„Nicht schlecht, die Jungs, was?“ – Langhinrichs drückte mir schon wieder einen Drink in die Hand. Ein neues Musikstück begann. Auf der Tanzfläche erschien eine erblondete Schöne, nicht ganz üppiger Orient, aber auch nicht schlank-blonde Nordlandnorm. Eher ein rassiges Mollchen mit liebreizend liederlichem, levantinischem Profil: Genau das Richtige in diesem teuren Schuppen! Die Schöne, im flitterigen Nabel-Look, hob die Arme, spreizte die Finger, schwang die Hüften und ließ ihr herrliches Becken kreisen. Im fetzigen Trommelrhythmus wogten die Weichteile, bebten Busen und Bauch. Wir leckten uns die Lippen – und in Gedanken diesen haremsschwülstigen Körper, der sich da in folkloristischer Geilheit produzierte.
Die Gäste an den Tischen – Griechen, Armenier, ägyptische Geschäftsleute, fast ausschließlich Männer mit weichen Gesichtern, aber auch Damen: reichlich beklunkert, kokett, offensichtlich vermögend, – spendeten Beifall, warfen Geldscheine aufs Parkett, steckten der Bauchtänzerin protzige Pfundnoten an die wogenden Pfunde. Ein junger Mann löste sich aus einer Gruppe von Freunden, tänzelte auf die sich Wiegende zu, spreizte und zierte sich mit ihr, schenkte ihr und seinen Kumpanen ein glutäugiges Schönlingslächeln.
„He! Du schwuler Hund!“, brüllte Langhinrichs. Die Gäste freuten sich sichtlich über das fälschlicherweise als Beifall verstandene Gegröle, der Lockenkopf dankte mit lasterhaftem Schnauzbartgrinsen, und wir lachten uns kaputt.
Und immer wieder die freigebig gespendeten teuren Drinks...
„Geburtstag ist Geburtstag, also trink aus!“, polterte Langhinrichs und verzog sein kerniges Piratengesicht zu einem sympathischen Grinsen. Wir schnackten eine Weile, kamen ins Plaudern, in beschwipstes Thekensalbadern, das die kauzigen Seemannsherzen ein bisschen befreite von allerlei Dummsinn und Ballast, seicht plätschernd, wie das glückselige Entleeren eine Biertrinkerblase, die doch dauernd wieder volläuft...
Der Tag darauf war verkatert, logisch! Doch abends packte es uns wieder als der Erste meinte, er müsse seinen Geburtstag noch ein wenig nachfeiern. Okay, pfeif was auf Kater! Wie sagte so ein schlauer römischer Dichter? „Lebe heute, morgen wird es zu spät sein!“
Morgen sollen wir auslaufen – also, ab an Land, ins "Crazy Horse"!
Anfang März 1981. Die "Bernhard-S" lag wieder vor Constanta, Rumänien. Mit uns ankerten etwa vierzig Schiffe. Auch hier "congestion", Überfüllung des Hafens. Doch wir kamen bevorzugt an die Pier. Rumäniens Industrie war daran interessiert, ihre oftmals schludrig zusammengeschusterten Produkte so rasch wie möglich für harte Devisen loszuwerden. Die Ägypter hatten noch einige Schiffsladungen mit Eisenbahnwaggons zu erwarten.
In Rumänien herrschten noch der Autokrat Ceausescu und sein Geheimdienst mit harter Hand. Die Wirtschaft schien ziemlich darnieder zu liegen. Erdölpreisgeschädigt und planwirtschaftgebeutelt hatte sich das Land eine schweigend leidende Brut ausgebeuteter Staatsschädlinge herangezüchtet, brutal eingeschüchtert nach oben duckmäusernd, und nach unten schiebend und schachernd. Uns sollte es recht sein, als dekadente Westler hatten wir längst keine Ideale mehr zu verraten und solidarisierten uns mit den kleinen Leuten, die immer die Ausgebeuteten sind.
Kaum waren wir an der Pier fest und Lotse, Schlepperbesatzung und Behörden hatten ihr Bakschisch abgesahnt, kamen sie an Bord, die kleinen Schieber und Schmuggler. Die Schauerleute und die kleinen Gauner, die klauten wie die Raben, weil man ja irgendwie überleben musste in diesem verlogenen, maroden System. Für eine Stange "Marlboro", zollfrei eingekauft, gehortet und geschmuggelt, gab es 200 Lei. Eine Stange "Kent" brachte 250 Lei. Bei acht Stangen Kent hatte man 2000 Lei in der Tasche, den Durchschnittsverdienst eines Rumänen. So kosteten uns 100 Lei drei Mark fünfzig. Offiziell getauschte Devisen dagegen hätten den Preis für 100 Lei auf rund zwanzig Mark katapultiert!
