In diesem Kapitel möchte ich auf eine Form der Achtsamkeit eingehen, die es täglich zu trainieren gilt. Die Grundlage hierfür gibt ein überarbeiteter Fragebogen von Steven Hayes und Frank Bond:
Unheilsame Gedanken
bemerken und gegensteuern
Kontrolle von Gedanken und Gefühlen
Zur kenntlichen Darstellung habe ich vor die negativen Gedanken ein 'n' gesetzt und vor den positiven Gegengedanken ein 'p'.
n) Ich muss meine Gedanken und Gefühle im Griff haben, um im Leben erfolgreich zu sein.
p) Es ist für mich nicht nötig, meine Gefühle zu kontrollieren, um im Leben erfolgreich zu sein.
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n) Angst ist etwas Schlechtes.
p) Angst ist weder gut noch schlecht. Es ist nur ein unangenehmes Gefühl.
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n) Negative Gedanken und Gefühle sind schädlich, wenn ich sie nicht kontrolliere oder loswerde.
p) Negative Gedanken und Gefühle sind nicht schädlich, auch wenn sie sich unangenehm anfühlen.
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n) Ich habe vor einigen meiner starken Gefühlen Angst.
p) Ich habe keine Angst vor Gefühlen, ganz gleich, wie stark sie sind.
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n) Um etwas Wichtiges zu tun, muss ich Zweifel loswerden.
p) Ich kann etwas Wichtiges tun, auch wenn ich Zweifel habe.
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n) Wenn negative Gedanken und Gefühle auftauchen ist es wichtig, diese so rasch als möglich in den Griff zu bekommen oder loszuwerden.
p) Der Versuch, negative Gedanken und Gefühle in den Griff zu bekommen oder sie loszuwerden, führt oft zu Problemen. Wenn ich ihnen einfach gestatte da zu sein, dann werden sie sich ganz natürlicherweise ändern.
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n) Die beste Methode, mit negativen Gedanken und Gefühlen umzugehen, ist zu verstehen, woher sie kommen; danach kann ich dieses Wissen benützen, um sie loszuwerden.
p) Die beste Methode, mit negativen Gedanken und Gefühlen umzugehen, ist sie zur Kenntnis zu nehmen und sie sein zu lassen, ohne sie verstehen oder beurteilen zu müssen.
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Wer nie scheitert,
entwickelt sich nicht
und kann auch nicht glücklich werden,
denn ihm fehlt die Erfahrung
der eigenen Stärke.
(Martin Seligman, Psychologe)
4 Darf ich mal was fragen?
Dieser einleitenden Fragestellung begegne ich seit meinem Eintritt in einige Borderline-Gruppen auf Facebook über den Messenger des Öfteren. Darunter befand sich ein junger Mann. Er selbst ist nicht von Borderline betroffen, jedoch liebt er eine Frau mit diesem Syndrom.
Die Fragen, die er mir stellte, waren so offen und ehrlich, dass ich mit ihm in Kontakt blieb. Der Ursprung unseres 'Kennenlernens' war ein Post, in dem es um die Beziehung zwischen einem 'Gesunden' und einer 'Borderlinerin' ging. In vielen Kommentaren wurde ihm von einer solchen Beziehung abgeraten.
'Lass es, die macht dich kaputt'
'Mit einem Borderliner kann man keine Beziehung haben.'
'Die sind beziehungsunfähig.'
Du lieber Himmel. Man bedenke an dieser Stelle, dass das Aussagen von Borderlinern ist! Es war die Wahrnehmung von sich selbst, über die sie da schrieben. Die Wertung bzw. in diesem Falle die Abwertung hat mich schon sehr erschreckt. Also sind wir wieder einmal an dem Punkt: Borderliner sind so. Basta!
Aber Hallo, wie sehr haben sich diese Menschen denn ihrer Störung ergeben. Sicherlich ist es ein einfacher und unbeschwerlicher auf der einen, aber auch ein schrecklich emotionaler Weg auf der anderen Seite. Zu sagen: das ist bei mir eben so, klingt leicht, doch ist die Konsequenz daraus fürchterliches Leid für den Betroffenen selbst. Mich hinzustellen und zu sagen, dass ich nichts an diesem Zustand ändern kann bedeutet doch im Klartext, dass ich – statt an mir zu arbeiten – bereit bin, meine eigenen Qualen zu erdulden.
