Dann, wenn nicht schon längst, besinnen sich alle zusammen, auch der "Chef" alias Frikadellenschmied in der Kombüse, sein Kochsmaat, die "Ata-boys" und "Ata-girls" (falls Stewards und Stewardessen die Mannschaftsliste zieren), das gesamte "Feudelgeschwader" also, dass da noch so eine Figur an Bord herumlungert, die den ganzen Tag an seinen Radioapparaturen und Klöterkästen herumfummelt und nur mit den Ohren arbeitet. Also der Mann, der – außer dem Alten – den besten Job an Bord hat. Jawohl, der Funker, der "Sparks", auch schon mal "Sparky", "Funki", Antennenheizer, Tastenquäler oder Funkenpuster genannt, aber auch hochoffiziell Funkoffizier und hämisch Herr Funkrat oder gar Oberpostrat, zu Ehren der ungeliebten Bundespost, die auch bei Seefunkanlagen ihre Monopolmacht ausspielt... Besser gesagt ausspielte, denn die Zeiten der Seefunkerei sind ja endgültig vorbei!
Aber was soll’s! Mit der Seefahrt – so vermutet ein großer Teil wettergegerbter Fahrensleute – geht es sowieso rapide abwärts. Schiffe sind keine Schiffe mehr, Seeleute nur noch Überseetransportbegleiter und diejenigen, die einmal Verantwortung tragen sollen, sind Retortenbabys ohne jegliche praktische Erfahrung.
Zimmerleute gibt’s nicht mehr, wo sind sie nur geblieben die pfiffigen "Holzböcke"? Man machte Deckschlosser aus ihnen. Was soll auch ein echter Schiffszimmermann auf einem Zossen, wo nur noch Metallberufler das Sagen haben und die letzten Stücke Holz die Zahnstocher auf dem Messetisch sind?
Matrosen gibt's nicht mehr…
Den Decksjungen, den Jungmann, den Leichtmatrosen haben sie abgeschafft. Auch Matrosen gibt’s nicht mehr. Sie wurden zu unromantischen Schiffsmechanikern. Oder finden Sie es romantisch, wenn in marineblauen Seemannsschnulzen mit einem Male Schiffsmechaniker die Herzen brechen oder sehnsuchtsvolle Schmachtblicke zum Horizont schicken? Allerdings werden in oberflächlichen Berichterstattungen der Alltagsmedien Seeleute sowieso immer zu Matrosen, egal auf welcher Sprosse der Hierarchieleiter sie stehen. Zum Glück war der Alte schon immer der Kapitän, der uns bitte mit auf die Reise nehmen soll...
Was ist eigentlich aus dem "Scheich" geworden!? So wurde von den Matrosen der im Unteroffiziersrang stehenden Bootsmann genannt; keine Ahnung, warum. Und ein Bootsmann war meistens ein handfester Fahrensmann, der auch einer wüsten Decksgang klarzumachen vermochte, wo es längs geht. Ich erinnere mich an Bootsleute (nicht Bootsmänner, auch nicht Steuermänner, bitte!), deren früheste Tätowierungen noch aus der Nordatlantikfahrt im Zweiten Weltkrieg stammten. An wettergegerbte Kerle, die einst mit der Walfangflotte des griechischen Großreeders Onassis vor Perus Küste von peruanischen Flugzeugen angegriffen und aufgebracht worden waren. Ich erinnere mich an Ober-Machos, die Drei-Zoll-Nägel mit der Faust in Bar-Tresen rammten, und an gestandene Mannsbilder, die außer Muskeln auch jede Menge seemännischen Sachverstand mitbrachten.
Aber die Seefahrt wird auch ohne die nostalgischen Kosenamen für die Jungs an Bord auskommen. Ob sie allerdings ohne Fugen-s und Mehrzahl-s auskommen wird? Da muss ich noch eine kleine Story loswerden, über den Gebrauch des Mehrzahl-s.
