Von Tsingtau bis Shanghai betrug die Distanz 399 Seemeilen. Bei einer Marschfahrt von 17 kn benötigten wir einen Tag Seereise bei diesem Wetter, wie wir es im Gelben Meer vorfanden. Es war unangenehm kalt. Doch der kalte Wind kam von achtern, und das war schon erträglich. Die Region um die Millionenstadt Shanghai liegt am Delta des Yangtse-Flusses, nach chinesischer Art Chang Jiang geschrieben. Das Delta hat eine gewaltige Breite, mindestens wie die Elbe auf der Höhe von Cuxhavens Alter Liebe, bestimmt noch breiter, denn draußen vor der Mündung, als der Lotse an Bord kam, konnte man das andere Ufer nicht erkennen. Da das Gelbe Meer auch dem Gezeitenwechsel unterliegt, gibt es im Mündungsbereich viele vorgelagerte Wattflächen, die bei Hochwasser überflutet werden, bei Niedrigwasser zum Teil trockenfallen. Das Fahrwasser war gut ausgetonnt. Auch der Shanghaier Seelotse kam dick eingemummt in einen Wattemantel. Auch er trug das obligatorische Zeiss-Jena-Fernglas vorn auf der Brust. Offenbar kannte er Kapitän Schott von den vorhergegangenen Reisen. Jedenfalls begrüßten sie sich recht kollegial und freundlich oben auf der Brücke. Und dann ging es die letzten Meilen flussaufwärts bis mitten in die Stadt, wo wir auf der gegenüberliegenden Seite vom Interclub – ein ehemaliges Gebäude einer bekannten europäischen Bank – am Kai festmachten. Wie in Tsingtau kam auch hier eine Delegation von Einklarierungsbeamten nebst der volkseigenen Schiffsagentur an Bord. Erst kam die Kontrolle der Mannschaftsliste, danach mussten alle Mann zur Gesichtskontrolle antreten. Zwischendurch war eine Mannschaft der Küstenschutztruppe in Kompaniestärke an Bord gekommen und hatte alle offenen Türen und Niedergänge zu den Mannschaftsräumen besetzt und kontrolliert. Zusätzlich erfolgte eine Kammerkontrolle, die auch die persönlichen Effekten unter die Lupe nahm. Leute mit Leidenschaft für Pornolektüre waren ihre Sammlung sofort los. Erst, als alles durchleuchtet war, konnten die Hafenarbeiter an Bord kommen und der Ladungsoffizier mit dem Schiffsvormann seine Beladungsstrategie besprechen. Hier in Shanghai arbeitete der gesamte Hafenbetrieb wieder in zwei Schichten. Es gab eine Früh- und eine Spätschicht. Und zur Unterstützung des Ladungsoffiziers waren etliche von uns als Deckswache für die jeweilige Schicht eingeteilt worden. Die Zusammenarbeit mit den chinesischen Vorleuten war gut. Wenn sie Pause hatten, kamen sie sogar zu uns in die Mannschaftsmesse zum Aufwärmen und Kaffeetrinken.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir ab Tsingtau bereits auf der Heimreise waren. Und so nahmen wir in Shanghai praktisch nur Ladung für Europa an Bord. Ich kann mich aber nicht mehr daran erinnern, welche Art von Ladung wir bekamen. Nach der zweitägigen Hafenliegezeit wurde die BAYERNSTEIN wieder seeklar gemacht, heißt: Luken geschlossen, Bäume niedergelegt und in den Baumhalterungen gelascht. Es kam wieder die Ausklarierungsbehörde mit der Passkontrolle an Bord, alle Besatzungsmitglieder mussten vor der Kommission zur Gesichtskontrolle antreten. Die Unterkünfte wurden dieses Mal nicht kontrolliert. Es dauerte nicht lange, bis der Seelotse eintraf. „Klar vorn und achtern, Vorschlepper an Steuerbord-Seite fest, alle Leinen los!“. Und schon taute uns der Schlepper vom Kai ab und drehte uns im Strom mit dem Steven in Richtung Mündung des Yangtse-Flusses. Nach knapp 40 Minuten Revierfahrt erreichten wir den Lotsendampfer. „Maschine stop!“ Der Lotse verabschiedete sich vom Kapitän und dem wachhabenden Offizier und entschwand über die Lotsenleiter auf den Ausholer des Lotsendampfers. „Maschine voll voraus!“ und ab ging die Post in Richtung Hongkong, die letzte britische Kronkolonie in der Volksrepublik China, auf der Landkarte so groß wie ein Fliegenschiss. Aber auf diesem Fliegenschiss lebten 1956 bereits 3 Millionen Hongkongchinesen mit britischem Pass.
