Der Arzt schaute nur weiter aus dem Fenster und sagte, so etwas hätte er noch nie erlebt.
Und weg war ich wieder.
Als ich wieder zu mir kam, saß meine Mutter neben mir auf der Liege.
„Du liegst hier schon seit über einer Stunde. Glaubst du, du kannst aufstehen? Du kannst nach Hause …“
Ich wollte „Ja!“ sagen, schlief aber bereits bei dem Gedanken wieder ein.
Es dauerte einige Zeit, bis ich mir gedanklich vornehmen konnte hier aufzustehen.
Ich nahm mir fest vor, meiner Mutter Bescheid zu geben, sie solle mich hier rausbringen. Aber meine Zunge machte bei meinem Vorhaben noch nicht mit.
Ich versuchte die drei Worte BRING MICH RAUS über die Lippen zu bringen, aber ich nuschelte nur unverständliches Zeug.
Kurze Zeit später gelangt mir aber die Verständigung mit meiner Mutter.
„Bring mich hier bitte raus. Der Zustand wird noch länger andauern.“ Ich kannte diese Situationen nur zu gut.
„Glaubst du denn, dass du gehen kannst?“
„Nein“, sagte ich, „aber egal! Ich möchte hier weg!“
Wir versuchten, unser Vorhaben in die Tat umzusetzen. Meine Mutter richtete mich auf, und es ging mir ein kleines bisschen besser. Ich hatte das Gefühl, ich könnte es wirklich bis ins Auto schaffen.
Eine Schwester kam herein. „Ah, schön. Sie sitzen. Geht es Ihnen besser?“
„Ja“, log ich.
„Möchten Sie noch eine Schmerztablette?“
Ich hörte noch ihre Frage und war in dem Moment schon wieder weggedöst.
Glücklicherweise saß ich mehr oder weniger mit dem Rücken zu der Frau und meine Mutter schaltete blitzschnell: „Nein, danke! Es geht ihr schon deutlich besser.“
„Geben Sie uns noch eine Minute. Dann werden wir gehen.“
„Ja, gut. Dann werde ich auch Mittag machen. Der Arzt ist schon lange fort.“
Die Schwester verließ den Raum und meine Mutter rüttelte mich wach.
„Alles klar. Ich bin wach. Bloß weg hier, bevor ich wieder weg bin!“
„Deinen Humor verlierst du auch in den schwierigsten Situationen nicht, nicht wahr Krissi?“
Wir lachten beide, als wir herausgingen. Na ja, eigentlich ging nur meine Mutter. Mich schleifte sie hinter sich her. Ich konnte meine Füße nicht anheben und schlitterte in einer Art Moonwalk über das Parkett.
Die ganze Rückfahrt verbrachte ich mehr oder weniger schlafend oder ich übergab mich.
Mit der Knochenmarksprobe und der damit einhergehenden Tortur bekam ich meinen zweiten Nachschlag oder die zweite Erinnerung daran, gedanklich neue Wege einzuschlagen und in meinem Bewusstsein zu wachsen. Oder anders ausgedrückt: ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass ich selbst in der Lage bin, meine Gesundheit wiederherzustellen. Ich wurde aufgefordert, mich gedanklich neu zu orientieren und alte Glaubensmuster loszulassen.
Zu dem Zeitpunkt war ich aber einfach noch nicht so weit. Ich hielt immer noch an gelernten und verstandenen Glaubenssätzen fest und gab die Verantwortung für meine Gesundheit an einen Anderen weiter.
Ich brauchte diese „Nachschläge“. Ich brauchte diese Art von „Behandlung“, damit ich lernen konnte. Es war mein Weg zu lernen, auf mich zu vertrauen und nicht in dem Vertrauen zu verweilen, welches uns Menschen von Kindesbeinen eingeimpft wird: Wenn du gesundheitliche Probleme hast, dann hilft dir der Arzt. Niemand sonst ist dazu in der Lage.
Ich hielt ich an diesem gelernten Glaubenssatz fest. Zu dem Zeitpunkt war dieses Gedankenkonstrukt immer noch stärker als jede Realität, die ich direkt vor mir hatte.
Du merkst schon jetzt, wie stark gedankliche Muster sein können und wie blind sie den Menschen doch für das Offensichtliche machen können.
Laborbefund und Diagnose des Facharztes
Nach seinem Herbsturlaub meldete sich der Hämatologe bei mir, um mir den Laborbefund mitzuteilen – wie gewohnt gab er sich nicht besonders viel Mühe. Im Gegenteil: Dieses Telefonat war gnadenlos.
