Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht? Ich jedenfalls hörte dem Mann gerne zu. Sicherlich, manchmal geriet er mir zu sehr ins Dozieren. Beispielsweise als ich ihn auf seine neuen Tennisschläger ansprach, die er wie seine Augäpfel hütete. Eigentlich sollte man annehmen, über so etwas Banales wie Rackets ließe sich, außer in der geschwätzigen Form der Werbung, rein überhaupt nichts sagen. Doch auch darin irrte ich. Für ihn waren Schläger nicht einfach nur Schläger, sondern eine Weltanschauung. Da steckte aus seiner Sicht weniger Material, aber mehr Technologie drin als in einem veralteten Notebook. Gegen einen Tennisschläger sei eine Videokamera so simpel wie ein Küchenmesser.
Er erklärte immer alles wissenschaftlich, was mir manchmal gehörig auf den Wecker ging. Spielen kann man deshalb auch nicht besser, wenn man es weiß. Jedenfalls muss do ein Schläger die reinste Physik sein und davon habe ich in der Schule nie mehr als die Hälfte verstanden. Alles wortgetreu wiederzugeben, was Jonathan über Tennisschläger wusste, überstiege einfach meinen Horizont und außerdem hatte ich nicht vor, in dieses Business einzusteigen, das sich vornehmlich in Singapur abspielt.
Gut, ich gebe zu, ein winziges Aufnahmegerät ist mitgelaufen und hier sind einige Originalpassagen: „Den idealen Schläger gibt es nicht. Das wäre nämlich – immer streng physikalisch gesehen – dann gegeben, wenn der Ball, die Bespannung und der Rahmen die gleiche Schwingungsfrequenz haben würden. Dies wäre dann die Quadratur des Kreises, weil wegen der verschiedenen Materialien unmöglich zu erreichen, aber für die Ballgeschwindigkeit wäre es ganz toll. Ungeachtet der Tatsache, dass es nicht gehen kann, versuchen uns die Hersteller trotzdem weis zu machen, sie wären auf dem Wege dorthin. Wie im Leben so oft stellen alle Schläger einen Kompromiss dar. Wenn ich mich auf das Wesentliche beschränken darf, dann sind es zwei Dinge: der Rahmen sollte möglichst steif sein, nicht zu leicht und aerodynamisch, der Griff sollte so stark wie möglich sein, damit er nicht so schnell bei unsauber getroffenen Bällen in der Hand verrutscht. Der Schlägerkopf sollte, mal von Profis und technisch sehr guten Spielern, relativ groß sein, weil dann auch der Sweetspot größer ist. Je größer dieser ominöse Fleck auf der Bespannung ist, desto eher wird er vom Ball getroffen, der nur dann wirklich Speed bekommt. Manche treffen natürlich den Sweetspot nie, schon gar nicht im Tennis. Dann ist es auch egal, was sie für einen Schläger haben!“
„Was ist besser, Kunststoff oder Darm?“ warf ich fachmännisch ein, denn ich hatte schon von dem Meinungsstreit gehört, der wegen der Saiten ausgebrochen ist.
„Also, das sollte man ausprobieren! Darmsaiten sind am teuersten, aber gut und armschonend, weil sie den besten Touch liefern. Doch sie vertragen nicht viel Feuchtigkeit und reißen schnell. Kunststoff-Saiten gibt es in zahlreichen Variationen, darunter wirklich sehr gute und empfehlenswerte. Und dann gibt es seit einigen Jahren noch die Hybrid-Sets, bestehend aus einer Kombination von beidem. Wie gesagt, wenn man das Tennisspielen ernsthaft betreiben will, kommt man nicht darum herum, verschiedene Saiten zu testen. Gerade bei der Bespannung kann viel falsch gemacht werden. Grundsätzlich lassen die Freizeitspieler ihre Schläger zu hart bespannen, weil sie meinen, dadurch würden die Bälle schneller. Es ist aber genau umgekehrt. Die Ballkontrolle wird besser, aber die Ballbeschleunigung sinkt. Um die 20 Kilo sind meistens genug. Ich würde nicht an das vom Hersteller empfohlene Limit gehen. Das ist wie mit den PS bei den Autos oder mit der Höchstgeschwindigkeit, da tobt auch ein unsinniger Konkurrenzkampf.
Viele meinen auch, wenn sie mehr Saiten haben, hätten sie mehr Wucht in ihren Schlägen. Es ist aber auch umgekehrt. Eine weitmaschige Bespannung mit dünnen Kunststoffsaiten bringt mehr Power und mehr Spin. Den Trampolin-Effekt zu nutzen, wenn man nicht über die Kraft und Schnelligkeit eines jungen Mannes verfügt, halte ich für intelligent.“
„Aus welchem Material sind eigentlich die Rackets für das moderne Powerspiel?“ heizte ich nach.
