Bei der Marianne ist das selbstverständlich ganz was anderes. Sie leidet fallweise unter der Miloni-Depression, die immer dann bei ihr auftritt, wenn ihre Gedanken einen Spaziergang durch das Vergangene wagen. Ich bin nahezu überzeugt, das wäre einer der Punkte, die man erkennen und wo man mit einer frisch aus der Reinigung kommenden Therapie den Hebel auf Turbo verschieben sollte.
Unsere gemeinsame Freundin Doktor Anita Reisenhübner ist nicht nur eine hervorragende freischaffende Journalistin und teilverantwortlich auch für die Bezirkszeitung, sie hatte sogar in den jungen Jahren einmal Pädagogik und Psychologie studiert. Danach hatte sie ihre Fähigkeiten als Lehrerin im Gymnasium in Mittersill unter Beweis gestellt. Und wie! Während unseres Gespräches hatte sie alleine die zündende Idee entwickelt, wie man der Marianne helfen wird können.
Ein klein wenig abgelenkt durch Mariannes Neuaufnahme in unserem Freundinnenkreis war ich schon. Das gebe ich freimütig zu. Ursprünglich hatte ich ja vor, mit meinem einigermaßen hochintelligenten, mühsamst eingeübten Vorrat von schöpferisch Wertvollen am Tratsch-Markt hier am Caféhaustisch aufzuwarten. Schöpferisch deshalb, weil ich selbst eine Methode entwickeln konnte, wie man Kaspressknödln aus einem Topf mit Suppe ohne das Tischtuch mit Fettflecken zu verunzieren, in das tiefe Teller schöpft.
Das ging erst, als jede und jeder vom Walter Winkelmeier mit Kaffee und Topfentorte sowie mit zwei oder drei Pizzas, versorgt gewesen waren. In dieser ruhigen Phase, denn beim Essen spricht man ja nicht, das haben wir alle schon sehr früh im Leben gelernt, da brach ich eines der zwölf Gebote des Schweigens. Und niemand hörte mir zu!
Da bin ich vollkommen bei Dir. Man kann sich in so einem verbal gelenkten Kunstwerk der Sinne nicht sofort zurechtfinden. Mir gelänge es ebenso nicht, wenn ich nicht vor Jahren einen Kurs besucht hätte. Eigentlich wäre es ein Seminar für Schweigsame gewesen. Leider nahmen zu viele Frauen daran teil. Kaum eine von ihnen war, im Gegensatz zu mir, für ein langanhaltendes Schweigen, so knapp unter fünf Minuten, durchtrainiert.
Du wirst es mir nicht glauben, wenn ich Dir gleich verkünden werde, wer von den ganz Großen von Politik und Kultur an diesem Schweigeseminar teilgenommen hatte. Im Nachhinein war mir auch klar geworden, warum es vor Jahren einen Schweigekanzler bei uns in der Regierung gegeben hatte. Dieser Mann kommt angeblich jedes Jahr immer noch zu derartigen Exerzitien ins Haus der Unbarmherzigen. So eine Beinahedressur dauert ziemlich genau eine Woche. Danach hast Du bei gutem Wind und Regenwetter das Schweigen erlernt. Nur Freundschaften, was ich darunter verstehe, kann man in so einer Anstalt für Redefaule nicht knüpfen. Das wäre vergebliche Liebesmüh.
Du hast schon recht. In Wahrheit gibt es nur elf Gebote. Doch das Zwölfte wurde von Verfassungsexperten hinzugedichtet und soll quasi nur einen Versuch einfangen. Jenen Versuch nämlich, schweigen zu wollen und dem Nichtgelingen Fußfesseln anlegen zu dürfen. Dieses zwölfte Gebot wurde uns in dem Seminar von einigen weltabgewandten Klosterinsassen derart auf brutale Weise eingetrichtert, sodass einem die Lust und die Luft zum Reden schlussendlich vergangen sind.
Ich weiß auch nicht, welcher Teufl mich geritten hatte, so ein Seminar zu besuchen, wo ich doch ein leut- und redseliger Typ bin. Ich mache immer noch gerne meinen Schnabel auf, auch wenn nichts Gescheites dabei rauskommt.
Zugegeben, die Billa-Reisen-Angebote waren einst ein Schnäppchen gewesen. Den seinerzeit gewonnenen geistigen Wertzuwachs habe ich längst in das Regal der schweigsamen Vergangenheit eingeordnet.
Und das war´s. Weil ich bin ja nicht zum Kaffeetratsch gekommen, nur um so dazusitzen und zu schweigen. Nein! Ich hatte ja Grund zum Feiern. Keinen Nichtgeburtstag. Schon etwas Anständiges. Nicht einmal Dir habe ich es erzählt, obwohl ich Dich nie von Neuigkeiten ausschließen würde. Schon gar nicht bei einer epochalen Entscheidung.
Auch für meine Freundinnen wird es eine Überraschung werden, darauf kannst Du einen Schluck aus meinem Kaffee riskieren.
