Silke Naujoks
Spuk im Gutshof
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Inhaltsverzeichnis
Titel Silke Naujoks Spuk im Gutshof Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Impressum neobooks
„Ihren Fahrausweis bitte.“ Der Zugkontrolleur musste seine Aufforderung wiederholen, bevor das junge Mädchen, das allein in dem Abteil saß, aus ihren Gedanken hochfuhr. Verwirrt zog Sandy ihren Reisepass aus der Handtasche und überreichte diesen dem uniformierten Mann.
„Können Sie mir sagen, wie lange die Fahrt noch dauert?“, fragte sie schüchtern.
„Ungefähr 60 Minuten müssen sie rechnen, Fräulein.“ Der Kontrolleur entnahm ihrem Reisepass, dass die hübsche Brünette gerade achtzehn Jahre alt war.
„Ich möchte ihre Fahrkarte sehen und nicht den Reisepass.“ Der Zugkontrolleur sah Sandy fragend an.
Mit zittrigen Händen kramte sie den Fahrschein aus ihrer Jackentasche und tauschte diesen gegen ihren Reisepass. Sandy war sichtlich nervös. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, da sie heimlich das Mädchenheim verlassen hatte.
Vater wird mir böse sein. Sie zog einen zerknitterten Brief aus der Tasche, den sie fast auswendig kannte.
Tante Susanne hatte ihr per Eilbrief mitgeteilt, dass ihre geliebte Großmutter nach einem schweren Sturz an das Bett gefesselt und auf Hilfe angewiesen ist.
Das war jedoch nicht die einzige Hiobsbotschaft: Der Grundstücksverwalter war einem Herzinfarkt erlegen, worauf seine Frau, die das Grundstück weiterleitete, vor Kummer erkrankte und ihren Dienst aufgab. Bis auf einen schwerhörigen Gärtner, hatten alle Bediensteten das Anwesen verlassen.
„Du bist meine einzige Hoffnung, liebes Kind“, schrieb ihre Tante mit krakeliger Schrift. „Deinem Vater schreibe ich ebenfalls, doch ich weiß nicht, wann und wo ihn mein Brief erreicht, da seine Geschäfte ihn oft ins Ausland rufen. Ich selbst wohne zu weit entfernt, um im Notfall rechtzeitig zur Stelle zu sein.
Da ich an einer schweren Arthritis leide, verlasse ich nur sehr selten das Haus, deshalb wende ich mich Hilfe suchend an Dich, liebste Nichte. Ich hoffe, du kannst Dein Studium unterbrechen.
Deine Dich liebende Tante“
Sandy seufzte. Wie konnte sie einen derartigen Hilferuf ignorieren? Sie liebte ihre Großmutter über alles, hatte sie doch ihre viel zu früh verstorbene Mutter ersetzt. Sandys Mutter - Maria – war eine gefeierte Opernsängerin an der Staatsoper.
Nach ihrer aufsehenerregenden Hochzeit mit dem steinreichen Großgrundbesitzer, hatte sie ihre Opernlaufbahn aufgegeben, um nur noch für ihre Familie da zu sein.
Leider währte das Glück nicht lange. Sandy war gerade drei Jahre alt, als ihre vergötterte Mutter bei einem Reitunfall ums Leben kam. Ein Schicksalsschlag, den der Vater nie verwinden konnte und aus einem lebenslustigen Mann, einen verbitterten Großgrundbesitzer machte, der voll in seinen Beruf aufging.
Sie wuchs erst bei ihrer Tante Susanne auf, später übernahm die Großmutter die Erziehung ihrer Enkelin. Man bewohnte eine große Wohnung in einer großen Stadt, wo das kleine Mädchen unter fröhlichen Gleichaltrigen aus der Nachbarschaft aufwuchs. Als ihre Oma dann das Erbe der Ahnen antrat und auf den Gutshof übersiedelte, besuchte Sandy das Internat.
Sandys Blick glitt aus dem Fenster. Sie beobachtete die vorbeihuschenden Bäume.
Nachdem sie aus dem Zug gestiegen war, ließ sie die Landschaft auf sich wirken. Die Gegend war eine ländliche Schönheit. Die lange Reise und die schwierige Aufgabe, die sie am Ziel erwartete, hatten Sandy in einen etwas überreizten Zustand versetzt.
Würde sie ihrer Aufgabe gewachsen sein? Sie, die von Krankenpflege nichts verstand? War sie in der Lage, ihrer Großmutter in dieser hilflosen Situation beizustehen?
