Unsere Hände würden sich gleich treffen, gleich würde ich seine Haut auf meiner fühlen und ihm so nah sein, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte. Es waren nur noch wenige Schritte zwischen uns, ein paar kleine Schritte, die uns voneinander trennten. Ich merkte wie mein ganzer Körper sich verspannte in der Erwartung endlich bei ihm zu sein, in seinen Armen zu liegen und seine Lippen auf meinen zu spüren. Nur noch ein paar Schritte, dann war es soweit. Wir würden zusammen sein.
„GUTEN MORGEN TEMECULA! Es ist 7:00 Uhr und Zeit für euch Schlafmützen aus den Federn zu kommen.“
Eine schrille und durchdringende Stimme riss mich unsanft aus meinem wundervollen Traum.
„Heute erwartet uns ein herrlicher Apriltag. Freut euch auf einen angenehmen Frühling und versucht die ersten Sonnenstrahlen des Jahres zu genießen.“
Wie ich diesen Wecker hasste. Immer zu den ungünstigsten Zeitpunkten musste er läuten. Ich suchte nach dem Abschaltknopf, hatte jedoch vergessen, dass bei diesem Wecker die Aus-Taste auf der Unterseite, und nicht wie bei meinem alten Wecker auf der Oberseite, angebracht war. Verzweifelt schlug ich mit der flachen Hand auf den lärmenden Gegenstand in der Hoffnung, dass er vielleicht doch ausgehen würde wenn ich es mir nur fest wünschte. Doch nichts. Scheinbar war es mir nicht vergönnt mich wieder in meine Traumwelt zurück zu ziehen.
Ich wischte mir den Schlaf aus den Augen und ging ins Bad um mich für die Schule fertig zu machen. Zähne putzen, Haare kämmen, ein bisschen Make-Up auflegen, und schon war ich fertig für einen neuen Tag in der Lernanstalt. Während meiner Morgenprozedur dachte ich über den Traum nach, der sich wie eine reale Erinnerung in mein Gedächtnis gebrannt hatte.
Ich konnte mich noch genau an das Gesicht des Jungen erinnern, an die Umgebung und deren Geruch. Fast so als würde ich noch mitten auf der Lichtung stehen und auf ihn zugehen. Wer war dieser Junge nur? Ich kannte niemanden, der ihm auch nur ähnlich sah.
„Bonnie, beeil dich. Frühstück ist fertig. Und Philip wird gleich da sein.“, hörte ich meine Mutter aus dem Untergeschoss zu mir herauf rufen.
Meine Mutter war leidenschaftliche Frühaufsteherin. Es gab keinen Tag, nicht mal am Wochenende, wo sie nicht um spätestens 5 aus dem Bett stolperte. Es machte ihr nichts aus so früh aufzustehen, im Gegenteil. Für sie war das die einzige Zeit des Tages wo sie sich voll und ganz um sich selbst kümmern konnte. Dad und ich lagen noch in den Federn und sie konnte sich in Ruhe für den bevorstehenden Tag fertig machen. Und dieses Morgenprozedere nahm doch einiges an Zeit in Anspruch.
Ich möchte nicht behaupten, dass meine Mutter übermäßig eitel war, jedoch konnte sie auch nicht abstreiten, dass ihr ihr äußeres Erscheinungsbild sehr wichtig zu sein schien. Es hatte sie immer schon gestört, dass ich nicht so auf mein Aussehen fixiert war wie sie. Immer wieder versuchte sie mich zu einem ausgiebigen Wellnesswochenende mit ihr zu überreden. Gesichtspeelings, Massagen, Schlammpackungen und was ihr noch so alles einfiel. Doch ich hatte nie besonders große Lust darauf und verbrachte meine Zeit lieber mit einem Basketballspiel oder einem Ausflug mit meinen Freunden.
Je älter ich wurde desto mehr Ruhe gönnte sie mir von ihren Verschönungskuren. Irgendwann meinte sie resignierend, dass ich ja doch nicht zustimmen würde, abgesehen davon hätte ich es nicht nötig da ich eine natürliche Schönheit war. Tja, sagen das nicht alle Mütter über ihre Töchter? Ich hielt mich eher für durchschnittlich.
„Jetzt mach schon, oder willst du Philip wieder unnötig lange warten lassen?“
„Ja Ma, ich komm ja schon. Pack mir das Frühstück bitte ein. Sonst komme ich zu spät zur Schule.“
Ich packte noch schnell meinen Rucksack für den heutigen Tag und hastete die Treppe hinunter. Meine Mutter stand bereits bei der Tür mit einer braunen Papiertüte in der Hand. Ich nahm ihr die Tüte ab, gab ihr einen schnellen Kuss auf die Wange und war auch schon aus der Tür.
