„Bingo!“, rief Herr Frankenberg laut aus. „Ihre Bemühung, heute hier zu erscheinen, war also umsonst. Ich habe, so wie der Zufall will, ihre Kündigung bereits aufgesetzt und ausgedruckt. Hier haben Sie sie. Ich wünsche Ihnen noch alles Gute, Frau Normandell.“ Mit diesen Worten hielt er Lavinia die Kündigung entgegen, die sie nahm und er belustigt von dannen schritt.
Lavinia seufzte. Sie hatte es ja geahnt …
„Hey Lavinia, wie geht´s?“ Lavinia drehte sich um. Ihr bester Freund Karl Eixner kam auf sie zu und Lavinia lächelte. Er war einer der Anwälte des Hauses und der Einzige, der auf Lavinias Seite stand. Karl blieb vor ihr stehen und erkannte an Lavinias Gesichtsausdruck, dass etwas nicht stimmte.
„Mir wurde gerade gekündigt“, erriet Lavinia Karls Frage. Dieser sah sie erstaunt an. „Gekündigt? Aus welchem Grund denn? Du warst doch immer so gut!“
Lavinia besah sich die Kündigung genau und entgegnete: „Ich komme immer zu spät.“
Karl sah sie verwirrt an. „Was war denn der Grund für deine Verspätungen? Die Bahn?“
Lavinia nickte. „Jepp.“
Karl blickte sie mitleidig an. „Ach Mensch, das ist wirklich schlimm. Was willst du denn jetzt machen? Wenn du nicht mehr hier arbeitest, werde ich dich sehr vermissen. Du warst die Einzige, die wusste, wie ich meinen Kaffee haben will und die vernünftig Dokumente kopieren und einscannen kann.“ Geknickt stand er vor ihr.
„Du tust ja gerade so, als hätte man dir gekündigt und nicht mir“, sagte Lavinia und grinste. Karl grinste nun auch. „Du tust mir einfach leid, Lavinia. Das ist alles. Und ich werde dich vermissen.“
Lavinia nickte. „Ja, ich dich auch. Aber ich habe bereits heute Morgen Pläne für mein weiteres Leben gemacht.“
Karl sah sie erwartungsvoll an. „Die da wären?“
Lavinia sah ihm in die Augen. „Ich gehe auf Spurensuche nach meiner Vergangenheit. Du weißt ich bin Waise. Ich will herausfinden, woher ich komme, wer meine Familie war.“
Karl lachte. „Ja, das klingt wirklich interessant! Aber vielleicht brauchst du hierfür ja juristische Unterstützung? Soll ich mitkommen?“
Lavinia sah ihn verwirrt an. „Wie meinst du das? Du bist doch hier gebunden und musst arbeiten.“ Karl zwinkerte ihr zu. „Theoretisch ja. Aber ich habe Urlaub bekommen. Zuerst nur zwei Wochen. Ich weiß nicht, wie lange deine Spurensuche dauern wird. Ansonsten muss ich mir etwas anderes überlegen, damit ich ebenso auf längere Abenteuerreise gehen kann.“
Lavinia lachte. „Du willst mich also wirklich begleiten? Ich weiß nur nicht, wohin es gehen wird. Ich habe überhaupt keinen Anhaltspunkt.“
Karl zuckte die Achseln. „Das macht mir nichts. Ich komme nach der Arbeit zu dir, dann können wir Weiteres besprechen.“
* * *
Am frühen Abend, als Lavinia in ihrer Wohnung gemütlich auf ihrem Sofa saß und sich in ihre flauschige Decke vor dem Fernseher kuschelte, klingelte es plötzlich an der Türe. Das muss Karl sein, dachte sich Lavinia und als sie ihn durch den Spion erkannte, öffnete sie lächelnd die Wohnungstüre.
„Wie kamst du denn ins Gebäude?“, fragte Lavinia. Karl grinste.
„Dein alter Nachbar hat mir die Türe aufgehalten, da er vor mir reinkam.“
Lavinia nickte. „Schön. Komm rein und mach es dir gemütlich.“
Karl trat ein und kam ins Wohnzimmer, wo er die kuschlige Ecke entdeckte, die sich Lavinia vor dem Fernseher gebaut hatte. „Oh, wie ich sehe, wolltest du es dir gerade schön gemütlich machen. Darf ich mich dazu gesellen?“ Karl sah Lavinia belustigt an und diese zuckte die Achseln. „Wenn du willst. Eigentlich war das Gemütliche und Kuschlige nur für mich gedacht, aber tu was du nicht lassen kannst.“ Sie sah ihn herausfordernd an.
