Er wollte so schnell wie möglich von dem Wintersportgerät herunter das Tempo bergab mochte jetzt gut 80 KmH sein. Plötzlich gerieten die Kufen auf eine feste, Schneedecke. Der Motorschlitten machte einen Satz nach vorn und fing sich wieder. Lien hielt sich fest und schaffte es im letzten Augenblick, nicht hinter Lady Athena vorzeitig Abschied zu nehmen, dazu bezahlte sie zu gut. Viel konnte er nicht sehen, denn Lady Athenas Schultern nahmen ihm jede Sicht. Er musste sich allein auf ihre Steuerkünste verlassen. In Lien stieg der Verdacht auf, dass Athenas Fertigkeiten im Steuern eines Motorschlittens nicht besonders groß waren. Der Motorschlitten schlingerte, beschrieb abenteuerliche Kurven und raste dann auf einen Steilhang zu, der mit der erlaubten Strecke überhaupt nichts mehr zu tun hatte. Trotz der kalten Luft bildeten sich Schweißperlen auf Liens Stirn. Die Lady schien vor ihm einen Herzinfarkt erlegen zu sein, sie musste tot über dem Lenker zusammengebrochen sein, sonst würde sie nicht auf den kleinen Wald zu schlingern. Dann legte der Motorschlitten sich auf die linke Seite, passierte Bäume und Strauchwerk und schoss über einen Steilhang hinunter zum Ufer eines kleinen Waldsees, wo sich eine Allee befand. Dicht nebeneinander standen hier die Schneeskulpturen und warteten darauf, von der angewobenen B-Prominenz beurteilt zu werden. Plötzlich stieß Lady Churchill einen Schrei aus und visierte ungewollt einen dieser Schneemänner an. Lien schloss ergeben die Augen und wartete auf den Tod, der in seiner Vorstellung ein weißer Drache sein würde.
»Mann, das darf doch nicht wahr sein«, rief der Fette dreißigjährige Mann in einem modischen orangefarbenen Skidress. Er sprang auf und beugte sich weit über die Brüstung der kleinen hölzernen Veranda. Er schaute durch sein Fernglas zum See hinunter.
Was liegt an, George?«, erkundigte sich ein zweiter Mann, der in einem Liegestuhl auf der Veranda lag und sich sonnte. Er war fünfundvierzig Jahre alt, schlank und durchtrainiert. Er trug einen Armani-Anzug und sah darin aus wie ein Aasfresser.
»Da hat gerade einer unseren Schneemann gerammt! Ist denn das zu fassen. Ausgerechnet unseren!« Georges Aufregung steigerte sich noch. Sein rotes rundes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.
»Was?« Der Mann sprang aus dem Liegestuhl und riss George das Fernglas aus den Händen. Er presste die Lippen fest aufeinander.
»Wir müssen sofort 'runter, Albert«, schrie George.
»Frisst du die scheiß Sonnencreme, oder schmierst du dir das ins Hirn?«, fragte Albert und setzte das Glas auf dem Verandageländer ab. »Wir dürfen uns, da unten nicht blicken lassen, George.«
»Nur ein Zufall? Was machen wir jetzt?«
»Lass mich nachdenken. Die beiden Idioten werden bestimmt die Bullen anrufen.«
»Verdammte Senioren!« George zündete sich einen Joint an. »Wenn du das Skimobil nimmst, bist du in ein paar Minuten unten.«
»Wir haben Befehl, uns nicht wegzurühren.« Albert blieb bei seinen Bedenken.
»Jetzt herrscht Notstand«, meinte George bestimmt. »Ich nehme es auf meine Kappe, Albert, zisch nach unten. Sieh, was da läuft.« Der fette George nahm wieder das Fernglas hoch und beobachtete das Ufer des kleinen, Sees. Nach wenigen Sekunden nickte er seinem Partner Albert zu.
»Schwirr ab, wenn wir nichts tun, werden wir Ärger bekommen.« Er fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Kehle. »Richtige Probleme!«
»Und die Befehle, was soll ich tun?« Albert wusste es ganz sicher, doch er wollte noch die letzte Bestätigung seines Partners George abwarten.
Der Fette grinste vielsagend, sagte aber kein Wort.
»Komm mit«, forderte Albert ihn auf.
»Ich bleibe hier oben. Beeil dich, bevor die da unten verschwinden!«
Albert hatte sich entschieden. Er lief in das kleine Holzhaus, kramte dort in seinem Gepäck herum und ging dann nach draußen. Wenig später erschien er vor der fast ebenerdigen Veranda und donnerte auf Skiern hinab, zuvor nickte er George knapp zu und verschwand.