Philip parkte in der Auffahrt um die Straße nicht zu blockieren. Er war schon daran gewöhnt, dass ich zu spät kam. Ich beeilte mich und sprang auf den Beifahrersitz. Ich setzte mein breitestes Lächeln auf und gab ihm einen Begrüßungskuss.
„Na, mal wieder zu lang geduscht?“
Sein Unterton war hörbar amüsiert.
„Irgendwie bin ich heute Morgen nicht aus den Federn gekommen. Fast so als hätte mich jemand mit Superkleber an die Matratze geklebt.“
„Ja du hast schon ein schweres Schicksal zu tragen.“
Ich war daran gewöhnt von ihm veräppelt zu werden. Es erschien mir fast wie eine Art Morgenritual, dass wir vor einem Jahr, als Philip mich das erste Mal mit dem Auto abholte, begonnen hatten.
Er legte den Rückwärtsgang ein und fuhr aus der Einfahrt.
„Phil, vergiss nicht bei Jenny vorbei zu fahren.“
Ein leicht verwirrter Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit.
„Fährt sie denn nicht mit Jason?“
Ich zog den rechten Mundwinkel hinauf und sah ihn fragend an.
„Hast du das wirklich erwartet? Hast du denn nicht mitgezählt, es sind schon wieder vier Monate um.“
Er riss die Augen überrascht auf.
„Achja, das hatte ich ja ganz vergessen. Tja, scheinbar hoffe ich noch immer darauf, dass sie sich irgendwann mal ändert.“
„Du Träumer.“, sagte ich zu ihm und boxte ihm leicht auf die Schulter.
Es dauerte gerade mal fünf Minuten bis wir bei Jennys Haus ankamen. Sie wartete schon ungeduldig in der Einfahrt und schaute nervös auf ihre Uhr.
„Als ob ich es nicht erwartet hätte.“ murmelte sie, als sie ins Auto einstieg.
„Wenn du es eh schon weißt, warum regst du dich dann noch auf? Du hättest ja auch mit Jason mitfahren können.“
Ich lachte hämisch.
„Fang mir ja nicht mit dem an!“ Ihre Stimme klang zornig und enttäuscht zugleich.
„Der soll bloß bleiben wo der Pfeffer wächst!“
„Was ist denn passiert? Letzte Woche war doch noch alles okay zwischen euch?“
Ich fragte mich warum Philip überhaupt so eine Frage stellte, wenn er die Antwort ohnehin schon kannte. Es war immer dasselbe mit Jenny und ihren Freunden. Am Anfang war alles eitle Wonne, die große Liebe, wie sie uns immer versicherte. Sie verbrachte Tag und Nacht mit ihrem Freund und ließ alle an ihrem Glück teilhaben. Selbst die, die es nicht im geringsten interessierte was sie oder mit wem sie was machte.
Doch schon nach 3 Monaten merkten wir wie die Stimmung umschlug und sie mehr genervt als erfreut über seine Anwesenheit war. Und dann fehlte nur noch ein kleiner unbedeutender Zwischenfall um sie davon zu überzeugen, dass er doch nicht der Richtige für sie war und ihr Grund genug gab die Beziehung zu beenden.
Bei Clark war es eine unbedachte Aussage über ihre neue Haarfarbe. Bei Flynt war es ein kurzer verstohlener Blick, den er einer anderen zuwarf, dessen er sich selber gar nicht bewusst war. Doch Jenny hatte es natürlich genau gesehen und so lange auf ihn eingeredet bis er „gestand“ es getan zu haben.
Es war nur eine Frage der Zeit bis sich auch Jason einen Fehltritt leistete, der es ihr ermöglichte die Beziehung ohne weitere Fragen beenden zu können.
„Ich möchte gar nicht drüber reden.“
„Ach sag bloß“, rutschte es mir heraus.
Natürlich war ich neugierig welchen Fehler er gemacht hatte. Doch ich wusste genau, dass sie uns bis ins kleinste Detail erzählen würde, was passiert war, egal ob wir sie fragten oder nicht. Sie wollte immer darüber reden, egal welchen Typen sie in die Wüste geschickt hatte. Ich konnte mich, wenn ich so die letzten 12 Jahre zurückdachte, nicht an einen Moment erinnern, wo Jenny nicht gerne geredet hatte.
„Ihr könnt euch nicht vorstellen was er mir angetan hat. Es war einfach unfassbar.“
Читать дальше