanztrunkene Männerrunde mit anerkennenden Rufen belohnte.
7. POLLERAFFEN, BILGENKREBSE UND TASTENQUÄLER
Die Christliche Seefahrt ist paramilitärisch geprägt. Da mögen die Kerle auf irgendeinem versifften Trampdampfer in noch so gleichmacherischen Dreckspäckchen herumhängen, die Dienstgrade sind streng hierarchisch: Erster, Zweiter, Dritter, Vierter, Hinterletzter...
Aber Seeleute sind auch Traditionalisten auf eine andere Art. Sie mögen sich zum Teufel nicht daran gewöhnen, liebgewonnene durch offizielle und korrekte Bezeichnungen für die Dienstgrade an Bord zu ersetzen, wie sie von der Schiffsbesetzungs- und Ausbildungs-Ordnung (SBAO) oder den Bemannungsrichtlinien der Seeberufsgenossenschaft verwendet werden. Dort wird von Hilfs- und Fachkräften gesprochen, was im Hinblick auf ordnungsgemäße Bemannung der Kauffahrteischiffe bestimmt von großer Wichtigkeit ist. Was ich aber hier erklären will, ist die Angewohnheit, Dienstgrade an Bord in überlieferter Weise zu bezeichnen oder anzusprechen.
Dritter Ing. im 'Fettkeller' der 'Bamburi'
Wenn ich also vom "Zweiten Ing" spreche, so ist das offiziell und laut Musterrolle der "2.T.O.", der Zweite Technische Offizier, der meistens gar kein Befähigungszeugnis als Schiffsingenieur – ein CI, früher ein C6 – sondern ein CT-Patent mit der Befähigung zum Schiffsbetriebstechniker, oder gar – mit einer Ausnahmegenehmigung des Verkehrsministeriums – ein Seemaschinistenpatent – Cma – sein Eigen nennt. Früher waren das alles Ingenieure, aber auch Meister, wenn der Ton kameradschaftlicher, das Schiff kleiner, die Fahrt küstennäher und die Uniformstreifen "in der Büx" (gemeint war in diesem Fall die Unterhose!) präsentiert wurden, wie das derb umschrieben wurde. Außerdem hätte sich "Inschenör" ziemlich blöde angehört. Und weil man dieses Wort abgekürzt "Ing." schreibt, waren das eben "Ings", ob nun Maschinist, Meister oder Schiffsingenieur.
Die Nautischen Offiziere waren schon immer Offiziere, "Offis" oder Steuerleute. Landratten stellen sich einen Steuermann immer im Zweikampf mit einem nostalgischen Steuerrad vor. Doch der Mann am Ruder, das heutzutage so klein wie der Schaltknüppel eines Sportwagens sein kann, ist meist ein Matrose, ein Decksmann oder auch ein Deckshelfer, sofern die Steuerung des Schiffes nicht von der Automatik übernommen wird, dem maritimen Autopiloten. Allen neuen Rechtschreibregeln zum Trotz ist übrigens das Fugen-s eine in der Seefahrt unentbehrliche Hilfskraft. Sonst würden aus Deckshelfern und Decksoffizieren zu leicht anrüchige Deckhengstgrade!
Die "Assis" – einstige Ingenieursassistenten – haben an Deck Kollegen bekommen, die als Nautische Offiziersbewerber und Nautische Offiziersassistenten in die hohe Kunst der Nautik eingeführt werden. Man spricht von den "Oas", den "Oasen" oder den "Assis", obwohl so ein Assi eigentlich ein "T.O.A.", ein Technischer Offiziers-Assistent ist. Ein Maschinenwart klärte mich einmal über die Bedeutung dieser Abkürzung auf: "Total ohne Ahnung".
Wellentunnel tief unten im Maschinenraum der 'Geert Howaldt'
So ein Maschinenwart war ja mal ein Motormann, davor ein Schmierer, der es zum Storekeeper oder Schiffsbetriebsmeister bringen konnte. Und auf den Dampfschiffen gab es selbstverständlich noch Heizer und Trimmer. Viele "Chiefs" oder Leitende Ings, die offiziell "Leiter der Maschinenanlage" heißen, sprechen immer noch von ihren Reinigern und Schmierern. Wenn dann der Heilige Krieg zwischen Deck und Maschine ausbricht, beschimpft erstere Fakultät "die da unten" allesamt als Heizer – oder besser "Heizers".
Die "Heizers" wehren sich ihrerseits, indem sie "die da oben" als dämliche Polleraffen schmähen, um von diesen wiederum verächtlich Keller-Asseln genannt zu werden, die da unten im "Fettkeller" in der höllisch-heißen und lärmerfüllten "Zeche Elend" ein jämmerliches Dasein als Bilgenkrebse fristen. Die "Maschinesen" lassen sich das natürlich nicht unwidersprochen gefallen, sind sich ihrer Wichtigkeit trotz ölverschmierter, schweißdurchtränkter Kesselpäckchen bewusst und lachen über die Decksbauern, die in weißer Tropenuniform auf der Brücke einen faulen Lenz schieben, wichtigtuerisch mit den Sextanten herumspielen, um dann die genaue Schiffsposition von der Anzeige des Satellitennavigators abzulesen! Ohne Maschine würden sie hilflos dahintreiben, da sie ja nicht einmal mehr Ahnung vom Segeln hätten, diese blasierten Überseetransportbegleiter!
Dass Sextanten übrigens keine Sex-Tanten sind, hat sich seit Columbus bestimmt herumgesprochen. Die als Sextantenfummler ausgezählten Nautiker erinnern wiederum daran, dass sie bei Nebelfahrt vom ununterbrochenen Ins-Radar-Glotzen müde und kaninchenrote Augen bekommen, dass sie beim Laden und Löschen wie die Schauerleute in der Luke herumfuhrwerken und sich die Klamotten mindestens so malerisch versauen wie die "Schwarzfußindianer" in ihrem stinkenden Kellerloch! Und dass sie sich in eisigen Winterstürmen schier den Arsch abfrieren, während sich die Kerle da unten den feisten Hintern wärmen!
Читать дальше