Ein Steuermann erzählte mir, dass er mal auf Revierfahrt , Elbe aufwärts, mit dem Lotsen über die anstehenden Heuertarifverhandlungen diskutierte, über das magere Angebot der Reeder und die Zerstrittenheit der Gewerkschaften. Schweigend hatte der Matrose am Ruder dem Gespräch gelauscht und nur ab und zu beifällig mit dem Kopf genickt. Als nun die Fragwürdigkeit des von vielen Reedern als Druckmittel gehandhabten Ausflaggens zur Sprache kam, gab auch der Matrose einen kurzen Kommentar: „Jo! Reeders sind alles Pissers!“
Übrigens! Falls Sie, lieber Leser, Lust haben auch musikalisch das Thema Seefahrt näher gebracht zu bekommen, dann klicken Sie doch auf "YouTube" "mario covi" an. Dort habe ich einige meiner Lieder eingestellt. Versuchen Sie mal "Seemanns Lamento" unter diesem Link: http://www.youtube.com/watch?v=9QYd7zUSEp8
Eine ganze Weile schon saß ich beim Ersten Offizier Langhinrichs (alle Namen meiner Kameraden geändert), der gestern Geburtstag hatte und wegen der Arbeit an Deck noch nicht dazu gekommen war, dies zu feiern. Es war bereits Mitternacht, und die anfangs noch mäßige Stimmung hatte sich soweit gemausert, dass wir – der Alte, der Erste, der Chief und ich – beschlossen, ins ‚Crazy Horse‘ zu gehen.
Wie sich herausstellte, hatte der Betrieb in diesem beliebten Nachtklub Alexandrias gerade erst richtig begonnen. Langhinrichs und Chief Teuchert wurden an der Bar als alte Bekannte begrüßt.
„Ihr scheint ja hier öfter einen rund zu machen“, stellte der Alte trocken fest.
„Das muss auch ab und zu sein bei dieser Fahrt“, knurrte Langhinrichs und prostete uns mit dem ersten Drink zu.
„Beim letzten Mal war’n wir ganz schön knülle, was?“, lachte Teuchert.
Langhinrichs knallte sein leeres Glas auf den Tresen und wandte sich an mich: „Gleich spielt Helmut Zacharias!“ (Helmut Zacharias galt als "Zaubergeiger", spielte vor allem Swing-Jazz und ist 2002 gestorben)
„Ich denke, es gibt Bauchtanz?“, fragte ich und beobachtete, wie auf der Bühne eine Art Bandwechsel stattfand. Verstärker, Boxen, Hallgeräte, Gitarren, Mikrostative, Keyboards, Saxophone, Schlagzeug – und Kabel, Kabel, Kabel. Wehmütig dachte ich an meine eigene Amateurmusikervergangenheit zurück. Doch der Blick auf diesen ganzen Tanzmucker-Krempel wurde nun von ernst blickenden Musikern in dunklen Anzügen verdeckt, die sich mit Trommeln, Tamburinen und fremdartigen Perkussionsinstrumenten davor aufbauten.
„Wart’s ab Funki, kommt alles!“, dröhnte Langhinrichs und drückte mir den zweiten Drink in die Hand. Noch mehr dieser düsteren Brüder hatten sich mittlerweile vor der Tanzfläche eingefunden, darunter einer mit riesigem Akustik-Bass. Und da!
„Da isser ja!“, grölten Chief und Erster gleichzeitig. Und tatsächlich, da marschierte Helmut Zacharias, die Geige unterm Arm, gefolgt von zwei weiteren Streichern, gemessenen Symphonikerschrittes Richtung Bühne. Die Ähnlichkeit war verblüffend, man hätte am liebsten gerufen: „Helmut, was hamse dir angetan!“, doch Helmut reihte sich ein in den düster blickenden Haufen. Noch glotzte ich völlig verblüfft, da hieß es: „Austrinken!“ – Und schon schmückte ein neuer Drink meine unseemännische Funkerfaust.
Dann aber ging’s los: Ein Trommelwirbel setzte ein, steigerte sich, brach ab. Die Geigen weinten, wimmerten, verhallten... Eine Flöte klagte... Der Zauber des Orients schwebte doch tatsächlich heran, brach sich Bahn in einem abermaligen Wirbel wahnsinnig gewordener Tamburine, der sich zu einem mitreißenden Rhythmus festigte. Ich war begeistert! Die Fremdartigkeit orientalischer Musik überwältigte uns und ließ jedes abfällige Blödeln im Keime ersticken. Die Virtuosität der Künstler war so überzeugend, dass selbst dann, als ein Ägypter im langen Flattergewand die wehmütig-wilden Schnörkel eines arabischen Liebesliedes sang, keiner von Katzengejaule oder widerwärtigem Gewinsel sprach. Die Schönheit arabischer, im weitesten Sinne orientalischer Musik zu begreifen, mag für mitteleuropäische Ohren schwierig sein. Aber, ist der Orient nicht bereits im strapazierten Zigeunermoll-Schluchzen eines Kaffeehausgeigers zu spüren? Und die melancholische Phrase eines andalusischen Flamencogitarristen ist der eines "Ud"-Spielers von der gegenüberliegenden Mittelmeerküste zum Verwechseln ähnlich...
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