Es war ein Samstag. Für die meisten arbeitsfrei, außer für den Wachhabenden von Deck und den sogenannten Schlüsselmatrosen. Der Schlüsselmatrose war ein Billigersatz für einen Bootsmann, aber er machte seinen Job bestens – vor allem scheffelte er Dollars. Denn die Beladung des Schiffes wurde mit bordeigenem Schwergutgeschirr vorgenommen, eine Präzisionsarbeit, die sich der Charterer harte Dollars kosten ließ.
Den anderen stand der Sinn eher danach, ihre Dollars auszugeben. So steuerte ich mit dem Ersten, dem Chief und Herbert (alle Namen meiner Kameraden geändert) Richtung "Orient", einer Kneipe mit Diskothek. Am Hafentor wurden wir von den ersten Geldwechslern angemacht, Devisenschiebern, die es drauf hatten, einen Seemann bösartig übers Ohr zu hauen.
Erst gestern hatte mir ein Decksmann geschildert, wie es ihm ergangen war: „Wir waren zu viert an Land gegangen. Und gleich beim ersten Geldwechsler hundert Dollars tschinschen. Schön zur Laterne hin, und dann 3.300 Lei vorgezählt bekommen. Noch mal vorgezählt, nachgezählt, noch mal vorgezählt, noch mal nachgezählt, in die Hand genommen, ihm die hundert Dollar gegeben, 3.300 Lei in die Jackentasche. Schön stolzgeschwellte Brust, Geschäft gemacht! Aber Scheiße! Steckte mir ne Zigarette an, mein Macker wollte auch eine, gab ihm eine, da fragte er mich: "Na, wie viel hast du gekriegt? Ich hab nur 2.800 gekriegt." – Da sagte ich: "Du Arsch, ich hab 3.300 gekriegt!", griff in die Tasche, um sie zu zeigen und – haha! – weg waren sie! Dreitausenddreihundert Lei einfach weg!“
Auf dem Weg in die Stadt bettelten uns Romamädchen an, schwarzlockige Schmuddelkinder mit traurigen Augen, die einen begrabschten und betasteten und theatralisch die Hände küssten. Man musste aufpassen, wohin die patschenden Händchen wanderten. Im Handumdrehen war Chief Teuchert Zigaretten und Feuerzeug los. Die Kinder rannten davon. Teuchert lachte, was hätte er anderes tun können?
Im "Orient" war nur das Café im Erdgeschoss geöffnet. Rumänen, in dicke Wintermäntel gehüllt, saßen an den Tischen, tranken Kaffee oder Kognak. Viele spielten Domino. Auch wir bestellten Kaffee und Weinbrand, der in riesigen Gläsern ausgeschenkt wurde. Bald sprachen uns Devisenschieber an. Der Chief wollte zweihundert Mark wechseln. Herbert, ein schwergewichtiger Matrose, sagte: „Lass mich mal machen!" Er deutete an, dass er sich mit den Tricks der Geld-Tschinscher gut auskannte. Als dann die Rumänen zu dritt Richtung Toilette verschwanden und Herbert einen Wink gaben, meldete ich Zweifel an: „Wenn die zu dritt sind, sollte doch noch einer von uns dabei sein!" – „Ach was, Herbert macht das schon!", war die Antwort.
Nach einer ziemlichen Weile kam Herbert selbstzufrieden lächelnd und lässig federnden Schritts an den Tisch zurück, grüßte die abziehenden Geldfüchse salopp und reichte dem Chief ein Bündel Banknoten: „Hier, dreitausend Lei!“ – Teuchert steckte die Scheine ein, zählte sie dann aber doch noch unterm Tisch nach und sagte: „Da fehlen aber tausend!“
Die Schliche der Devisenschieber waren vielfältig. Die einfachste Methode im Freien war, mit den leichtfertig gereichten Geldscheinen davonzurennen. Da es natürlich verboten war, Devisen schwarz zu tauschen, wäre eine Anzeige immer ein Eigentor gewesen. Vorsicht war angesagt, wenn übertrieben hohe Schwarzmarktkurse geboten wurden. Man bekam die 100-Lei-Scheine sorgfältig vorgezählt, wurde zum Nachzählen aufgefordert und steckte sie ein. Beim Zählen des nächsten Bündels wurden einem von einem Helfer die ersten Banknoten bereits wieder gestohlen. War dies nicht möglich, verzählte sich der Geldhai absichtlich und verlangte nochmals die ersten Scheine zurück. Er zählte sie, bestätigte, dass die Summe doch gestimmt habe, forderte aber gleichzeitig auf, die nächsten zehn Hunderter mitzuzählen. Also steckte man rasch das erste Geldbündel weg, ohne es nochmals nachzuprüfen. Dabei war einem mit Kartenspielergeschicklichkeit ein mit einem einzelnen 100-Lei-Schein umwickeltes Bündel Klopapier gereicht worden.
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