Das lehrreichste Beispiel, das mir je untergekommen ist, will ich gleich mitteilen. Eine Dame sagte mir: Träume sind Unsinn. Es ist schon das vierte Mal, dass ich folgenden lächerlichen Traum geträumt habe:
(27.) „Eine kleine, alte, hässliche Frau läuft mir um den Tisch herum nach; ich habe Angst und wache mit Schrecken auf.“
Die Deutung war sehr einfach. Übersetzen wir die kleine, alte, hässliche Frau in das Gegenteil, so ein großer, junger, schöner Mann um den Tisch herum nachgelaufen ist, ein Vorgang, der natürlich einen Wunsch dieser üppigen mit einem sehr schwachen, zarten Manne verheirateten Dame darstellt, einen Wunsch, der durch Verdrängung zu Angst geworden ist. Die Fortsetzung des Traumes fällt der Dame erst nach meiner Deutung ein und gibt uns eine Bestätigung unserer Erklärung. Die bewusste alte Frau des Traumes reißt der Dame die Bluse auf und will ihr die Hand zwischen den Busen hineinstecken, ein Vorgang, der für die alte Frau vollends unverständlich, für den jungen Mann in dieser Situation, die eine Vergewaltigungsphantasie darstellt, begreiflich ist. Andererseits können wir auch annehmen, dass der Vorgang als solcher auch umgekehrt ist, dass sie mit dem Wunsche kämpft, einem großen Manne nachzulaufen; freilich wäre da das Ende unerklärlich. Wozu sollte sie denn dem großen Manne die Weste öffnen. Da lernen wir wieder ein Phänomen des Traumes kennen, welches „Verlegung von unten nach oben“ heißt. In vielen Träumen spielt sich alles, was sich unten abspielen soll, oben ab und auch umgekehrt. Das ist eine außerordentlich häufige Form der Traumentstellung, ein Vorgang übrigens, der auch in der Symptomatologie der Neurosen eine große Rolle spielt. Wenden wir das Prinzip von unten nach oben an, so ergibt sich der Wunsch, aggressiv vorzugehen und dem Traumobjekte die Hosentür zu öffnen. Beide Deutungen, die aggressive und die defensive, vereinigen sich sehr gut miteinander; denn es gibt keinen Sadisten, der nicht zugleich Masochist, keinen Exhibitionisten, der nicht zugleich Voyeur wäre. „Alle Triebe treten in Triebpaaren auf (Alfred Adler, Der Aggressionstrieb im Leben und in der Neurose. („Fortschritte der Medizin“, 1908. Nr. 19). Die treibende Kraft stammt bei Gesunden, Perversen und Neurotikern aus zwei, ursprünglich gesonderten Trieben, die später eine Verschränkung erfahren haben, der zufolge das sadistisch-masochistische Ergebnis zwei Trieben zugleich entspricht, dem Sexualtrieb und dem Aggressionstrieb.“) So bestätigt auch die Natur das Gesetz der Gegensätzlichkeit. Der Traum muss auch in der positiven Form einen Sinn haben. Sie fürchtet die Mutter! Sie hat homosexuelle Neigungen und wünscht den Griff, der übrigens eine Frage nach ihrer Mutterschaft bedeutet.
Denn sie ist steril. Sie wird niemals Milch in der Brust haben. Und nun kommen wir zur wichtigsten Bedeutung. Sie will wieder bei der Mutter sein und an der Brust der Amme liegen. Der Griff nach dem Busen ist der erste lustbetonte Griff der Jugend.
So spielt dieser Traum alle Kunststücke. Noch mehr! Die alte Frau, die ihr ans Herz greift, ist der Tod. Eine uralte Symbolik. Jede Angst ist auch Todesangst. Eigentlich auf Umwegen immer Todesangst.
So spielen hier Sehnsucht zu leben und Angst zu sterben, die Angst zu leben (sich auszuleben) und der Wunsch zu sterben ineinander.
Übrigens ist diese Form der Traumentstellung geradezu sprachlich begründet.
Sprachforscher haben darauf hingewiesen, dass in der Ursprache viele Worte einen Doppelsinn hatten, indem sie sowohl die eine Bedeutung als die gegenteilige Bedeutung ausdrücken konnten.
