Annika strebte nach links, stoppte und nahm einen Schlüssel aus ihrer Jackentasche. „Zentralschlüssel“, erklärte sie.
Sie klopfte.
Nichts geschah.
Annika steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür.
„Herr Al-Mohandi? Entschuldigen Sie bitte vielmals die Störung!“, rief sie mit süßlicher Stimme in den Raum. Doch der war leer. So leer, wie ein Hotelzimmer nur sein konnte – ein recht breites, völlig zerwühltes Bett mit dezent grün gemusterten Laken. Im Bad auf den Boden geworfene Handtücher. Nirgends persönliche Gegenstände, keine Kleidungsstücke, nicht einmal ein Socken oder ein Rasierer. Selbst in den Zirbenholzkästen, die Annika öffnete, fehlte jede Spur aktuelelr Benützung.
„Nanu“, war der einzige Laut, der ihr jetzt entschlüpfte.
„Da ist wohl jemand ausgeflogen“, interpretierte Jonas. „Interessante Sache angesichts des Todes seiner Begleiterin.“
Berenike wartete vor der Bibliothek. Die Spurensicherung war immer noch hinter der verschlossenen Tür am Werk. Jonas war weggegangen, seine Kollegen sprachen nach und nach mit den Anwesenden. Ob jemand auch im Wellness-Bereich nachgefragt hatte …?
Nun gut, ihre Sache war das ja nicht. Nein, das war sie nicht. Einmal die anderen machen lassen. Ging sie ja alles gar nichts an. Auch wenn sie schon so viele Todesfälle erlebt und aufgeklärt hatte. Seit jenem irgendwie schicksalhaften Sommer, in dem in ihrem Salon ein bekannter Schriftsteller gelesen hatte.
Endlich öffnete sich die Tür der kleinen Bibliothek wieder.
„Bitte!‟ Berenike trat auf einen der Männer zu, die hinter sich absperrten. Schon im Gehen zogen sie ihre dünnen weißen Schutzanzüge aus, machten betretene Gesichter. Fragend sah der Bärtige sie an und verstaute etwas in seiner Aktentasche.
„Könnte ich Sie unter vier Augen sprechen? Nur kurz?“, bat Berenike.
„Wenn es sein muss“, brummelte der Mann.
Sie schlängelte sich an den Wartenden vorbei, nahm den Geruch nach Pilzen wahr und von Sauerkraut weiterhin und huschte in einen leeren Raum unweit der Bibliothek. Der Beamte trat hinter ihr ein. Sie schloss die Tür rasch.
„Es ist nur … die Tote … da stand doch Tee am Tisch.“
„In der Tat“, der Bärtige rieb sich über den Bart. „Aber das ist alles Gegenstand der Ermittlungen und ...“
„Wurde da auch ein Teefilter oder Teebeutel gefunden?“
„Warum?“
Gegenfrage, sehr lustig.
„Jonas Lichtenegger ist mein Lebensgefährte“, führte sie erklärend an. „Ich weiß, dass Ihr nicht viel sagen dürft.“
„Gar nichts, um genau zu sein.“
„Gut, gar nichts. Dann sage eben ich etwas. Und zwar geht es um den Tee. Mir gehört der Teesalon in Altaussee unten, im Ort. Sie wissen schon.‟
„Ahso, jaja.‟
„Und ich liefere Tee hierher ins Wellness-Hotel.“
„ach, was.“ Der Bärtige grinste. „Klingt nach der schnellsten Aufklärung aller Zeiten.“
„Sehr witzig, da haben wir aber alle gelacht.“ Sie atmete tief durch. Jetzt nur ruhig bleiben. „Also, ich mach mir Sorgen, dass jemand etwas in den von mir gelieferten Tee gemischt hat. Was … Schlimmes. Und diese Frau deswegen gestorben ist.“
„Diesen Verdacht haben nicht nur Sie, junge Frau.“
„Sehr fein, nicht so junger Mann.“ Sie feixte.
Der Polizist lachte jetzt nicht mehr.
„Egal wie, ich will, dass mein Name sauber bleibt. Mein Tee ist in Ordnung.“
„Das wird sich ja herausstellen. Die Kollegen kümmern sich um alles.“ Er wandte sich ab. „Für alles Andere fragen Sie einfach unsere Kollegen!‟ Er verließ energischen Schrittes den Raum.
Da stand sie jetzt.
Verdammt!
Wenn sie unter Verdacht geriet, konnte sie zusperren. Das durfte nicht wahr sein. Unwillkürlich musste sie an den Sommer denken, in dem der Journalist Rabenstein vergiftet worden war. In ihrem Lokal. Und wie der damalige Inspektor Kain sie verdächtigt hatte.
