Ein Einbaum, von einem Außenborder angetrieben, scherte längsseits, und ein verwegen aussehender Afrikaner stellte sich als Lotse vor. Diese Lotsen sind meist einfache Leute aus dem Busch, die das weitverzweigte Fluss-System bestens kennen. Zwar können sie keine Manöveranweisungen geben, aber sie steuern die Schiffe geschickt durch das schwierige Revier. So dirigierte unser Lotse den Getreidefrachter auf verschlungenen Wasserpfaden und Urwaldflüssen durch Mangrovensümpfe, verfilzte Dschungel und Regenwald.
Kleine Urwalddörfchen zogen vorüber. Oft nur eine Ansammlung von zwei, drei armseligen Hütten, deren Bewohner vor der Bugwelle des Schiffes flohen, einer lehmbraunen Woge, die sich rauschend durch das wackelige Gefüge des Dschungelhäuschens ergoss und den kümmerlichen Hausrat ins Freie spülte. Sobald man sich größeren Ansiedlungen näherte, umringten Schwärme von Kanus das Schiff. Frauen, Kinder, Mädchen und junge Burschen riefen: „Oibo! Oibo! Dash me Oibo! – Weißer, weißer Mann aus Europa, schenk mir was!“
Dann flogen Klamotten, Konservendosen, Krempel und Kleinkram in die Kanus. Rüde Freigebigkeit packte uns. Wohlstandsmüll ergoss sich ins dunkle Flusswasser, die Satten kippten den Darbenden die Krumen des Überflusses vor die Füße. Und wir alle hatten einen verdammten Spaß dabei!
Ich entsinne mich einer Reise durch diese Gewässer, da war die Begeisterung eines Matrosen so überschwänglich, dass er sämtliche persönliche Kleidungsstücke in die vor Freude johlende Flottille der Kanus und Pirogen warf. Als er nichts mehr zu verschenken hatte, schleuderte er seinen Wintermantel in die tropisch-heiße Dschungelluft und letztendlich mit den Worten „den brauch‘ ich jetzt auch nicht mehr!" – seinen guten Reisekoffer... Der Seemann musste anschließend bei seinen Kameraden um ein paar Klamotten bitten.
Wir waren also mit unserer Getreideladung auf dem Weg nach Sapele, als der Lotse auf halbem Wege, mitten in dieser Landschaft aus Dschungel und Wasser, den Anker fallen ließ. Er eröffnete uns, dass wir hier zu warten hätten. Die Pier am Getreidesilo sei besetzt. Auf die Frage unseres Alten, wann wir denn an die Pier sollten, gab es die meistgehörte Phrase in nigerianischen Schifffahrtskreisen zu hören: „Any time from now!“
„Any time from now“, dieses „Irgendwann-ab-Jetzt“ wurde ein zermürbendes Harren und Hoffen, ein Trödeln und Gammeln. Die Regenzeit fiel mit Vehemenz über das Nigerdelta herein. Sie sperrte uns in die Enge des Schiffes, zögerte unseren Löschtermin immer weiter hinaus. Zum Glück hatte ich Beschäftigung mit meinen Hobbys, schnitt Filme und klimperte auf meiner Gitarre. Natürlich hatte ich auch mit der Funkerei und anfallendem Verwaltungskram zu tun.
Jeden Morgen brachten mir die Matrosen riesige Herkuleskäfer, groß wir Spatzen. Sie waren vom Licht des Schiffes angelockt worden, schafften aber den Weg über den breiten Benin-River nicht zurück in den Urwald. Ich hatte begonnen, die zum Tode verurteilten Kreaturen wenigstens als Sammlerstücke zu präparieren. Auf den Geräten der Funkstation trockneten sie, schwarzbraune Riesenkrabbler mit geweihähnlichen Zangen. Ihre Heimat ist eigentlich Südamerika, aber in diesem kleinen Teil Afrikas kommen sie ebenfalls vor.