Dieser Umstand ist schon Schubert bekannt geworden, der in seiner „Symbolik des Traumes“ ausführt: „Eine neuere, tiefer gehende Sprache und der Verwandtschaft ihrer Worte untereinander nachgewiesen. Zuerst zeigt sich häufig, dass die Worte, welche ganz entgegengesetzte Begriffe bezeichnen, aus ein und derselben Wurzel hervorgehen, als wenn die sprechende Seele anfangs mit den Worten nicht die äußerlichen, einander entgegengesetzten Erscheinungen, sondern das (doppelsinnige) Organ bezeichnet hätte, das zum Auffassen dieser Klasse von Erscheinungen geeignet ist. So sind die Worte, welche wann und kalt bezeichnen, nicht nur noch jetzt in mehreren Sprachen gleichlautend: z. B. caldo, das im Italienischen warm bedeutet, ist gleichlautend mit unserem kalt; sondern selbst in einer und derselben Sprache gehen die Worte für kalt und warm aus einer und derselben Wurzel hervor (gelu, glidus, Kälte, kalt, mit caelo, calidus, warm) und der Gott des heißen Südens ist aus dem kalten Norden geboren. Sowie sehr häufig in Mythus und Sprache die gute Gottheit mit dem Bösen verwechselt und wiederum das Böse als Gutes genommen wird, so entspringt auch im Persischen, wo doch sonst der Mythus beide entgegengesetzte Prinzipien scharf voneinander zu halten scheint, der Name des bösen Ahriman und des Lichtgottes Orim = Asdes aus einer Wurzel, ebenso wie έϱως (Liebe) und έϱις (Zwist) und in verschiedenen Sprachen die Worte für Einigkeit und vereinigen und für den Feind und entzweien (fast auf dieselbe Weise wie nach Schwedenberg aus sinnlicher Liebe jenseits der grimmigste Hass geboren wird). Auch Licht (das Symbol der Wahrheit) und Lug und Lüge entspringen in verschiedenen Sprachen aus einer Wurzel, weil das Licht (der schöne Morgenstern, wie es anderwärts heißt), indem es sich zur sengenden Flamme entzündete, der verzehrende Wolf und der böse Loghe geworden, der als Hund und Hündin auch anderwärts in unreiner Bedeutung erscheinet. Jene zweifache (brennende und leuchtende) Natur des Lichtes, begegnet sich in der Sprache und im Mythos allenthalben. Das Blut erscheint ebenfalls in beiden unter der Bedeutung des Giftes, des Zornes, des rasenden Grimmes und unter jener der Versöhnung, Besänftigung, Belebung. Raserei und ruhige Besinnung, Finsternis und Licht, das schwere Metall und der leichte Vogel, Luft und Eisen, die Bezeugung der Freude und der Trauer, niedrig und hoch, sinnliche Lust und Entmannung und alle in ihrer Bedeutung noch so entgegengesetzt scheinenden Worte gehen auf dieselbe Weise aus gemeinschaftlicher Quelle hervor, und das Lamm sowie der Widder, welche öfters Symbole des schaffenden Wortes sind, erscheinen als Bock anfangs als Ausdruck des zeugenden Prinzips, dann der gröbsten Wollust (auch hier Lamm und Flamme aus einer Bedeutung.
Auf eine merkwürdige Weise lässt sich nicht selten noch in der Sprache und im Mythus der Weg deutlich nachweisen, auf welchem die Worte von der einen Bedeutung in die andre ganz entgegengesetzte übergegangen sind. Wir wollen auch hier nur einige wenige Beispiele hervorheben. Die Verwandtschaft des Erkennens und Zeugens ist schon von Franz Baader auf eine merkwürdige Weise dargetan worden. Auch in der Sprache und im Mythus ist die Taube, welche als heiliger Lebensgeist das Lebenswasser der Schöpfung sowie den erkennenden Menschengeist bewegt, mit dem Vogel Phönix und der Palme gleichbedeutend. Die Palme, sowie die Blume der Nacht am Lebensquell, oder anderwärts die Eiche, Weinstock, Feigenbaum, wird hierauf zum Baum der Erkenntnis, welcher zugleich Baum des Haders ist. Endlich so wird der Baum der Erkenntnis zum Lingam, zum Werkzeuge und Symbole sinnlicher Geschlechtslust. Auf dieselbe Weise wird auch das erkennende Auge (der Brunnen des Lichts, das Wort) auf der einen Seite zur bauenden, schaffenden Hand, auf der anderen, zugleich mit der Hand, gleichbedeutend mit dem Organe der körperlichen Erzeugung. Das belebende Auge wird nun zugleich tötend, die Wahrheit bezeugende, schwörende Hand wird die täuschende, Lügen verkündende, zaudernde. So ist denn jene keusche Jungfrau des Mythus, die nie von dem Hauche einer sinnlichen Lust berührt worden, zu der unkeuschen Göttin der ausgelassensten, wildesten Wollust geworden, das schaffende, geistig erkennende Wort ist nun durch eine furchtbare Verwechslung unter dem Bilde des gräulichen Bockes Mendes angeschaut worden, dessen Kultus alle Schandtaten der ausgeartetsten tierischen Wollust in sich vereinte, aus dem Fische und der Fischschlange der sinnlichen Lust ist aber auch jenes furchtbare Gift gekommen, welches die Welt und das Leben vergiftet hat. Das Wort der Liebe, der heilige Name, das Gesetz sind zur Strafe, zum Zorne, zur Rache geworden. Ebenso wie sich durch jene große Sprachenkatastrophe das Gute ins Böse, das Licht in die Finsternis verkehrt hat, so verstellt sich umgekehrt das Böse ins Gute und in häufigen Beispielen, wozu sich schon die oben angeführten gebrauchen lassen, erscheint, in Mythos und Sprache, das Böse und Giftige täuschend in lieblicher Gestalt, als Gutes und Heilbringendes.“
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