Karl lachte. „Wir könnten uns ja gemeinsam unter diese Decke kuscheln und es uns gemütlich machen.“
Lavinia lachte nun auch. „Na ich weiß nicht, ob man sowas mit seinem besten Freund tut oder tun sollte. Es kommt mir etwas zu viel vor.“
Karl tat beleidigt. „Och Livi, sei keine Spielverderberin. Freundschaftliches Kuscheln ist wohl nichts zu nahes, oder?“
Lavinia dachte nach. „Keine Ahnung. Für mich wäre es zu viel. Aber wollen wir jetzt diskutieren oder willst du dich hinsetzen und mit mir überlegen, wie ich meine Ahnenforschung beginnen soll?“
Karl hob beschwichtigend beide Arme und setzte sich aufs Sofa, wo er die Kuscheldecke beiseitelegte. Er räusperte sich.
„Hast du denn inzwischen einen Anhaltspunkt gefunden oder willst du meine Idee hören?“
Lavinia setzte sich nun neben ihn aufs Sofa und zog die Kuscheldecke über ihren Oberkörper. „Lass hören. Ich habe nämlich gar keine Ahnung!“ Erwartungsvoll sah sie ihn an. Dieser genoss diese kindlische Haltung an Lavinia, die sie gelegentlich an den Tag legte, wenn sie sich über etwas freute oder wenn sie so gespannt auf etwas war, dass sie es kaum noch erwarten konnte. „Nun“, begann Karl mit quälender Spannung, „mir kam in den Kopf, dass du ja Waise bist. In einem Heim aufgezogen worden. Wäre es da nicht naheliegender, dass man zunächst dort als Erstes beginnt, um auf Spurensuche zu gehen?“ Er sah Lavinia an, die überrascht die Augenbrauen hob.
„Und deswegen bist du Anwalt geworden und nicht ich, Karl! Deine Kombinationsgabe ist bemerkenswert! Besser noch, du wärst Detektiv geworden!“ Lavinia lachte und Karl grinste breit. „Oh danke dir.“
„Aber … es gibt da ein Problem mit deiner Idee, Karl.“
Karl sah sie nun ernst an. „Welches Problem?“
Lavinia schluckte. „Ich möchte dort nie wieder hin. Die alte Schnepfe hat mir das Leben zur Hölle gemacht im Heim. Sie ist eine Hexe. Was würde geschehen, wenn ich dort wieder hin ginge?“
Traurig sah sie Karl an. Dieser seufzte. „Nun ja, du musst entscheiden, wie wichtig dir diese Ahnenforschung ist. Wenn sie dir nichts bedeutet, dann bleib zu Hause und such´ dir eine neue Arbeit. Bedeutet sie dir jedoch alles, weil du sonst in einem Nichts lebst, dann musst du wohl oder übel dieses Opfer bringen.“
Lavinia stöhnte. „Och menno.“
Karl lachte leise. „Ich komme doch mit auf deine Spurensuche, Livi. Du wärst nicht alleine. Warum sich also Sorgen machen? Außerdem bin ich Anwalt, die wird sich hüten, dir etwas anzutun.“
Lavinia nickte. „Ja, hast ja Recht.“
„Außerdem ist morgen Samstag. Vielleicht ist sie dann etwas entspannter, wenn wir mit ihr reden.“ Karl sah sie aufmunternd an.
Lavinia sah nachdenklich drein. „Wir wollen schon morgen dorthin fahren?“
Karl sah sie verwirrt an. „Ja, wieso nicht? Worauf warten?“
Lavinia seufzte. „Weil ich nicht weiß, wo dieses Heim ist. Ich kenne den Ort nicht, habe mir den Namen nie merken können. Das müssten wir als Allererstes herausfinden.“
Karl hob die Augenbrauen. „Puh, na schön. Das wird langwieriger als ich dachte. Und du hast null Ahnung, wo es in etwa stehen könnte?“
„Hmm. Ich kann mich kaum erinnern. Es ist schon so lange her, als ich von dort in einer Nacht- und Nebelaktion geflohen bin.“
Karl nickte. Beide saßen sie nun da und überlegten.
„Aber“, fing Karl plötzlich an und Lavinia horchte auf, „kann man nicht herausfinden, in welchem Heim diese alte Hexe arbeitet, von der du gesprochen hast? Vielleicht findet sich im Internet oder in Stadtarchiven etwas über sie.“
Lavinia sah wieder enttäuscht aus. „Ich kenne ihren Namen nicht. Sie hieß bei allen nur die alte Hexe. Oder in meinem Fall Schnepfe. Wie soll man da etwas Vernünftiges herausfinden können?“
„Naja, aber vielleicht gibt es irgendwo im Internet zum Beispiel Einträge von Ehemaligen, die über diese Hexe herziehen und demnach Anhaltspunkte, wo sich dieses Heim befindet. Ein Versuch wäre es wert.“
Читать дальше