Wir lagen vor Koko, einem Dörfchen, das Jahre später in die Schlagzeilen geraten sollte, als kriminelle Profiteure dort klammheimlich hochgiftigen Sondermüll entsorgten! Beim Landgang wurden wir neugierig beobachtet. Die Kneipe des Kaffs bot lauwarmes Bier und irrsinnig laute Reggaemusik, die damals in allen Pinten Westafrikas groß in Mode war. Da unser Proviant zur Neige ging, zog der Alte bei solchen Landgängen über den Markt und durch die kleinen Läden der Ansiedlung, um jedes erreichbare Hühnerei und fades Weißbrot aufzukaufen. Die anderen Waren des Marktes eigneten sich nicht unbedingt als Schiffsproviant: lebende Krokodile, handlich mit Tragegriff verschnürt; Fluss-Schnecken, faustgroß und zu schleimigen Haufen gestapelt; fette weiße Engerlinge mit schwarzen Knopfaugen.
Mit den Dorfbewohnern kamen wir bestens aus. Sie waren liebenswürdig und friedlich. Ein paar lebenslustige Mädchen schlichen sich des Nachts mit ihren Kanus zum Schiff, wo sie von unseren Jungs bereits erwartet und heimlich über eine Strickleiter an Bord geholt wurden.
Ein etwas lüsternes Macho-Vergnügen war, die Frauen und Mädchen beim Bad im Fluss zu beobachten. Kaum ein Menschenschlag schäumt sich so ausgiebig mit Seife ein und badet so genussvoll wie die Afrikaner. Da waren einige bildhübsche Mädchen darunter, und wir ausgehungertes Mannsvolk gierten nicht schlecht durch die Ferngläser auf der Brücke. Die Haut einer jungen Frau glich dunklem Milchkaffee, ein Geschöpf von goldbraunem Liebreiz. Wenn sie sich mit ihren Gefährtinnen im Wasser tummelte, rief mich der Chief immer mit den Worten: "Funker, komm schnell, die Weiße badet!"
Eines Nachts, gegen vier Uhr, wurden wir überfallen. Einer der wachenden spanischen Matrosen riss am Typhon, der Schiffssirene, brüllte den Niedergang hinab, und im Handumdrehen war jeder an Bord hellwach. Der Alte schrie mit aufgeregter, weinerlich-kippender Stimme: „Diese Schweine! Diese gottverdammten Schweine!“ - Ich muss zugeben, mir wurde verdammt mulmig, ich spürte Angst.
Es ging glimpflich aus. Kaum hatte ich mich angekleidet und irgendeine Schlagwaffe ergriffen, da waren unsere spanischen Matrosen und Decksleute bereits knüppelschwingend und wilde Kriegsschreie ausstoßend hinter den Piraten her, die sich kopfüber in die Fluten des nächtlichen Benin-Rivers retteten. Uns fiel ein Stein vom Herzen, war doch nicht ganz klar, welche Art von Beute die Banditen erhofft hatten. Das Getreide lag als loses Schüttgut in den Luken, was unserem Pott einen gewissen Sicherheitsstatus verlieh. Blieb als Beute nur die Schiffsausrüstung und unsere persönliche Habe.
Einige Nächte später, so gegen drei Uhr, wir hatten eine kleine Bordparty gefeiert und ich saß mit ein paar Unentwegten bei einem letzten Whisky-Soda auf dem Palaverdeck, da hörten wir Schüsse. Unsere Nachtwache-Matrosen ließen die Bordscheinwerfer über die finstere Urwaldszenerie streifen, erfassten die Hütten von Koko, ein heruntergekommenes Herrschaftshaus aus kolonialen Tagen, die kleine Pier, an der hin und wieder ein Frachtschiff festmachte und Koko zur "Hafenstadt" machte. Dort herrschte Unruhe, man sah Männer laufen, ein oder zwei Kanus aufgeregt fortpaddeln.
Das alles begriffen wir in den wenigen Sekunden, in denen es sich abspielte, gar nicht so richtig, als es abermals knallte. Irgendeiner unserer trunkenen Zechbrüder lallte etwas von Feuerwerk und Nationalfeiertag. Ich rannte zur Brücke hoch, um einen besseren Überblick zu bekommen. Dort traf ich auf zwei Spanier der Nachtwache, die sich gerade hochrappelten und ihre Gliedmaßen rieben.
"Hijos de puta – Hurensöhne!", grollte der eine, ein drahtiger kleiner Bursche.
"Diese Kanaker auf uns schießen!"
Der andere bestätigte den Zwischenfall: "Ich mit Lampe leuchten auf Canoa. Bumm! Scheiß Kanaker schießen, ich hören zing! Ich mich schmeißen auf Boden!"
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