Doch ich sage: 
Aufgeben und Hinnehmen ist doch keine Option!
Ich möchte aber zunächst auf diesen jungen Mann zurückkommen. Nennen wir ihn der Einfachheit halber 'G' (wie Gesund).
Dachte ich zunächst, es würde bei ein zwei Nachrichten/Fragen bleiben, so merkte ich nach kurzer Zeit, dass da jemand wirklich Interesse hat. Seine Fragen waren teilweise eine Herausforderung für mich, da er nicht einfach nur eine Antwort erhalten wollte, um zur nächsten Frage zu gelangen – like an Interview. Nein. Er wollte wirklich begreifen, was ich ihm schrieb.
Ich hatte zunächst meine Zweifel, da er ein sehr junger Mensch und von dieser so schweren psychischen Erkrankung ja nicht selbst betroffen ist.
Seine Fragen waren an manchen Stellen sehr naiv und dann wieder so voller Interesse und Wissbegier, dass ich nicht umhinkam und es auch nicht übers Herz brachte, nicht mehr zu antworten und den Kontakt abzubrechen. Ich möchte anmerken, dass wir des Öfteren zu nachtschlafender Zeit über einen längeren Zeitraum geschrieben haben. Ja, ja... ich höre an dieser Stelle so manche Gedanken: die schreibt nachts mit dem? Bei der tickts vielleicht nicht ganz richtig. Doch, doch – bei mir ist schon noch alles in Ordnung. Nur scheine ich nachts meine kreativste Zeit zum Schreiben zu haben. Da flitzen die Finger nur so über die Tastatur ;) und tagsüber bin ich nur in seltenen Fällen auf Facebook unterwegs. Auch war es für mich eine Erleichterung, dass ich mit meinem Mann darüber sprechen konnte, warum ich mit diesem Fremden so intensiv schrieb, denn er verstand und akzeptierte, dass dies Teil meiner Recherchearbeit war.
Bei meinen Antwortversuchen ermahnte ich ihn bei aller Liebe zu dieser Frau, die eigene Achtsamkeit nicht allzu sehr in den Schatten ihrer Erkrankung zu stellen. Denn alsbald wurde mir klar, dass die Folge dieser Fragen und meiner Antworten sein würde, dass er nicht mehr in all seiner Natürlichkeit, seinem jungen Denken und seiner Spontanität mit ihr umgehen würde.
Da die inhaltliche Umsetzung teilweise etwas schwierig ist, habe ich für mich die Interview-Form gewählt, um einen Einblick in die Art der Fragen und meiner Antworten zu geben. Ich möchte an dieser Stelle aber unbedingt anmerken, dass ich keine Namen nennen werde und Rückschlüsse auf die beiden Personen nicht hergeleitet werden können. Es geht hier auch nicht um den Menschen als solches, sondern um die Fragen eines gesunden Menschen an eine Borderlinerin.
Ich möchte einleitend noch erwähnen, dass ich die Konversationen stark zusammengefasst habe, da er doch recht oft und viel geschrieben hat.
G: Hallo, danke für deine Kommentare. Ich beschäftige mich seit fast 2 Monaten mit dem Thema und lese gerade ein Buch 'Verlass mich nicht, ich hasse dich – die schwarz-weiße Welt der Borderliner'. Ich arbeite jeden Tag daran – 2 Stunden. Am Anfang ist es schwer das Ganze zu verstehen. Jetzt im Nachhinein wird es ein bisschen besser vom Verständnis her. Ich habe keinen Grund sie unter Druck zu setzen, sie zu verlassen oder sonstiges, nein. Wir haben uns jetzt auf Freundschaft geeinigt auch wenn es selbst für mich schwer ist, da ich mich zusammenreißen muss, wenn ich bei ihr bin. Ich denke durch die Zeit als Freunde lernt man sich besser kennen. Sie merkt, dass ich Verständnis aufbringe. Im Moment fällt es mir schwer, aber ich arbeite daran und arbeite am Thema intensiv.
I: Das freut mich. Gib dir und ihr eine Chance. Ich möchte auch ehrlich sein. Es ist schwer, mit einem Borderliner zusammen zu sein, aber wenn du dich auf sie einlässt und sie nicht drängst, kann das eine wundervolle Freundschaft werden.
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