George beobachtete seinen Kumpel durch das Fernglas, wechselte dann den Blickpunkt und konzentrierte sich auf die beiden Alten. Sie waren inzwischen deutlicher zu erkennen, hatten sich den Schnee von ihrer Kleidung geklopft und sahen recht unterschiedlich aus. Eine Frau mit Mumiengesicht, die von einem Asiaten begleitet wurde. Ein komisches Paar, irgendetwas war da faul. Er grinste und war beunruhigt, was hatten die Chinesen mit der Sache zu tun und das alte Mumiengesicht kam ihm bekannt vor. Egal diese Idioten konnte für Albert nur eine Minute Arbeit bedeuten. Albert brauchte nur zu handeln. George ging in das kleine Ferienhaus zurück und langte nach dem Telefonapparat. Es wurde höchste Zeit, den Boss zu informieren. Anschließend wollte er sich dann auf den Weg machen, um Albert bei der Beseitigung zweier Leichen zu helfen. Im Schnee begraben.
Lady Athena Churchill stand zwischen den Trümmern des Motorschlittens und schaute auf die Reste des Schneeberges, den sie über den Haufen gefahren hatte. Sie war beeindruckt, dass überlebt zu haben. »Nun sagen Sie schon endlich etwas«, forderte sie ihren Sekretär auf, der die Reste des Schneegebildes mit der Spitze seines Regenschirms untersuchte. »Hatten Sie damit gerechnet?«
»Diese Frage, Misses Churchill, kann ich bejahen ich habe damit gerechnet, dass Sie mit dem Motorschlitten einen Unfall bauen, genauso wie mit dem Rollce Royce ihres Gatten. Aber eine Leiche im Schnee, nein.«
Liens Worte entsprachen den Tatsachen. Inmitten des Schneeberges lag ein Mann, der völlig Straßenkleidung trug. Er mochte vielleicht dreißig Jahre alt sein, war schlank und etwas über mittelgroß. Verletzungen ließen sich nicht übersehen, sein Hals war durchgeschnitten und sein Bauch war aufgeschlitzt, die gefrorenen Eingeweide hingen heraus und sein Kopf lag neben ihm.
»Wie lange mag die Leiche bereits im Schnee gewesen sein?«, fragte Athena nicht sonderlich schockiert. Sie war in einem teuren Internat erzogen worden, wo man niemals Gefühlsregungen zeigte. Selbst das Bombardement Londons, nahm man dort mit stoischer Ruhe auf. »Ich glaube, Mr. Lien, ich könnte jetzt einen Drink vertragen, es ist etwas zugig.«
Lien griff in die linke' Innentasche seines schwarzen Mantels und holte eine, flache Flasche hervor. Lien servierte, selbst gebrannten Kräuterschnaps, den die Lady kippte wie ein Seemann, seine Portion Rum vor dem Orkan.
»Der Mann ist natürlich ermordet worden«, stellte die Sechzigjährige dann fest. »Hätte man ihn denn sonst in einer Schneewehe vergraben und ihm die Kehle durchgeschnitten und ausgeweidet?«
»Ich kann mich Ihrer Sichtweise nur anschließen, Selbstmord scheidet wohl aus.«
»Und was machen wir jetzt weiter?« Lady Athena Churchill baute sich neben der Leiche auf und beugte sich über sie. »Wann mag der Mann umgebracht worden sein?«
»Die Kälte und sein Zustand dürfte genaue Schlüsse vorerst nicht zulassen nach dem Ausweiden kühlen Körper sehr schnell ab. Eis wirkt unfreiwillig als Konservator, was der oder die Mörder wahrscheinlich mit einkalkuliert haben. Ich denke wir sollten Scotland Yard nicht ins Handwerk pfuschen.«
»Sie sollten die Taschen des Toten untersuchen, Mr. Lien.«
»Ich möchte nicht direkt widersprechen«, erwiderte Lien. »Mylady sollten aber den Skifahrer beachten, der sich sehr schnell nähert und so etwas wie ein Gewehr bei sich führt.«
»Wo?« Sie wirkte so, als erhoffte sie sich eine Zerstreuung. Sie wandte sich um und suchte das Wäldchen oberhalb des Seeufers ab.
»Der Mann ist hinter einem Baum in Deckung gegangen.«
Auch der Sekretär ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, er verarbeitete nervenberuhigende Kräuter für seinen Schnaps, die in den meisten Ländern illegal waren.
»Wir sollten in Deckung gehen.«
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