Tina sagte nichts dazu. Schweigend machten sie sich Arm in Arm auf den Rückweg zur Villa. Ein neues Leben? , fragte sie sich im Stillen. Hoffentlich behält Denis Recht! Leider hatte sie das unheimliche Gefühl, dass Rocco sie auch über seinen Tod hinaus nicht in Ruhe lassen würde.
Die nächsten zwei Wochen vergingen für Tina wie im Flug. Es gab vieles zu regeln. Nach einem langen Gespräch mit dem Finanzverwalter ihres verstorbenen Mannes beschloss sie, alles so zu belassen, wie es war. Statt Rocco erhielt sie nun die monatlichen Erträge aus dem Unternehmen und den Liegenschaften. Es handelte sich dabei um so hohe Summen, das ihr schwindlig wurde. Auch an dem Leben in der Villa änderte die junge Frau zunächst wenig. Sie behielt die Haushälterin sowie den Gärtner. Dem Butler jedoch kündigte sie. Sie hatte ihn nie gemocht. Ihr gefiel seine kühle, unnahbare Art nicht.
Nachdem ihr Leben neu organisiert war, bemerkte sie, wie lang ein Tag sein konnte. Sie hatte ihren Mann stets überallhin begleitet. Das gab es jetzt nicht mehr. Jetzt musste sie selbst dafür sorgen, wie sie ihren Alltag gestaltete. Viel öfter als vorher besuchte sie Denis in der Galerie, ging einkaufen, spielte Tennis, ritt aus oder schwamm im Pool. Die einsamen Abende verbrachte sie mit lesen oder telefonierte mit Franziska, mit der sie sich immer besser verstand und der sie bald zur Seelentrösterin wurde. Ihre Schwägerin tat sich mit der Trennung von ihrem Mann recht schwer, zumal dieser sie, wie sich inzwischen herausgestellt hatte, auch noch mit beträchtlichen Schulden zurückgelassen hatte.
Das Wetter hatte umgeschlagen und war für den Hochsommer zu kühl. Statt auf der Terrasse sitzen zu bleiben, ging Tina ins Haus und zündete den Kamin an. Sie schloss auch die Fenster, nur die Vorhänge ließ sie offen. Denn sie liebte die funkelnden Lichter der Stadt, die sich an den Fuß des Hügels schmiegte. Sie gaben ihr das Gefühl Leben um sich zuhaben, vertrieben in ihr die Empfindung der Einsamkeit.
Tina konnte sich nicht auf ihr Buch konzentrieren. Immer wieder sah sie zwischen den Zeilen ein Gesicht, ein attraktives Männergesicht, das dem Fremden gehörte, der sie vor dem Sturz bewahrt hatte.
Nach der Beerdigung war es ihr für kurze Zeit gelungen, die Erinnerungen an diesen Mann zu vertreiben. Doch inzwischen stellte sie fest, dass sie immer häufiger an ihn denken musste.
„Schluss jetzt!“, befahl sie sich und zuckte unwillkürlich zusammen, als sie in der Stille des riesigen Wohnzimmers ihre eigene Stimme hörte. Sie klappte das Buch zu und wollte ins Fernsehzimmer gehen.
Da setzte sich unvermittelt in ihrem Nacken ein seltsames Gefühl fest. Unbehagen krabbelte, wie auf langen behaarten Spinnenbeinen, ihren Rücken hinauf. Sie spürte mit einem Mal, das sie nicht mehr allein im Raum war. Das war völlig unsinnig, denn niemand außer ihr, Rocco und das Personal besaßen einen Schlüssel zum Haus. Und das Personal war über jeden Verdacht erhaben.
Unangenehm berührt drehte sich Tina um. Nein, es war natürlich niemand im Wohnzimmer. Wen hatte sie auch zu sehen erwartet? Das Unbehagen verstärkte sich jedoch mit jedem Atemzug auf eine unerklärliche Weise. Angst kroch ohne ersichtlichen Grund in ihr hoch und schnürte ihr den Hals zu.
Hilflos suchte sie mit den Augen die Bedrohung, die sie so deutlich spürte. Wer oder was war in die Villa eingedrungen? Ihr Blick blieb an einem Foto hängen, das sie und ihren Ehemann im letzten Urlaub in Australien zeigte. Die Augen glitten suchend weiter bis zu einer der hohen Fenstertüren.
Tina zuckte verschreckt zusammen. Stand da etwa im Lichtkegel der Terrassenlaterne ihr Mann? Die Gestalt trug die weite, weiße Leinenhose und darüber das dazu passende Hemd, das er immer angehabt hatte, wenn sie einen Abend zu zweit vor dem Kamin verbrachten.
Ein kalter Schauer lief der schönen Frau über den Rücken. Die Person dort draußen vor der Fenstertür, deren Gesicht und hochgewachsene Figur ihrem verstorbenen Mann glich, sah sie feindlich, ja hasserfüllt an. Tina konnte sich zwei, drei Sekunden nicht bewegen. Ihre Zähne schlugen vor Angst aufeinander. Dann jedoch besiegte der Verstand die Panik in ihr.
Rocco war tot! Er konnte nicht da draußen stehen! Tina erlag ihren eigenen Einbildungen. Und jetzt – sie atmete erleichtert auf – verschwand die Gestalt genau so plötzlich wie sie aufgetaucht war. Fröstelnd zog sie ihre beigefarbene Jacke um sich und horchte, alle Nerven bis zum Zerreißen gespannt, in die Stille der Nacht hinein. „Ich fange schon langsam an zu spinnen“, sagte sie zu sich selbst. Der morgige Tag würde bestimmt wieder anders aussehen. Es gab keine Geister – sie glaubte zumindest nicht daran. Außerdem hatte Denis gute Arbeit geleistet. Stundenlang hatte ihre Freundin gependelt und danach die gesamte Villa ausgeräuchert, bis in den Keller. Dem stark riechenden Kraut, dessen beißender Geruch noch tagelang in den Zimmern stand, konnte eigentlich kein Geist gewachsen sein.
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