Bloß nicht wieder so etwas!
Kain wenigstens machte ihr nicht mehr das Leben schwer.
Unschlüssig blieb sie in der offenen Tür stehen.
Sollte sie warten, bis es neue Entwicklungen im Hotel gab, damit sie sie gleich erfahren konnte? Oder sollte sie darauf vertrauen, dass Jonas ihr Bescheid geben würde, woran die Frau wirklich gestorben war?
Während Berenike da stand und die Schaulustigen beobachtete, die ihre Mutmaßungen von sich gaben, machte sich ihr Kreuz wieder einmal mit einem bösen Stich bemerkbar. Dieser verflixte Ischias …! Sie verlagerte ihr Gewicht, der Schmerz ließ nicht wirklich nach. Verdammt, dabei hätte dieser Tag ihr gut tun sollen. Stattdessen brachte er ihr wieder mal eine Leiche. Sollte sie eigentlich schon gewohnt sein, oder? Überall, wo sie hinkam, tauchten Tote auf. Als hätten sie auf sie gewartet.
Sie roch den Geruch des Poolswassers an ihren Händen. Dieser Abend war komplett anders verlaufen, als er sein hätte sollen. Großer Mist. Berenike verlagerte wieder ihr Gewicht auf den anderen Fuß. Sollte sie nachhause fahren? Hier würde sie jetzt nichts mehr ausrichten. In die Bibliothek kam sie nicht, die Spurensicherung hatte nicht mit sich reden lassen.
Auf jeden Fall brauchte sie etwas zu trinken, ihre Kehle war trocken. Normalerweise hätten Jonas und sie nach den Stunden beim Schwimmen und einer Massage hier zu Abend gegessen und dazu etwas Gutes getrunken. Und sich entspannt.
Aber gut, das war nun mal nicht so.
Ins Restaurant wollte sie nicht, doch sie wusste von ihren bisherigen Tee-Lieferungen, dass es auf der anderen Seite des Gebäudes eine Lounge gab, in der man Getränke und ein paar Snacks konsumieren konnte. Mit etwas Glück war es dort noch ruhig. Zögernd ging sie los, an der Tür zum Leichenfundort vorbei. Leider war die Tür weiterhin bewacht und natürlich versperrt. Zu gerne hätte sie einen Blick hinein geworfen. An dem Tee gerochen. Und herausgefunden, ob ihr der Geruch bekannt vorkam. Oder ob tatsächlich etwas nicht damit stimmte. Diese Chance hatte sie verpasst vorher, da war es um Rettung für die arme Verstorbene gegangen. Um schnelle Rettung.
Leider sinnlos.
Sie kam am Eingang zum Wellness-Bereich vorbei, wo sie vor Stunden so voller Vorfreude angekommen war, sie hörte Wasserrauschen und fröhliche Stimmen.
Schließlich erreichte sie die Hotelhalle, wo große Kürbis-Fratzen mit echten Kerzen aufgestellt worden waren. Über der Rezeption baumelten Lichterketten in Gespensterform, mehrere Telefone klingelten, zwei Mitarbeiterinnen in Ausseer Dirndln in den typischen Farben Rosa-Violett-Grün waren eifrig mit Anrufen und Gästen vor der Theke beschäftigt. Berenike umrundete die Leute, hörte im Vorbeigehen, wie einige Leute Beunruhigung äußerten, andere forderten die Rechnung oder sogar Schadenersatz und planten abzureisen. Die Blonde hinter der Rezeption lächelte beständig, doch ihre Gesten wirkten verdammt fahrig. Sie stieß immer wieder mit ihrer Kollegin zusammen, obwohl der Arbeitsbereich einigermaßen geräumig war. Der zweiten Mitarbeiterin stand der Schweiß auf der Stirn und die Wangen waren tief gerötet.
Berenike erreichte die andere Seite der Halle und damit den Lounge-Bereich. Ein paar junge, sehr schlanke Frauen mit aufwendigen Frisuren und in beigefarbenen Gewändern saßen in einer Sitzecke und lachten, vermutlich hatten sie nichts von dem tödlichen Vorfall mitbekommen. Auf ihrem Tisch standen Cocktail-Gläser, mit einer orangefarbenen Flüssigkeit darin – hier war wirklich alles auf Halloween abgestimmt. Ein Spiel – das für Romy ernst geworden war.
Einige Sitzecken weiter spielte ein Mann im Anzug hektisch auf einem Handy herum. „Das muss doch irgendwo sein“, murmelte er dabei immer wieder vor sich hin, obwohl er alleine dasaß. „Dieses verdammte Muster, ich wusste doch, wie man das strickt ...‟
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