„Hallo, junge Frau. Ich habe hier den Befund vor mir liegen.“
Durchs Telefon höre ich, wie er gerade erst dabei ist, den Umschlag aufzureißen.
„So, also …“
Der Arzt war dabei zu lesen …
„Der Laborbefund Ihrer Knochenmarksprobe und die Auswertung des Blutes ergibt …“
…
„Sie haben nichts. Sie sind gesund!“
OK. Das war zu viel.
Wie kann ein Mensch mit sehr wenig Blut im Körper als gesund bezeichnet werden? Wie kann ein Arzt eine gesundheitliche Schere von A: kerngesund, und B: Leukämie errichten? Das war eindeutig zu viel des Guten! Ich war wirklich kurz davor, meine Fassung zu verlieren, wurde dann aber von dem Arzt aus meinen Gedanken gerissen.
„Oh, Verzeihung. Doch Leukämie.“
Der Arzt las den Laborbericht selbstverständlich gerade das erste Mal und nuschelte in den Hörer.
„… Vergiftung … hyperzelluläres Knochenmark … ausgeprägte Reifungsstörung … keine Blutbildung … toxische Einwirkung auf das Knochenmark …“
Ich fand dieses Gemurmel sehr unfreundlich und unterbrach seine Lektüre.
„Was bedeutet das für mich? Habe ich Leukämie?“
Es kam keine Antwort.
„Herr Doktor, sind Sie noch dran?“
„Nein.“
„Nein. Leukämie haben Sie nicht.“
„Sagen Sie mal, junge Frau, vergiften Sie sich? Nehmen Sie harte Drogen? Sind Sie süchtig?“
„NEIN!“
Ich empfand seine Frage als extrem unpassend und unmenschlich. Mehr als ein „Nein“ kam schon allein vor Schock nicht aus mir heraus. Für diesen Arzt fehlten mir echt die Worte.
„Was geschieht jetzt mit mir? Wie mache ich jetzt weiter?“
„Sie werden jetzt einfach mal Vitamin B12 einnehmen, und wir sehen uns in sechs Wochen. Lassen Sie sich einen Termin geben.“
Er hatte aufgelegt.
Dieses Spiel – B12 einnehmen. Sechs Wochen warten. Blut abnehmen – spielte der Arzt über mehrere Monate. Ohne jegliche Veränderung meines Zustands und des Blutbilds.
Chemotherapie oder Einweisung in die Psychiatrie?
Bereits nach kurzer Zeit hatte ich genug von seiner Behandlung. Weder hatte sich mein Blutbild wirklich verändert noch hatte sich mein Gesundheitszustand in irgendeiner Weise stabilisiert.
Innerlich fühlte ich, dass mir die Zeit zwischen den Händen durchrutscht und ich dringend etwas unternehmen musste, wenn ich wieder gesund werden wollte.
Bei einem der typischen sechswöchigen Termine konfrontierte ich den Arzt damit, dass es meiner Meinung nach so nicht weitergehen könne. Und, dass ich das Gefühl hatte, hier auf der Stelle zu stehen. Für den Arzt glich meine Aussage einer Hoheitsbeleidigung. Er wurde merklich unhöflich und offenbarte mir, auf mein „Gedrängel“ hin, seinen Lösungsvorschlag: Eine Chemotherapie. Diese würde meinen Zustand schon wieder „geradebiegen“.
Obwohl ich erst einmal nichts dazu erwiderte, spürte der Arzt meine Fassungslosigkeit, meine Enttäuschung und mein absolutes Misstrauen.
Er machte mir daraufhin klar, dass, wenn ich das nicht wolle, ja noch die Möglichkeit bestünde, mich in eine psychiatrische Einrichtung einzuliefern. Diese würde sich auch mit der „Linderung“ meiner organischen Beschwerden befasse.
Daraufhin sprachen wir noch kurz miteinander, und wir beide bemühten uns, unsere Freundlichkeit nicht zu verlieren. Dennoch wussten wir beide, dass wir unterschiedlicherer Meinung kaum sein konnten.
In diesem Gespräch fasste ich den Entschluss, diese Praxis und den Arzt hinter mir zu lassen und mir selbst die Wiederherstellung meiner Gesundheit zuzutrauen. Ich begann damit, genau das zu tun, was ich instinktiv immer schon von den Ärzten erwartet habe – ich begann nach der Ursache für meinen kranken Körper zu suchen.
MEINE SUCHE NACH GESUNDHEIT: Ich habe Antworten gesucht und gefunden
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Um die Ursache für meinen Zustand zu finden, musste ich erst einmal herausfinden, wonach ich überhaupt suchen sollte.
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