Die Fahrt hatte sie hungrig gemacht, sie suchte einen Imbiss, an dem sie schnell eine Kleinigkeit verzehren konnte.
Das Essen war gut und Sandy aß mit Appetit. Sie bezahlte die Rechnung und begab sich wieder auf die Straße. Gerade wollte sie über den Zebrastreifen gehen, als sich eine schwere Hand auf ihre Schulter legte.
Erschrocken drehte sie sich um und sah das strenge Gesicht ihres Vaters. Wäre ein Blitz neben ihr eingeschlagen, Sandy hätte nicht verstörter sein können.
„Vater … du hier?“, stotterte sie.
„Was machst du hier, Sandy?“, hörte sie die tiefe Bassstimme ihres Vaters fragen.
Um ein krampfhaftes Lächeln bemüht, stammelte sie: „Ich … ich habe einen Brief von Tante Susanne bekommen. Ich soll auf dem schnellsten Weg hierher kommen. Großmutter ist gestürzt und liegt im Bett, weil sie nicht mehr laufen kann. Sie braucht dringend Pflege. Außerdem ist der Grundstücksverwalter gestorben und seine Frau hat ihre Arbeitsstelle gekündigt. Tante Susanne musste für Großmutter zwei neue Personen einstellen, weil das restliche Personal auch gekündigt hat.“ Weiter kam sie nicht.
Ihr Vater hatte die Hand erhoben, um ihre Rede zu beenden. „Du brauchst mir nicht zu sagen, was auf dem Anwesen vorgefallen ist. Ich weiß Bescheid. Deine Tante hat mich ausreichend verständigt, ich werde ein ernstes Wort mit ihr reden müssen. Wie kann sie dir nur gestatten alleine zu reisen, man kann sich heutzutage auf keinen mehr verlassen.“
„Nicht böse sein, Papa“, stotterte Sandy mit hochrotem Kopf. „Im Mädchenheim trifft niemand die Schuld, ich habe es heimlich verlassen.“
„Du hast was … getan? Also mein liebes Kind das ist die Höhe! Weißt du nicht, welche Gefahren auf allein reisende Mädchen lauern? Im Übrigen war dein unüberlegtes Handeln überflüssig. Auf den Brief deiner Tante hin habe ich alles Notwendige veranlasst. Ich habe eine Pflegerin für deine Großmutter engagiert. Außerdem bringe ich einen neuen Verwalter mit und dann ist da noch jemand, der im Notfall zur Verfügung steht.“ Er drehte sich um.
Sandy´s Blick folgte ihm, sie bemerkte die drei Personen, die beladen mit Gepäck auf sie zu liefen.
„Das ist Schwester Sofie Kramer“, machte ihr Vater sie mit einer Frau unbestimmten Alters bekannt.
Der neue Verwalter war ein gewisser Herbert Golinski, ein plumper kleiner Bursche, der eher wie ein Stallknecht aussah.
Der dritte Unbekannte hieß Claus und war trotz seinem jugendlichen Alters Doktor der Physik.
Er sah aus, wie sich alle jungen Mädchen den Mann ihrer Träume vorstellten: Groß, dunkles Haar, breitschultrig, ein Prinz wie aus dem Märchen. Er besaß ein schmales, fein geschnittenes Gesicht und ein unwiderstehliches Lächeln. Seine Stimme klang verführerisch weich und er hatte eine Art sein Gegenüber beim Sprechen anzuschauen, das man als Frau schon kalt wie Stein sein musste, um unter diesen Blick nicht dahin zu schmelzen.
„Es freut mich sehr Ihre Bekanntschaft zu machen, Ihr Vater hat schon viel von Ihnen erzählt. Doch ich muss sagen, die Wirklichkeit übertrifft meine kühnsten Erwartungen.“
Sandy spürte, wie ihr das Blut in den Wangen schoss.
„Wollen Sie hier bleiben? Oder wo ist das Ziel Ihrer Reise?“, fragte Sandy mit einer leichten Röte im Gesicht.
Claus erwiderte lächelnd, wobei er zwei Reihen perlweißer Zähne zeigte. „Ich werde in der Stadt erwartet, in der meine Eltern am Stadtrand ein kleines Sommerhaus haben. Sicher freuen sich meine Eltern schon sehr, mich wiederzusehen. Aber dort wartet auch noch eine junge Dame auf mich. Wir sind so gut wie verlobt.“
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