Zunächst fuhren wir im Ostchinesischen Meer an der Küste entlang bis zum Nordeingang der Straße von Taiwan. Dort wurden wir überraschend von zwei amerikanischen Zerstörern (Fletscher-Klasse) aufgestoppt und mussten erklären, woher wir kamen, wohin wir wollten und was für Ladung wir an Bord hatten. Anschließend teilten sie uns mit, dass wir durch die Straße von Formosa (so hieß Taiwan damals in den 1950er Jahren) nur unter ihrem Geleitschutz fahren durften und wir ihnen zu folgen hätten. Und schon fuhren wir mit ihnen durch den taiwanesisch begrenzten Abschnitt bis zum Südausgang, wo wir uns verabschiedeten und unsere Reise nach Hongkong fortsetzten. Die Distanz von Shanghai bis Hongkong betrug 845 Seemeilen. Bei einer Marschfahrt von 17 kn waren das 49,7 Stunden oder 2 Tage.
Je weiter wir nach Südwesten vorankamen, desto besser wurden das Wetter und auch die Stimmung an Bord. Tagsüber herrschte kein eisiger Frost mehr wie in Tsingtau. Die Sonne ließ sich auch wieder blicken, wir hatten beste Sichtverhältnisse. So machte die Seefahrt Spaß. Martin Imbusch ließ alle Schäkel und Spannschrauben fetten, die Tagelöhner an Deck und auf den Windenhäusern hatten alle Hände voll zu tun. Einige Ladeblöcke von den Bäumen wurden inspiziert, die Bolzen der Scheiben gefettet. Die Windenläufer wurden nach Abnutzungen (Fleischhaken) kontrolliert. Im Falle größerer Abnutzung wurden sie ausgewechselt und aus dem Verkehr gezogen. Bei unserer Ankunft in Hongkong musste das Ladegeschir tiptop in Ordnung sein.
Die Pilotstation lag bei der Ansteuerung auf Pok Liu Chau. Von dort aus steuerten wir 360°, bis wir Victoria Peak querab hatten und liefen in die Innenreede von Hongkong ein. Unser Ankerplatz lag auf der Westseite von New Kowloon. Dorthin wurden wir vom Harbourpilot dirigiert und gingen vor Anker. Der Hafen hatte uns wieder. In der britischen Kronkolonie lief wieder alles seinen demokratischen Gang, kein großes Aufgebot von Passkontrolle mit Gesichtskontrolle. Okay, auch hier kam die Immigrationbehörde und kontrollierte die Seefahrtbücher und die Mannschaftsliste, und auch der Zoll kontrollierte die Bestände an Freilager, aber auch nur, weil jeder einen kleinen Obolus einstecken wollte. Und anschließend kamen der Schiffsmakler, der Schiffshändler, die Hafenarbeiter. Und nach ihnen kam die Schneiderschwemme, mindestens 30 Schneider versuchten sich einen Jan Maaten an Land zu ziehen, um ihm einen maßgeschneiderten „suit“, Kakizeug, oder „shirts“ aufzuschwatzen. Und das gelang tatsächlich dem einen oder anderen. Die Konkurrenz war groß, und jeder wollte ein paar Krümel vom großen Kuchen BAYERNSTEIN absahnen. Aber wenn nichts mehr im Portemonnaie ist, dann gehen die Brüder mit Nadel und Schere auch leer aus. Auch die Souvenirverkäufer kamen mit uns nicht ins Geschäft und verließen das Schiff schon nach wenigen Stunden. In Hongkong blieben wir zum Laden nur zwei Tage. Ich glaube ein Großteil der Ladung kam aus der Volksrepublik China. Ich habe in Erinnerung, dass wir in Hongkong auch eine Partie Entenfedern in Ballen in mehreren Zwischendecks geladen hatten.
Nachdem wir unsere Ladeprozedur abgeschlossen hatten, hieß es wieder „Tschüß Hongkong, bis zum nächsten Mal!“ „Klar vorn auf der Back, Hiev Anker, Maschine Langsam voraus!“ Querab von Pok Liu Chau ging der Harbour Pilot von Bord. And off we went.
Hongkong, das Pachtgebiet der britischen Krone mit den beiden größten vorgelagerten Inseln Hongkong Island und Leng Tao Island.
Die Hauptstadt war Victoria auf Hongkong Island.
Quelle : Google Earth 2008
Unser nächster Zielhafen war Singapore. Und laut Reed’s Marine Distance Tables betrug die Distanz 1.460 Seemeilen (siehe Seite 188). Bei unserer Marschfahrt von 17 kn wären das 85,9 Stunden, bzw. 3 Tage und 14 Stunden. Doch vorher sollten wir noch bunkern. Offenbar hatten die Bunkerexperten des NDL herausgefunden, dass die preisgünstigste Bunkerstation in Miri, also in Sarawak in Ostmalaysia auf der Insel Borneo, lag.
Читать дальше