Also pass obacht! Anfangs Mai ist es gewesen. Schuld war wieder einmal so ein Werbeprospekt und der neue Busfahrplan. Na ja, ich wollte mobiler werden. Jedenfalls für ultrakurze Strecken, wie zum Beispiel in unserem zirka fünfhundert Meter weit entfernt gelegenen dorfeigenen Supermarkt.
Immer mit dem Bus oder mit der Bahn fahren geht schon aus organisatorischen Gründen nicht. Zum einen gibt es für den Bus in der Nähe meiner Wohnung gar keine Haltestelle nicht und Schienen, die für den Eisenbahnbetrieb unumgänglich sein sollen, schon gar nicht.
Dann kam eines Tages eben ein Werbeprospekt. Günstig. Das Wort stand ganz groß vorne drauf! Alles, was auf dem doppelseitigen Plakat abgedruckt gewesen war, war um fünfzig Prozent verbilligt. Schuhe, Socken, Jacken, Mützen und Fahrräder. Toll! Schuhe, Socken, Jacken oder Mützen wollte ich nicht. Aber ein Fahrrad schon. Das Elektrische auf dem Plakat sollte es sein. Das hat mir auf Anhieb gefallen. Als besonders Zuckerl wurde die Zustellung frei Haus angepriesen!
Ich bestellte mir also das supermoderne E-Bike mit zwölf Gängen, zwei Notbremsen und einer Klingel. Was sage ich! Obendrein als Geschenk gab es noch eine Batterie samt Ladekabeln, speziell isolierte Handgriffe in Rot oder Schwarz sowie eine Fahranleitung in zwölf Sprachen. Das alles zusammen zum einmaligen Sonderpreis von zweitausendeinhundertneunundfünfzig Euro.
Na ja, jetzt solltest Du Dir bitte einmal mit Deiner inneren Ruhe das Gesicht von der Margot vorstellen, als ich ihr von dem einmaligen Schnäppchen berichtet habe. Ich spare sage und schreibe bei dem Kauf von dem E-Bike zweitausendeinhundertneunundfünfzig Euro. Bitte, wenn das kein Schnäppchen sein soll, was dann. Wenn ich zum Beispiel nur eine Doppelpackung Socken um acht Euro sechsundzwanzig Cent gekauft hätte, wäre der Gewinn viel geringer gewesen. So habe ich, davon war ich anfangs auch fest überzeugt, das Geschäft meines Lebens gemacht.
Die Margot war ja gar nicht neidisch, als sie meinen tollen weißen fahrbaren Untersatz mit den roten Zierstreifen und einem extra breiten Sattel für meinen - na Du weißt schon für was - aus der Nähe betrachten durfte. Ich habe mir extra rote Isoliergriffe ausgesucht. Geliefert wurden mir aber Schwarze. Egal.
Margot meinte, dass sie schon längere Zeit von einem E-Bike träume. Aber die Bestellfrist auf dem Werbepapier war leider bereits abgelaufen.
Margot hatte beim Anblick meines wunderschönen Fahrrades, wie man so schön sagt, Feuer gefangen. Nichtsdestotrotz fuhr sie gleich am nächsten Tag mit ihrem Auto nach Schüttdorf. Bei dem dort ansässigen hochkatholischen Fahrradhändler kaufte sie, rein zufällig, verstehst Du, akkurat dasselbe Modell, wie ich es schon bei mir im Fahrradraum stehen hatte. Bloß in den Farben Gelb und Grau. Allerdings um einen völlig anderen Preis. Der Händler gewährte ihr nämlich einen Sonderrabatt von nur zwanzig Prozent. Dies deshalb, weil es ein Vorjahresmodell gewesen war. Sie bezahlte bar.
Eigentlich war der Handel das Niederträchtigste an der Geschichte. Denn die Gesamtsumme bei ihrer Rechnung betrug nur tausendsechshundertneunundzwanzig Euro. Und ein Betrug war es obendrein. Die Batterie samt Ladekabel war auch dabei.
Gekauft ist gekauft! Was soll´s. Der nette Zusteller hat sich für mich Zeit genommen und hat mich obendrein mit dem vorne am Lenker montierten riesigen Display vertraut gemacht. Wochen später hatte ich fast alles wieder vergessen gehabt.
Margot und ich wollten eigentlich gemeinsame Radausflüge unternehmen, was leider wegen Terminprobleme beiderseits nicht möglich gewesen war. Bitteschön, das war eine hilfreiche Ausrede.
Doch hier im Caféhaus hatte ich großspurig verkündet, dass ich mit meinem Elektro-Fahrrad bereits die einhundert Kilometer Grenze geringfügig - aber doch - überschritten habe. Hochgerechnet dürfte ich sozusagen mindestens fünfzigmal von der Wohnung zum Einkaufen und zurück geradelt sein. Das ist in meinen Augen zumindest ein Erfolg.
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