„Die Wahrheit ist, dass die Schläger innen alle schwarz sind und zum größten Teil aus derselben Fabrik in Asien kommen. Sie unterscheiden sich vor allem außen in der Form und in der Farbe. Die Verkäufer schwärmen vom Graphit, jenem Stoff aus dem die besten Schläger sind, als sei es Platin. Dabei ist Graphit ein sehr häufig vorkommendes Mineral und eine der natürlichen Erscheinungsformen des chemischen Elements Kohlenstoff. Es wird in China und anderen Ländern im Tagebau tonnenweise gewonnen, kann also nicht gar so wertvoll sein, wie gerne suggeriert wird. Ich denke, dass die Unterschiede bei Marken-Schlägern gering sind und es meistens nicht am Schläger liegt, wenn jemand keine vernünftigen Schläge zusammenbringt.“
„Ich habe gehört, die Profis tunen sogar ihre Schläger!“
„Ja, kein Profi spielt mit einem Racket von der Stange, sondern diese Schläger sind sorgfältig auf dessen Bedürfnisse angepasst. Die Laien glauben, wenn sie einen Dämpfer zwischen die Saiten und direkt über das offene Schlägerherz setzen, damit die Bespannung nicht zu sehr nachschwingt. sei das schon eine größere Operation und Tuning. Ich habe John McEnroes alten Schläger im Wimbledon-Museum gesehen, mit dem er dort im Einzel und Doppel insgesamt vier Mal gesiegt hat. Da war eine unglaublich präzise Feinabstimmung zu erkennen, mit Bleiband und allem drum und dran. Soweit muss man heute bei den modernen Schlägern sicherlich nicht mehr gehen, aber so ein bisschen Gewicht packe ich schon auch drauf, damit das Racket nicht zu leicht ist und der Ball etwas an Masse entgegengesetzt bekommt. Schließlich handelt es sich um ein Rückschlag-Spiel und der schnelle Ball prallt mit einem ganz schöner Kraft auf und soll total seine Richtung ändern.“
Als ich drei Monate später den air-conditioned Miami Airport verließ, um ein Taxi herbei zu winken, schlug mir die extrem feucht-heiße Luft Süd-Floridas wie eine Wand entgegen. Mein Hemd war augenblicklich klatschnass, was man nicht sehen konnte, weil es weiß war. Wie man unter diesen klimatischen Bedingungen den Laufsport Tennis ausüben konnte, war für mich unvorstellbar. Aber der Mensch gewöhnt sich offenbar an vieles und rennt fast 130 Kilometer durch die Wüste, was einem dreifachen Marathon entspricht.
Wir wollten uns im Sonesta Beach Hotel in Key Biscayne treffen. Als der Wagen endlich die futuristischen Wolkenkratzer-Schluchten von Miami City verließ und auf den Rickenbacker Causway einbog, bot sich jenseits des Gipfels der riesigen, katzbuckligen Brücke ein gigantischer Ausblick auf die vorgelagerte Insel Virginia Key und über die Biscayne Bay hinweg auf Crandon Park, mit Charter Fishing, Golf Course und dem berühmten International Tennis Center. Jonathan Seyberg hatte darauf bestanden, dass wir Zimmer mit Meerblick nahmen und sie sogar zu irgendeinem günstigen Businesstarif bekommen.
„Alte Verbindungen!“ nannte er das und fügte erklärend hinzu: „Wenn ein Hotel schon am Ocean Drive liegt, dann will ich den Ozean nicht nur riechen. Der Mensch ist ein Augentier. Unsere Distanzinformationen nehmen wir sogar fast zu 100 Prozent mit unserem Sehorgan auf. Wir sehen in einem Winkel von 175 Grad, was natürlich im Vergleich zur Fliege mit ihren Facettenaugen gar nichts ist, die fast 360 Grad sehen kann, weswegen sie sich auch nicht so leicht erwischen lässt. Aber ich wollte etwas anderes sagen: Die Bildverarbeitung findet im Gehirn statt und deshalb könne wir nur das wahrnehmen, was wir kennen. Die visuellen Reize werden interpretiert, was bestehende Informationen voraussetzt. Wenn man beispielsweise die Buchstaben nicht kennt, kann man nicht lesen und wenn man die Bedeutung von Wörtern nicht kennt, kann man den Text nicht verstehen.“
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